Naturerlebnisse, Kulinarik, Aktivitäten: An der dänischen Westküste stehen die Uhren auf langsamen Tourismus und Nachhaltigkeit.
Er steht am Rand eines schmalen Waldwegs und bückt sich langsam, seine Augen fixieren den Boden. Mit einem kleinen Messer schneidet er einen Pilz ab und untersucht ihn. In seiner Hand hält Morten Vinding einen Apfeltäubling, erklärt er, einen Lamellenpilz mit rötlicher Kappe. Eigentlich ein guter Speisepilz, aber „der ist schon Rentner, also nicht mehr brauchbar,“ scherzt Morten und lacht, zeigt den von Würmern zerfressenen, hohlen Stiel und wirft den Pilz auf den Waldboden zurück.
Morten ist Ranger im Naturpark Vesterhavet an der dänischen Westküste und Experte im Schwammerlsuchen. Früher seien vor allem deutsche Touristen unterwegs gewesen, erklärt er, „aber in den letzten Jahren, besonders seit Corona, gehen immer mehr Dänen selbst in den Wald.“ Der Vorteil am Schwammerlsuchen in dänischen Wäldern: „Wir haben keine giftigen Pilze hier in Westdänemark – bis jetzt.“ Denn jedes Jahr, so berichtet er, werden bis zu 100 neue Arten entdeckt.
Plötzlich beginnt es zu tröpfeln – Morten stellt sich unter das dichte Dach aus Blättern und Nadeln. Wenige Meter entfernt sieht er eine gelb leuchtende Gruppe Pilze, geht darauf zu, bückt sich wieder und legt die Schwammerl in seinen Korb. „Das Gold im Wald, der Pfifferling“, schwärmt Morten Vinding.
Lautes Naturspektakel: Die Brunftschreie des Rotwilds
Doch Morten ist nicht nur ein Pilzexperte in seinem Revier. Im Naturpark kennt er fast jeden Baum und jedes Tier, das durch die weiten Wiesen und Wälder streift – und seine Begeisterung für Natur ist ansteckend. Seit 16 Jahren ist er Ranger im Park und führt Besucher bei verschiedenen Touren durch die Landschaft aus Wäldern, Heide und Dünen. Ob Deutsch, Englisch oder Dänisch – die Sprachen wechseln bei ihm mühelos. „Deutsch hab ich gelernt, als es in Dänemark nur einen dänischen und drei deutsche Fernsehsender gab,“ erzählt er und lacht.
Sein Revier, der Naturpark Vesterhavet erstreckt sich über 25 000 Quadratkilometer und umfasst Wälder, Seen und sogar einen Militärschießplatz. Besonders bekannt ist die Region für ihr Rotwild, das nach der letzten Eiszeit vor rund 12 000 Jahren eingewandert ist. „Früher war das hier das größte Rotwild-Reservat in Dänemark,“ sagt Morten. Heute leben im Frühling, bevor die Kälber zur Welt kommen, bis zu 2000 Rotwildtiere im Park.
Am Aussichtspunkt Pedersholmtårnet kann man Hirsche und Kühe beobachten. „Man kann auch ein gutes Naturerlebnis auf Distanz haben,“ betont er und zieht sein Fernglas aus seiner Jackentasche. Plötzlich ertönt ein lauter, röhrender Brunftschrei aus der Ferne. Beim Blick durch Mortens Fernglas sieht man, wie der Hirsch seinen Kopf in die Luft reckt, das Maul weit geöffnet, und sein mächtiges Geweih zeigt. Mitte September, wenn beim Rotwild die Brunft einsetzt, kommen viele hundert Besucher aus dem Umkreis und werden Zeugen des lauten Naturspektakels, wenn die mächtigen Hirsche sich als Alpha-Tier zu behaupten versuchen. Denn nur an wenigen anderen Orten lassen sie sich so gut beobachten wie im Naturpark Vesterhavet.
Raue Nordsee ein Paradies für Surfer
Neben Naturbeobachtungen im Süden der Region Vesterhavet, kommen Wassersportbegeisterte im Norden auf ihre Kosten. Der Küstenort Hvide Sande (ausgesprochen „Ville Senne“) ist ein Wassersport-Hotspot auf Holmsland Klit, einer Landzunge, die den Ringkøbing Fjord von der Nordsee trennt.
Und die raue Nordsee lockt nicht nur Profis, sondern auch Anfänger, die das Surfen ausprobieren wollen. An der Einfahrt eines Dünenhofs packt ein junger Mann mit gebräunter Haut, Tattoos und bunten Armbändern Surfbretter auf das Dach eines alten Bullis. Er zurrt sie fest, dann bringt er Neoprenanzüge für eine Gruppe Surfer aus der Garage.
