Egal, ob Hartwegs Kiefer, Winterrinde oder Himalaja-Fichte – Chefgärtner Alwyn Sinnamon kennt sie alle. Er spaziert durch den Annesley Garden, verweist auf diese und jene Pflanze. Schnell wird klar: In diesem fünf Hektar großen Garten wächst die Welt. Im Norden Irlands können Bäume und Sträucher aus allen Ecken der Erde heimisch werden. Möglich macht dies die Nähe der Insel zum Golfstrom, der zum milden Klima beiträgt und ideale Bedingungen dafür schafft, dass sich auch exotische Pflanzen heimisch fühlen.
Annesley Garden
Der Annesley Garden ist Teil des Castlewellan Forest Parks, der sich knapp 50 Kilometer südlich von Belfast auf den Ausläufern der Mourne Mountains in der Grafschaft Down erstreckt. „Die Geschichte des Anwesens und Gartens geht über 250 Jahre zurück: 1741 hat die Familie Annesley das Herrenhaus von Castlewellan gekauft“, sagt Sinnamon.
In den nächsten zwei Jahrhunderten pflanzte die Familie über mehrere Generationen Tausende Bäume und ließ auf diese Weise das Arboretum entstehen, in dessen Zentrum von Mauern umgeben der Annesley Garden liegt. „Es war zunächst eher ein Küchengarten, aber William Richard Annesley, der 4. Earl, stellte eher die künstlerischen Elemente in den Vordergrund und gestaltete den Garten mit Brunnen und Gewächshäusern um. Irgendwann einmal gab es auf dem Anwesen 22 Gewächshäuser“, so der Gärtner.
Es war aber vor allem der 5. Earl Hugh Annesley, der im Garten wichtige Akzente setzte. „Er war ein großer Gartenfan und gleichzeitig auch ein Hobby-Fotograf und einer der ersten Menschen in Nordirland, die eine Kamera besaßen.“ Hugh Annesley gestaltete in den 1850er Jahren zusammen mit seinem Chefgärtner Thomas Ryan Wege zwischen den Bäumen, sorgte für Aussichtspunkte zum Meer und pflanzte rund 3000 Bäume und Sträucher. Dadurch wuchs die botanische Vielfalt des Arboretum, dessen Baum- und Strauchsammlung heute mit einer Fläche von 45 Hektar zu den bedeutendsten Europas zählt.
In den 1960er Jahren verkaufte die Familie das Anwesen an das Landwirtschaftsministerium, 1969 wurde der Park für die Öffentlichkeit zugänglich. „In den 80er und 90er Jahren wurde das Anwesen wegen fehlender finanzieller Fördermittel vernachlässigt, jetzt gehört es dem Council“, sagt Alwyn Sinnamon. Seit 2014 arbeitet er in Castlewellan. Sein Traum? Dem Garten wieder zu dem Glanz verhelfen, den er zu Zeiten Hugh Annesleys hatte.
Montalto Estate
Mitten im County Down, südlich der Stadt Ballynahinch, liegt das Anwesen Montalto Estate, das in das 16. Jahrhundert zurückgeht. Chefgärtnerin Lesley Heron öffnet das Tor zum großen Gelände. Besucher können hier über 200 alpine Pflanzenarten bestaunen, durch den Obstgarten wandern oder an einem malerisch gelegenen See vorbeispazieren.
Montalto ist bekannt für seine gepflegten Gärten. Seit 2018 sind rund 60 Hektar des ungefähr 160 Hektar großen Geländes öffentlich. Im selben Jahr stellte sich heraus, dass sich auf dem Anwesen noch ein Garten mehr verbarg, als davor angenommen worden war. „Der Lost Garden, der etwa 1910 angelegt worden war, ist jetzt offiziell Teil der Gartenanlage“, sagt Heron. „Die Wege waren zugewachsen, aber als wir anfingen, den Garten herzurichten, fanden wir unter anderem ein viktorianisches Gewächshaus, in dem das Wasserheizsystem und der Boiler noch vorhanden waren.“ Das Team richtete Brücken und Wege wieder so her, wie diese Anfang 1900 wohl gewesen waren.
