Reisereportage
Leben wie der Papst in Frankreich

23.11.2024 | Stand 23.11.2024, 5:00 Uhr |

Eine wahrlich schöne Aussicht auf den Papstpalast von Avignon hat man zum Beispiel von den Gartenanlagen von Saint André vom gegenüberliegenden Ort Villeneuve-lès-Avignon aus.  − Fotos: Sabine Heinritz

Für zwei Dinge ist die südfranzösische Stadt Avignon weltberühmt: die Brücke über die Rhône und die Vergangenheit als Papstresidenz. Beides gehört zum Pflichtprogramm der Touristen, aber es gibt noch viel mehr zu entdecken innerhalb und außerhalb der historischen Stadtmauern.

Dank des gut ausgebauten Bus- und Bahnnetzes braucht es nicht unbedingt ein Auto, um die Ortschaften rund um Avignon zu entdecken. Zeit nehmen sollten sich die Besucher aber schon, um die Reize der Provence zu entdecken. Im Rhônetal liegen einige der besten und bekanntesten Weingüter wie Chateauneuve-du-Pape und auf den Märkten gibt es nachhaltig angebautes Obst und Gemüse sowie Fleisch und Meeresfrüchte in bester Qualität, das in den Küchen der Restaurants zu Menüs für Feinschmecker verarbeitet wird. Regionale Produkte, traditionell und oft in Handarbeit hergestellt, liegen im Trend. Das zeigen Siegel wie „Les fabricateurs“, die an vielen Schaufenstern im Zentrum von Avignon kleben und auf regionales Kunsthandwerk im Sortiment hinweisen.
 Wenn Jean-Louis Brun Besucher durch seine Wollspinnerei und Weberei „Brun de Vian Tiran“ in Isle-sur-La-Sorgue führt, stehen althergebrachtes Handwerk und moderne Technik gleichberechtigt Seite an Seite. Der Juniorchef verkörpert die achte Generation an der Spitze des Unternehmens, das vor 210 Jahren gegründet wurde. Jahrhundertelang war Avignon bekannt für die Seiden- und Stoffproduktion. Das hübsche Örtchen Isle-sur-la-Sorgue, 30 Kilometer östlich von Avignon, war dank des Flüsschens ideal geeignet zur Wollspinnerei. Von einem kleinen Betrieb mit vier Angestellten erweiterten die Vorgänger-Generationen die Spinnerei im Lauf der Jahre zu einer Fabrik mit über 40 Angestellten. Während die meisten anderen Betriebe nach und nach aufhören mussten, überstand „Brun de Vian-Tiran“ das Sterben der heimischen Textilindustrie.

Alpaka aus Peru und Kaschmir aus der Mongolei

„Der Schritt zum weiterverarbeiteten Produkt garantierte das Fortbestehen“, erläutert Jean-Louis Brun. Der zweite Erfolgsfaktor war das unbedingte Setzen auf Qualität, sei es bei der Auswahl der verarbeiteten Wollqualitäten, der schonenden Weiterverarbeitung oder der eigenen Designabteilung. Heute verarbeitet das Unternehmen nur beste Wollqualität: Alpaka aus Peru, Kaschmir aus der Mongolei, Kamelhaar aus Zentralasien. Für die Merinowolle hat „Brun de Vian-Tiran“ 15 Züchter in Südwestfrankreich unter Vertrag, deren rund 20 000 Schafe eigens gezüchtet werden, um die Anforderungen an die Qualität zu erfüllen.
 Die superleichten und flauschigen Decken, Plaids und Schals gehen für drei- bis vierstellige Eurobeträge über den Ladentisch. Angesichts des aufwendigen Verarbeitungsprozesses sind die Preise angemessen. Brun de Vian-Tiran bietet sogar lebenslange Garantie auf die Produkte.
 Für weniger Tradition, aber umso mehr Innovation steht Cécile Chappuis. Sie nützt recycelte Kartons zur Gestaltung von filigranen, geometrischen Objekten. Angefangen hat sie mit schicken Geschenkboxen, dann gestaltete sie Spiegelrahmen und Bilderrahmen. Inzwischen hat sie auch Lampenschirme und sogar eine Kommode aus Pappschachteln konstruiert, die sie in ihrem kleinen Showroom, Laden und Atelier „Carton noir“ im Zentrum von Isle-sur-la-Sorgue ausstellt. Museen und Kunstsammler bezahlen hohe Preise für die kostbar und antik wirkenden Rahmen. Dabei ist deren Materialwert gering, die Leistung steckt in der exakten Handarbeit. „Die Preise hängen vom Aufwand ab. Die Rahmen können je nach Größe zwischen 50 und 5000 Euro kosten“, erklärt Cécile Chappuis. Cuttermesser, Kleber, Karton, Pinsel, Lineal und Winkel – mit diesen simplen Werkzeugen baut Cécile Chappuis ihre ikonische Kartonkunst.

