Reisereportage
Wo in der Türkei die Olive nicht weit vom Stamm fällt

07.12.2024 | Stand 07.12.2024, 13:47 Uhr |

Bei Sabit Ertür herrscht gerade Hochsaison: Der Olivenbauer freut sich über eine bessere Ernte in diesem Jahr. In den Herbst- und Wintermonaten wird die Steinfrucht eingelegt oder gepresst. Um die 300 Helfer beschäftigt er dann auf seinem Hof. − Foto: Häußler

Eine Region, die die wenigsten mit der Olive in Verbindung bringen würden. Doch in der türkischen Ägäis hat die Steinfrucht in den Herbst- und Wintermonaten Hauptsaison. Auf den Spuren des dreifarbigen Entzündungshemmers.

Schwarz, pink oder grün. Liebhaber schätzen sie in jeder Farbe. Wer in Europa an Oliven denkt, hat sofort endlose Hänge unter der heißen Sonne Spaniens im Kopf. Griechenland, Italien oder vielleicht Kroatien. Die wenigsten aber werden an die Türkei denken. Doch auch dort, genauer gesagt in der Ägäis-Region, spielt die Steinfrucht eine besondere Rolle.

Allerdings ist es nicht allzu verwunderlich, dass die Gedanken nicht zwingend in das heute stark von Atatürk geprägte Land schweifen. Denn geerntet wird in der Türkei in einer Landschaft, die stellenweise an die Toskana erinnert, zunächst für den heimischen Markt. Oliven, das daraus gewonnene Öl und andere Produkte wie Seifen bleiben nach einem Exportverbot zu großen Teilen innerhalb der Grenze. In deutschen Supermarktregalen oder Spezialitätengeschäften ist die Olive aus der Küstenregion zwischen Canakkale und Marmaris daher nur schwer zu bekommen. Nach besseren Ernten sind die Beschränkungen jedoch jüngst gelockert worden.

In dem vergleichsweise zum Rest des Landes winzigen Anbaugebiet, das rund 300 Kilometer von Istanbul entfernt liegt, ist der Stellenwert der Olive umso größer. In zahlreichen Fabriken wird zur Erntezeit zwischen Oktober und Februar das wertvolle Öl gepresst beziehungsweise die Frucht für den Verzehr eingelegt, in den Geschäften das gesamte Jahr über neben regionalem Käse und Wein verkauft.

Ein weltberühmter, aber nicht unumstrittener Kunde

Und gefeiert, regelrecht inszeniert, wird sie auch. Erntefest in der Nähe von Altinova – eine Baderegion unweit der griechischen Insel Lesbos. Parteifahrzeuge mit speziellen Nummernschildern parken vor dem Gelände eines Olivenölproduzenten, hochrangige Militärs in Uniform werden begrüßt. Ein roter Teppich führt durch das Eingangstor hindurch, gesäumt von runden Tischen mit weißen Decken, an denen gut gekleidete Menschen ein traditionelles Essen serviert bekommen. Zudem Livemusik auf einer eigens aufgebauten Bühne.

In der Fabrikhalle: dutzende Fotografen, Kamerateams, Radioreporter und Journalisten der Staatsmedien. Sie alle setzen unter anderem auch den Bürgermeister in Szene – gemeinsam mit dem so wichtigen Protagonisten, der in der Türkei mit 135 Sorten vertreten ist.

Tausende davon warten auf dem Hof von Sabit Ertür in gestapelten Kisten in ihren drei Farben – dem jeweiligen Reifegrad – auf die Presse. „In der Zeit der Ernte bekommen wir nur rund sechs Stunden Schlaf“, erzählt der 56-Jährige. Um die 300 Helfer beschäftigt er derzeit, die er stundenweise bezahlt. Typische Saisonarbeit. „Ich kann sie nicht anstellen, ansonsten bezahle ich die Leute monatelang für nichts“, erzählt er. Denn wenn die letzte Olive gepresst ist oder in Gläsern eingelegt ihren Weg auf die Tische der Republik findet, wird es still in den Fabriken. Und bei schlechter Ernte? „Dann gehen wir schwimmen“, sagt Ertür und lacht. Früher seien die Menschen hier abhängig von der Olive gewesen.