Seit ungefähr zweieinhalb Jahren arbeitet Lesley Heron als Chefgärtnerin auf dem Anwesen. Ihre Expertise als Landschaftsbau-Unternehmerin ist auch an Filmsets gefragt: „Ich bekam 2021 einen Anruf, ob ich bei der Gestaltung der Szenen für den Film Dungeons & Dragons helfen könnte.“ Drehs mit Stars wie Chris Pine oder Hugh Grant fanden unter anderem in Clandeboye Estate, Tollymore Forest, Ballintoy Beach und Carrickfergus Castle statt. „Wir haben Tausende Pflanzen und Bäume zu den Sets gebracht. Für eine Szene habe ich dann auch einen Garten entworfen“, sagt Heron. Ihr neues Projekt: In den Titanic Studios in Belfast wird aus dem Animationsfilm „Drachenzähmen leicht gemacht“ ein Spielfilm. „Da bin ich in beratender Funktion tätig“, sagt Heron.
Mount Stewart
Am Ufer des Meeresarmes Strangford Lough gelegen, erstreckt sich das Anwesen Mount Stewart über knapp 400 Hektar. Der Wind fährt leicht durch die Bäume, streicht über die große Rasenfläche, die Blumen und Pflanzen. Chefgärtner Mike Buffin steht vor dem Herrenhaus, an dessen grauen Steinwänden Efeu rankt. Während sich das Haus nur geringfügig veränderte, wurde die Anlage größer und größer. Besucher, die heute durch die Gärten spazieren, begeben sich auf eine Tour durch die Geschichte des Anwesens. In den 1780er Jahren wurde es der Wohnsitz der Familie Stewart. „Sie wurden relativ schnell in die britische Adelsschicht aufgenommen“, sagt Buffin. Die Familie erhielt einen nordirischen Adelstitel, Marquess von Londonderry.
Einer Person haben die Gärten ihre Extravaganz und Vielfalt zu verdanken: Lady Edith, die siebte Marchioness von Londonderry. 1921 kam sie mit ihrem Mann Charles nach Mount Stewart. „In den nächsten 30 Jahren hat sie den Garten zu dem gemacht, den Besucher heute sehen – einen der außergewöhnlichsten Gärten, die es gibt.“ Und das, obwohl Lady Edith keine erfahrene Gärtnerin war: „Sie probierte sich einfach aus, aber kreierte gleichzeitig einen Garten, der es auf die Liste mit Anwesen schaffte, die möglicherweise als Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen werden.“
Mike Buffin durchstreift die Anlage, zu der ein italienischer und ein spanischer Garten genauso gehören wie ein „Sunken Garden“ und ein „Shamrock Garden“. Farne, chilenische Feuerbüsche, Narzissen, Rhododendren, Pflanzen aus Tasmanien oder Indonesien – „Lady Edith sammelte verschiedenste Pflanzen, und zwar unglaublich viele in kurzer Zeit. Alles, was neu und schwierig zu kaufen war, wollte sie haben.“ Eine besondere Vorliebe hatte sie für Riesen-Lilien „sie hatte wohl 2000 bis 3000 davon im Garten“. Buffins Plan? „Wir wollen auch wieder diese Anzahl an Riesen-Lilien erreichen.“ Er kaufte 600 Exemplare der Lilienart Cardiocrinum giganteum und 1000 weitere Lilien unterschiedlichster Arten. Für Lady Ediths Garten – und für das grüne Gedächtnis Nordirlands.
Redakteurin Laura Müller reiste auf Einladung von Tourism Ireland in die Grafschaft Down in Nordirland.
Die Grafschaft Down in Nordirland liegt südlich von Belfast und ist von den Mourne Mountains durchzogen, einem Gebirgszug aus Granit.
ANREISEN
Aus Deutschland wird Irland/Nordirland (Dublin, Cork, Kerry, Knock, Belfast) direkt angeflogen von Aer Lingus, Lufthansa, Ryanair und Eurowings. Reiseveranstalter und Fluggesellschaften bieten günstige Fly&Drive-Angebote an. Es bestehen direkte Fährverbindungen mit Irish Ferries, DFDS, Stena Line, Brittany Ferries von Cherbourg, Dünkirchen, Roscoff nach Rosslare, Cork und Dublin; über Großbritannien gibt es weitere Routen.
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