Am rechten, gegenüberliegenden Ufer der Rhone befindet sich das Städtchen Villeneuve-lès-Avignon, bekannt für den zweitgrößten Antikmarkt Frankreichs, der jeden Samstagvormittag auf dem großen Parkplatz am Rand des Zentrums abgehalten wird. Mit dem Fahrrad sind Besucher in rund fünfzehn Minuten dort. Die Tour lohnt sich schon wegen der schönen Aussicht auf die Stadtmauern, den Papstpalast und die Brücke von Avignon.

Unterwegs mit dem Fahrrad, dem E-Bike oder zu Fuß

Über private Anbieter oder den Radservice Vélopop’ kann man sich ein Fahrrad ausleihen und hinüberradeln. Zu Fuß lässt sich das mittelalterliche Städtchen gut erkunden. Mitten im Zentrum liegt das von Papst Innozenz VI gegründete Karthäuserkloster Chartreuse Notre-Dame-du-Val-de-Bénédiction, heute Sitz eines internationalen Kulturzentrums, das Dramatiker und Autoren beherbergt. Bergauf geht es zum Fort Saint-André. Die ehemalige Benediktiner-Abtei auf dem Gelände ist heute in Privatbesitz, die Räume können im Rahmen einer Führung besichtigt werden. Sehenswert sind auch die weitläufigen Gartenanlagen, die frei zugänglich sind und einen weiten Blick auf den Papstpalast und das Rhônetal ermöglichen.

Ein E-Bike empfiehlt sich für Radtouren in der Umgebung von Carpentras. Hin und zurück geht es mit der Bahn. Ab dem Städtchen dient eine ehemalige Bahntrasse als Radweg und führt durch durch die hübschen Dörfer und Weingüter. An der südlichen Seite der Bergkette Dentelles de Montmirail, auf 300 Metern Höhe gelegen, erstreckt sich über 112 Hektar das Anbaugebiet der Domaine de Coyeux. Bei einer Weinprobe auf der sonnigen Terrasse können sich die Besucher nach der Anstrengung des Anstiegs fühlen wie damals die Päpste in Avignon.


Redakteurin Sabine Heinritz erkundete Avignon und Umgebung auf Einladung von Avignon Tourisme mit dem Fahrrad, dem E-Bike, Bus und Bahn.


Die Stadt Avignon liegt im Département Vaucluse in der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur und hat etwa 90 000 Einwohner, 15 000 leben innerhalb der alten Stadtmauern. Avignon wird auch „Stadt der Päpste“ genannt, weil sie von 1309 bis 1376 Papstsitz war.

ANREISEN
Ab dem Flughafen München ist Marseille in knapp zwei Flugstunden erreichbar, z.B. mit Lufthansa. Ab Marseille fahren stündlich Züge nach Avignon (Dauer etwa eine Stunde und 15 Minuten). Der Schnellzug TGV fährt den Bahnhof Avignon auch direkt an.

ÜBERNACHTEN
Hotel de Cambis, www.hoteldecambis, innerhalb der Stadtmauern in Bahnhofsnähe. Frühstück mit Produkten aus der Region.

ESSEN
La Fourchette, 17 rue racine, Avignon (keine Website)
L'Agape, www.restaurant-agape-avignon.fr
Agastache in Isle-sur-la-Sorgue, www. agastache-restaurant.fr

www.www.provenceguide.com

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