Der Dünenhof ist das Surfcamp DriveThru, das neben Hvide Sande auch Camps in Sri Lanka und auf den Malediven betreibt. Seit zwei Jahren leitet die Hamburgerin Lea Badenhoop das Surfcamp. „Eine Freundin hat mich zu einem Surfurlaub in Dänemark überredet, und es hat mir so gut gefallen, dass ich kurz nach Hamburg zurückgegangen bin, meine Sachen gepackt habe und seither hier bin“, erzählt die junge Frau mit ruhiger Stimme und einem einladenden Lächeln.
Der private Zugang zum Ringkøbing Fjord sorgt dafür, dass die Gäste das Beste aus den Bedingungen vor Ort herausholen können. Und „wenn die Nordsee nicht die optimalen Bedingungen zum Kiten oder Surfen bietet, gibt es hier immer noch genug andere Aktivitäten,“ sagt Lea. Denn neben Kursen im Wellenreiten kann man hier auch Yoga, Kitesurfen und Stand-Up-Paddling ausprobieren, sich Fahrräder oder Longboards ausleihen.
Aber es sind nicht nur die sportlichen Angebote, die Hvide Sande auszeichnen – es ist auch das besondere Engagement der Einheimischen. Ein Beispiel dafür ist Daniel Sano Mirecki, der vor fünf Jahren die Initiative Omhu zum Schutz der Küste ins Leben gerufen hat. Den gebürtigen Hamburger und passionierten Surfer, der bis vor fünf Jahren als Schiffsmakler in Kopenhagen arbeitete, deprimierte der zunehmende Müll an den Stränden seiner neuen Heimat. Inspiriert vom altdänischen Wort „omhu“, das für „Pflege“ oder „Fürsorge“ steht, gründete er die Initiative mit dem Ziel, den Strand vom Müll zu befreien und die Menschen für das Problem zu sensibilisieren.
Dem Urlaubsort etwas zurückgeben
Seit dem Start 2020 hat Omhu bereits 30 Tonnen Müll gesammelt – mit Hilfe vieler freiwilliger Helfer. Denn während der Saison von Juni bis Oktober geht Daniel jeden Mittwoch um 9.30 Uhr mit Freiwilligen an den Strand, um Müll einzusammeln. Besonders freut ihn, dass die Mehrheit der Sammlerinnen und Sammler Touristen sind: „Das ist schön zu sehen, dass sie der Destination auch was zurückgeben wollen.“
Der Müll stammt aus unterschiedlichen Quellen: Fischereimüll wie Dollyropes, Heliumballons, die bei Feierlichkeiten in den Himmel steigen, und Verpackungsmüll aus Flüssen, der bis zu den Stränden von Hvide Sande gespült wird. Neben den wöchentlichen Aufräumaktionen klärt Omhu junge Menschen auch durch Schulprojekte auf. Ein Teil des Plastiks wird in der Werkstatt von Omhu geschreddert, eingeschmolzen und in neue, nützliche Produkte wie Schlüsselanhänger, Becher oder Kleiderhaken gegossen. So entsteht aus altem Abfall wieder Neues – ein nachhaltiger Kreislauf und für Daniel Sano Mirecki eine sichtbar bereichernde Arbeit: „Es hilft, der Strand ist wirklich sauberer geworden.“
INFORMATIONEN
Die Region Vesterhavet befindet sich an der Westküste Jütlands und liegt in Mittel-Dänemark.
ANREISEN
Mit dem Auto geht es durch ganz Deutschland, hier lohnt sich eventuell ein Zwischenstopp in Hamburg. Von dort sind es noch vier Stunden Fahrt bis ans Ziel.
ÜBERNACHTEN
Auf den Campingplatz Henne Strand Resort kann man mit Zelt, Wohnwagen oder Wohnmobil anreisen. Auch kleine Appartements mit Küche, Bad, Whirlpool und Sauna gibt es. Ansonsten nächtigen die meisten Urlauber in Dänemark in Ferienhäusern, die es mit einfacher bis luxuriöser Ausstattung zu mieten gibt.
REISETIPP
In der Hauptsaison von Juli bis August machen vorwiegend Dänen und Norweger Urlaub. Ab Mitte August kommen viele deutsche Touristen – dann sind auch die Preise oft günstiger.
www.visit-denmark.de
Volontärin Jasmin Eiglmeier recherchierte auf Einladung von Visit Denmark in der Region Vesterhavet.
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