Erst seit 2019 ist es Touristen erlaubt, Saudi-Arabien zu besuchen. Hier ist es noch möglich, uralte Kulturschätze und unberührte Natur abseits des üblichen Massentourismus zu entdecken. Dafür taucht man buchstäblich in eine andere Welt ein.
Auf dem Weg durch die sengende Hitze der saudi-arabischen Wüstenlandschaft spielt einem sein Verstand schon mal einen Streich. Das Thermometer ist auf fast 40 Grad geklettert. Die Luft flimmert über den heißen Sand. Kann man seinen Augen da noch trauen, wenn plötzlich ein hypermoderner Spiegel-Palast zwischen den schroffen Sandsteinfelsen auftaucht? Ja! Tatsächlich ist das „Maraya“-Konzerthaus keine Fata Morgana, sondern nicht weniger als das größte Spiegelgebäude der Welt. Es ist eines der Wahrzeichen der Oasenregion Al-Ula, die bis vor wenigen Jahren noch abgeschottet von der Außenwelt und fast in Vergessenheit geraten war. Heute aber zieht sie mit ihren einzigartigen Kulturschätzen, der atemberaubenden Natur und spektakulären Luxus-Ressorts immer mehr Besucher an.
Die Geschichte von Al-Ula reicht weit zurück in die Zeit der Nabatäer, die vor rund 2000 Jahren den Nordwesten der Arabischen Halbinsel besiedelten. Mit der Oasenstadt Al-Ula schufen die geschäftstüchtigen Händler einen Knotenpunkt entlang der kräftezehrenden Weihrauchstraße – einer der ältesten Handelsrouten der Welt. Auf ihr wurden Waren wie Gewürze, Weihrauch oder Stoffe aus dem Süden Arabiens bis ans Mittelmeer und in die großen Zentren des Römischen Reiches transportiert. In Al-Ula hinterließen die Nabatäer zudem spektakuläre Zeugnisse ihrer Baukunst, von denen die beeindruckendsten bis heute in der Ausgrabungsstätte „Hegra“ oder „Mada’in Saleh“ zu sehen sind.
Die imposanten Felsengräber von Hegra
Der Ort ist geprägt von über 100 eindrucksvollen Grabstätten, die die Nabatäer in ihrer Hochzeit zwischen dem ersten vorchristlichen und dem ersten nachchristlichen Jahrhundert mühsam aus dem roten Sandstein geschlagen haben. 2008 wurde Hegra als erste Stätte in Saudi-Arabien zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt und lockt heute Historiker, Archäologen und zunehmend auch Touristen an. Auf plumpen Massentourismus ist man hier, wie fast überall in Al-Ula, aber nicht aus. In Hegra darf nur ein einziges Grabmal betreten werden. Und das nur unter Aufsicht. Im Jahr darauf wird dieses wieder verschlossen und ein anderes zugänglich gemacht. So sollen Schäden durch zu viel Betrieb verhindert werden.
Anders ist das bei dem spektakulärsten modernen Bauwerk Al-Ulas, dem Maraya-Konzerthaus. Seine fast 10 000 Quadratmetergroße, komplett verspiegelte Fassade fügt sich trotz seiner klobigen Kubatur perfekt in die Umgebung ein, ja, verschwindet regelrecht in ihr. Weltstars wie Andrea Bocelli oder Mariah Carey standen hier schon auf der Bühne, deren Rückwand sich bei Bedarf einfach aufschieben lässt. Dann wird die karge Wüstenlandschaft selbst zur Kulisse.
Das Maraya, das in der Rekordzeit von 90 Tagen aus dem Wüstenboden gestampft wurde, unterstreicht die saudischen Ambitionen, sich als kulturelles und touristisches Zentrum des Nahen Ostens zu etablieren. Doch während die Architektur des Prunkbaus Freiheit und Offenheit suggeriert, kann auch die glitzernde Fassade nicht über die autoritäre Politik oder die anhaltende Unterdrückung von Frauen hinwegblenden, wegen der sich das Königshaus immer wieder internationaler Kritik ausgesetzt sieht.
Zaghafte Lockerungen bei den Frauenrechten
Gerade was Frauenrechte angeht, ist man in Al-Ula aber um eine andere Außenwahrnehmung bemüht. Die Touristenführer – sogenannte Rawis – sind überwiegend weiblich. Wenn auch vollverschleiert beantworten sie beinahe freizügig auch private Fragen. Gerade in den letzten Jahren habe sich viel zum Besseren gewendet. Seit 2018 dürfen Frauen Auto fahren, immer mehr von ihnen studieren und auch die Abbaya – ein schwarzer Ganzkörperumhang – muss nicht mehr verpflichtend getragen werden. Touristen sind in den allermeisten Situationen sowieso von den rigiden Regeln befreit.
