Die wochenlange Lammzeit Anfang des Jahres ist für die Schäfer ein Dauerjob. Kein Junges soll verloren gehen, auch nachts wird jede Geburt betreut. Richtige Sorgen macht den Landwirten nur der Wolf.
Im Stundentakt purzeln die Neugeborenen derzeit auf den nur dürftig mit Stroh ausgelegten kalten Steinboden im großen Stall in Bleckede. In der mehrwöchigen Lammzeit bis Ende Februar schiebt Stefan Erb die Nachtschichten.
Keines der bis zu 1700 Neugeborenen pro Jahr soll ohne Aufsicht auf die Welt kommen. Der 52-Jährige bindet ein blaues Bändchen an das Gitter der Bucht eines gerade geborenen Schafs. «Das ist ein Hinweis für meine Mitarbeiter, dass die Nachgeburt noch gesäubert werden muss», erklärt der Schäfer aus dem Landkreis Lüneburg.
Die letzte Geburt war schwierig, das blutbeschmierte Schaf hinkt und die Mini-Zwillinge folgen zur kleinen Ruhebox in der Halle. «Das müssen wir beobachten, wenn sie Schmerzen hat, müssen wir ihr ein Medikament geben», sagt er. Zufällig ist ein Tierarzt auf dem Hof, zusammen mit Hobbyschäfern bei einem Lehrgang der Landwirtschaftskammer Niedersachsen im Landkreis Lüneburg. Er warnt vor einem Beckenschiefstand des Mutterschafs nach den Strapazen der vergangenen Stunden.
Anstrengende Rund-um-die-Uhr-Betreuung
Erb desinfiziert routiniert den Nabel der Neugeborenen mit einem jodhaltigen Mittel. Die Kleinen blöken verzweifelt und halten kaum still, er packt sie an den Vorderläufen. In seiner Herde hält er 1000 Leineschafe und Schwarzköpfe - die Mischungen sehen besonders putzig aus. «Man muss ein Tierfaible und Spaß daran haben, sonst wird man ihnen nicht gerecht», sagt der Landwirt. Er ist im Dauerstress. Etwa 30 Prozent der Schafe bringen ein Lamm zur Welt.
Die Rund-um-die-Uhr-Betreuung strenge an, mache aber auch ungeheuer zufrieden, beteuert er. Weil es an 365 Tagen eine «Wahnsinnsarbeit» sei, wollten seine Kinder den Betrieb mit fünf Mitarbeitern nicht übernehmen. Die Schafhaltung in Deutschland sei insgesamt keine runde Sache mehr, findet Erb: «Als Schutz gegen den Wolf haben wir 14 Herdenschutzhunde angeschafft und eine Kraft eingestellt, die sich nur damit beschäftigt.»
Die Kosten uferten aus, er wünscht sich mehr Zuschüsse für die Hunde und die Unterhaltung der Zäune (nur die Anschaffung wird gefördert). «Andere Bundesländer machen das schon.»
Michael Gertenbach von der Landwirtschaftskammer nickt und pflichtet ihm bei: «Es ist ein großes Problem, Schafhaltung unter diesen Bedingungen zu betreiben.» Er fordert von der Landesregierung entschlossenes Handeln und mehr finanzielle Unterstützung der Herdenschutzmaßnahmen. «Wir brauchen nicht mehr Arbeitskreise», sagt der Leiter des Lehrgangs, der den Hof besucht.
Angst vor dem Wolf ist ständig präsent
Die Angst vor dem Wolf ist ständig präsent, wenn Erb und seine Mitarbeiter in den Sommermonaten die Elbdeiche auf einer Länge von 30 Kilometern mit ihren Schafen pflegen. «Ich hatte schon einige Übergriffe und habe dann massiv in Herdenschutzhunde investiert», erzählt er aus seinen zehn Jahren in Bleckede.
Das wirtschaftliche System der Schäfer stehe durch die zusätzlichen Kosten «ziemlich auf der Kippe». Auch die Wolle bringt nicht mehr das ein, was sie früher wert war. «Der Großhandel nimmt sie noch ab, aber es wirft nichts mehr ab», sagt er. Die Wolle hierzulande sei nicht fein genug.
In einigen Monaten muss sich Erb von den ersten Lämmern trennen. Zu Ostern im April seien die ersten schlachtreif. Der schnelle Abschied gehöre zur Aufzucht dazu.
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