Heute sei das anders. „Sie arbeiten an unterschiedlichen Orten. An Tankstellen beispielsweise. Ich vermiete zudem Wohnungen.“ Oder er verkauft eben sein „Luxusprodukt“ unter anderem an Restaurants in Istanbul. „Salt Bae ist einer meiner Kunden“, erzählt er. Gastronom Nusret Gökce ist vor allem durch Social Media bekannt, wenn er theatralisch über seinen Ellbogen Steaks – die auch schon mal mit Blattgold überzogen sind – am Tisch seiner teils berühmten, aber immer gut situierten Gäste salzt.

Versorgen kann Ertür ihn und andere in diesem und im kommenden Jahr mit reichlich Ware. Denn die Ernte sei gut. 300 Lira pro Liter Öl verdiene er, meint Ertür – rund acht Euro. Wie viele Bäume es pro Produzent gibt, ist schwer herauszufinden. „Viele“, antworten sie nur, wenn sie gefragt werden. Zehn Tonnen Olivenöl pro Tag sind möglich – an sich laufen die Maschinen durch, wenn genügend Früchte vorhanden sind. Wie viel genau es bei ihm sind? „Dieses Jahr ist es gut“, sagt der 56-Jährige knapp und lächelt.

Beim Unternehmen Nermin Hanim nahe Havran werden sie da konkreter. 200 Tonnen pressen sie, heißt es vor Ort. Geben die eigenen 50.000 Bäume nicht genügend her, kaufen sie zu. „Aus anderen Regionen.“ Auch hier ein ähnliches Bild: Wenn die Pressen stillstehen und sich die Tore schließen, bleiben Restaurant und Verkaufsraum den Rest des Jahres über geöffnet, werden Kurse angeboten oder in dem angrenzenden verspielt angelegten Garten Konzerte veranstaltet oder Feste gefeiert.

Klimawandel macht den Olivenbauern zu schaffen

Doch wie gelangen die Steinfrüchte mit dem markanten Geschmack überhaupt bis dorthin? Auf einer Olivenbaumplantage in der Nähe von Ayvalik breiten Erntehelfer Tücher unter den Kronen aus. Angenehme Temperaturen herrschen zu dieser Jahreszeit in der Ägäis-Region mit bis zu 20 Grad Celsius – wenn der raue Küstenwind nicht gerade auffrischt. Dann fährt eine spezielle Erntemaschine an den Baum, öffnet eine Kralle, umschließt den Stamm – und rüttelt den natürlichen Entzündungshemmer von den Stielen. Die widerspenstigen Exemplare, die nicht abfallen, werden daraufhin mit langen Stangen, an denen sich vorne dünne Stäbe bewegen, schonend ebenfalls auf die Planen gebettet, wo sie dann von Hand aufgelesen werden müssen.

Bis zu 13,5 Millionen Tonnen waren es 2022 – ein gutes Jahr. Zum Vergleich: 2023 fiel die Ernte fatal aus. Rund 5,5 Millionen Tonnen Oliven kamen da in der Region nur zusammen, erzählt Orhan Sali, Qualität- und Produktmanager bei Özgün. Und dieses Jahr? Sieht es wieder besser aus. „Anfang November waren es 3,7 Millionen Tonnen“, so Sali. Mit bis zu sieben Millionen Tonnen rechnen sie in dieser Saison. „Weil es kaum geregnet hat.“ Auch hier spüre man den Klimawandel mittlerweile erheblich.