Die Royal Comission for Al-Ula, die die touristische Expansion verantwortet, hat verstanden, dass das Öl irgendwann versiegt sein wird und der Tourismus ein lukratives Geschäftsmodell sein kann, solange die Schönheit der Natur erhalten bleibt. Deshalb wird, wo immer es möglich ist, auf Nachhaltigkeit gesetzt. In Luxusresorts wie dem „Our Habitas Al-Ula“ wurden lokale Baustoffe verwendet, die Villen fügen sich organisch in das Landbild ein und zur Begrüßung gibt es eine Zeremonie mit lokalem Weihrauch.
Ein Besuch in einer Volkshochschule bestätigt dieses Bild. Die Schule hat es sich zur Aufgabe gemacht, fast vergessene Kulturtechniken zu bewahren. So vermittelt nun ein Team aus internationalen und ortsansässigen Dozenten den meist weiblichen Teilnehmern die Kunst der Pigmentherstellung aus autochthonen Rohstoffen wie gerösteten Dattelkernen oder das Flechten bunter Muster aus eingefärbten Streifen eines Palmwedels. Dadurch werden diese uralten Techniken nicht nur bewahrt und weitergegeben, die Frauen erschließen sich dadurch auch eine nachhaltige Einnahmequelle. Denn authentische Flechtkunst kommt bei Touristen gut an.
Schönheitswettbewerbe für Kamele
Eine ganz andere, extravagante Facette zeigt Al-Ula dann wieder beim Camel-Cup, dem größten Kamelrennen der Region. Fast ausschließlich Männer sitzen in den klimatisierten Logen entlang der Zielgeraden und feuern ihre teils sündhaft teuren Rennkamele an. Auf der Innenbahn fahren duzende Geländewagen neben den Kamelen her, um sekundengenaue Anweisungen an die Jockeys zu geben. Je nach Klasse gehen die Preisgelder hier schon mal in die Millionen. Alleine weil sie seit jeher unverzichtbar für das Überleben in der unwirtlichen Umgebung waren, wundert es nicht, dass die Saudis ihre Kamele lieben. Doch manch einer treibt es mit seiner Hingabe zu den Wüstenschiffen auch zu weit. Denn neben Rennen gibt es auch Schönheitswettbewerbe für Kamele, bei denen es schon zu Disqualifikationen gekommen sein soll. Der Grund: Die Tiere hatten Botox in den Lippen.
Redakteur Benedikt Schneider recherchierte auf Einladung der Royal Comission for Al-Ula.
Die Oasenstadt Al-Ula liegt rund 400 Kilometer nordwestlich von Medina in der gleichnamigen saudi-arabischen Region. Sie hat knapp 10 000 Einwohner, soll im Rahmen der saudi-arabischen Initiative „Vision 2030“ aber allmählich weiterentwickelt werden.
ANREISEN
Quatar Airways bietet zweimal wöchentlich Direktflüge von Doha nach Al-Ula an. Flydubai fliegt sogar dreimal wöchentlich zwischen Dubai und Al-Ula hin und her und mit der Royal Jordanian kann man auch über Amman anreisen. Alle drei Zwischenziele werden von München oder zahlreichen anderen deutschen Flughäfen regelmäßig angeflogen.
ÜBERNACHTEN
Al-Ula besticht mit zahlreichen Luxus-Ressorts wie dem „Shaden Resort“, dem „Our Habitas Al-Ula“ oder dem „Banyan Tree“, in denen kein Wunsch unerfüllt bleibt. Wer es etwas ursprünglicher mag, ist im „Dar Tantora“, einem Hotel mitten in der Altstadt, in dem es zum Beispiel kein elektrisches Licht gibt, bestens aufgehoben.
VISUM
Deutsche Staatsbürger benötigen zur Einreise nach Saudi Arabien ein Visum. Das kann entweder vor Reiseantritt als E-Visum oder auch vor Ort als „Visa on Arrival“ beantragt werden. Je nach Wechselkurs kostet es rund 100 Euro.
SONSTIGES
Neben den zahlreichen kulturellen Schätzen der Region erweitert Al-Ula sein touristisches Angebot stetig. Für abenteuerlustige Besucher gibt es Ballonfahrten über Hegra im Sonnenaufgang, Klettertouren durch Canyons oder die längste Zipline des Landes. Wer es etwas entspannter mag, kann bei einem Altstadtbummel lokale Produkte entdecken, bei einem Besuch in der Oase frische Datteln kosten oder sich frei von jeglicher Lichtverschmutzung den Sternenhimmel über der Wüste erklären lassen. Und auch Großveranstaltungen wie Musikfestivals oder Marathon-Läufe werden regelmäßig veranstaltet. Weitere Informationen über Anreise, Aktivitäten und Veranstaltungen finden Sie hier:
www.experiencealula.com
www.rcu.gov.sa/en
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