Für die Familien, die auf den Plantagen arbeiten, zum Teil seit Jahrzehnten eine wichtige Einnahmequelle. „Ich mache das schon seit 22 Jahren“, sagt einer der Helfer. 39 Jahre alt sei er, fahre jeden Tag mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter von Bergama hin und zurück – rund 45 Minuten pro Strecke. 90 Tage lang dauere die Ernte in etwa, bis zu sieben Stunden täglich, die 1000 Lira pro Tag bringen würden – umgerechnet circa 27 Euro, erzählt der Mann.

Da weicht schnell die romantisierte Vorstellung der Ernte einer harten Realität. Ein bisschen davon erhalten sich Gudrun Wagner und Ferit Uzunoglu auf ihrem Aussteigerhof Idamera, etwa 15 mehr als holprige Autominuten von Edremit entfernt. Auf einer Anhöhe leben und bewirtschaften die Österreicherin und der Türke, dessen Mutter ebenfalls aus Österreich stammt, ein kleines Idyll.

Gemeinsam mit Freiwilligen, die dort rund um die Uhr helfen – im Gegenzug mit einem besonderen Lebensstil, selbst angebautem oder gehaltenem Gemüse und Fleisch und einer kleinen Flucht aus ihrem jeweiligen Alltag belohnt werden.

Ein Hof, der den biologischen Kreis schließen soll

Etwa 600 Liter Olivenöl produzieren die 41-Jährige und ihr zwei Jahre jüngerer Ehemann im Jahr. Sie stellen ihren eigenen Käse her aus einer „logischen Menge Milch“, die die Tiere geben, meint Uzunoglu. Und die, die sie besuchen oder bleiben, sollen nicht ohne etwas wieder gehen. „Wir wollen den Leuten mehr Hintergrundwissen vermitteln.“ Vom Gras bis zum Käse sozusagen. Ein geschlossener Kreis. Und den vollenden die Kühe – in dem sie die Blätter der Olivenbäume fressen. Für eine biologische Balance, die, so sagen die beiden studierten Landwirte, in Zeiten des Klimawandels für sie der einzige Weg ist. „Es macht uns glücklich, diese Kontrolle zu haben.“

Angepasst an die Bedingungen, nutzen das Ehepaar und seine freiwilligen Helfer die Umstände für sich. Denn die nächste schlechte Ernte, wie sie die Olivenbauern aus der türkischen Ägäis in der jüngsten Vergangenheit erlebt haben und von denen sie mit ausdruckslosen Gesichtern berichten, könnte bereits im kommenden Jahr anstehen. Doch es wird schon gut werden, sagen sie dann. „Inshallah“ – so Gott will.


Redakteur Michael Häußler recherchierte mit Unterstützung von Go Türkiye während der Olivenernte in der Ägäis-Region.


In der türkischen Ägäis-Region herrscht mediterranes Flair. Die beliebte Küstenlandschaft hat eine lange Geschichte; sie beheimatet unter anderem die Überreste des legendären Trojas unweit von Canakkale in der Region Marmara. Im Zentrum von Canakkale, der Stadt an den Dardanellen, steht das weltberühmte Holzpferd aus der Sage von Homer – eine Requisite aus dem Hollywoodfilm mit Brad Pitt.

ANREISEN
Vom Flughafen München gibt es etliche Direktverbindungen nach Istanbul. Von dort aus geht es entweder mit einem weiteren Flug nach Edremit oder mit dem Bus über die Autobahn-Hängebrücke Canakkale-1915, die 2022 eröffnet wurde – sie ist mit 4,6 Kilometern die längste Hängebrücke der Welt.

ÜBERNACHTEN

• Canakkale: Doubletree by Hilton ab 100 bis 150 Euro die Nacht – je nach Jahreszeit.
• In Edremit sind Zimmer im Kazdaglari Allia Thermal Health and Spa für rund 130 Euro die Nacht verfügbar – ebenfalls saisonabhängig.

www.goturkiye.com

www.go-turkiye.de

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