Reise-Reportage
In Jerusalem erzählt jeder Stein eine Geschichte

11.05.2024 |
Jasmin Eiglmeier

Von der Dachterrasse des österreichischen Hospizes sieht man über die gesamte Altstadt Jerusalems bis zur weltberühmten goldenen Kuppel der al-Aqsa-Moschee. − Fotos: Jasmin Eiglmeier

Seit dem Ausbruch des Gazakrieges besteht eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts für ganz Israel. Viele Bewohner sehnen ein rasches Ende des Konflikts herbei – auch um ihre Hauptstadt Jerusalem, eine friedliche Melange aus Religionen und Kulturen, der Welt wieder präsentieren zu können.

Von den antiken Gebäuden der Altstadt bis zu den modernen Siedlungen am Rande der Hauptstadt: Alles in Beige, alles aus Kalkstein der umliegenden judäischen Berge. Doch Jerusalem vereint seine alte und neue Geschichte nicht nur in einer einheitlichen Architektur, sondern auch in gelebter Tradition und im Zusammenleben verschiedenster Religionen.

Via Dolorosa: 600 Meter Gebet und Andacht

Gerade in der Altstadt Jerusalems mit ihren vier Vierteln ist an jeder Ecke spürbar, wie die Geschichte die Stadt auch heute noch prägt. Umgeben von einer antiken Stadtmauer teilt sich der Quadratkilometer Altstadt in ein jüdisches, ein muslimisches, ein christliches und ein armenisches Viertel. Enge Gassen, die von Menschen aller Religionen geteilt werden, schlängeln sich durch die nah aneinander gebauten Häuser. Weder die auf den Dachterrassen spürbare Hitze noch andere äußere Einflüsse erreichen die geschäftigen Menschen dazwischen. Mit Handkarren, vorgespannten Eseln oder Motorrädern transportieren sie Waren aller Art, Gemüse und Obst durch die Altstadt. Während es im muslimischen Teil wie auf einem Basar zugeht und die Händler ihre Güter anpreisen, geht es im christlichen Viertel ruhiger zu.

In diesem Teil endet auch die Via Dolorosa, die sich vom Löwentor bis zur Grabeskirche, dem heiligen Ort der Christinnen und Christen, erstreckt. Die etwa 600 Meter lange Via Dolorosa soll der Kreuzweg Jesu Christi gewesen sein. An der ersten Station ziert ein Handabdruck den hellen Kalkstein eines Hauses – hier soll sich Jesus auf den letzten Schritten vor seinem Tod abgestützt haben. Seither legen viele Besucherinnen und Besucher ihre Hand andächtig in die Vertiefung, schließen für einen Moment ihre Augen und beten.

Anziehungspunkt für Juden aus der ganzen Welt

Nur wenige Meter entfernt, im jüdischen Viertel der Altstadt, befindet sich die bedeutendste Stätte jüdischer Geschichte, die Klagemauer. Die 18 Meter hohe Mauer ist das letzte Überbleibsel eines antiken jüdischen Tempels, der im Jahr 70 n. Chr. von den Römern zerstört wurde und dient heute als heilige Gebetsstätte. In der ruhigen, sakralen Atmosphäre stärken nicht nur orthodoxe Jüdinnen und Juden ihre Verbindung zu Gott. Auch viele moderne, oft weniger gläubige Juden kommen hierher, lesen in der Thora oder danken Gott. Aber auch Touristinnen und Touristen können sich – nach Geschlechtern getrennt – der Mauer nähern und ebenfalls ihre Danksagungen und Wünsche auf kleine Zettel schreiben und in die Ritzen der Mauer stecken.

Das altertümliche Jerusalem zur Zeit des Tempels lässt sich in der „City of David“, benannt nach König David, auf dem Ophel-Hügel besichtigen. Wo vor wenigen Jahren noch Autos parkten, graben heute Archäologen im Kalkstein nach Überbleibseln aus vergangenen Jahrhunderten, erzählt Tourguide Shira Allen. Die junge Frau stammt aus dem US-amerikanischen Staat Utah und migrierte vor einigen Jahren mit Anfang 20 allein von den USA nach Israel, um dort den Wurzeln ihres Glaubens näher zu sein. Der Ort sei für Historiker deshalb so ergiebig, meint Shira, weil Völker ihre Paläste und Häuser immer wieder übereinander bauten. So komme mit jeder abgetragenen Schicht Kalkstein Neues zu Tage. In der archäologischen Wunderkammer seien schon Fundamente von Palästen mit sechs Meter dicken Mauern und – die Reiseführerin zeigt in ein kleines gemauertes Kämmerchen – uralte Aborte zum Vorschein gekommen. Anhand der dort gefundenen Überbleibsel konnte man auch Rückschlüsse auf die Ernährung der Israeliten vor Tausenden von Jahren ziehen. Das Alter eines gefundenen Olivenkerns wurde bei Laboruntersuchungen zum Beispiel auf 1000 v. Chr. bestimmt.

Emotionaler Rückblick auf jüdische Großmutter

Die vielleicht bemerkenswertesten Funde in der „City of David“ seien antike Stempel, schwärmt Shira Allen. Darauf hebräische Namen, etwa „Jehucal“. Dieser Name eines Priesters wird auch in der Bibel im Buch Jeremia im Alten Testament erwähnt. Für viele Gläubige wie auch die Jüdin Shira ist das ein Beweis für die Wahrhaftigkeit der Bibel.

Nicht nur für die junge Amerikanerin war Jerusalem ein Anziehungspunkt – Jüdinnen und Juden aus aller Welt kommen in „ihre Heimat zurück“. Sie verlassen ihr gewohntes Umfeld, Familie und Freunde und lassen sich in dieser Stadt nieder. So wie Michal Hess Zulfan. Die gebürtige Schweizerin ist eine der wenigen, die deutschsprachige Führungen durch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem anbietet. Als europäische Jüdin hat sie eine sehr persönliche Familiengeschichte zu erzählen, die die Zahl von sechs Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden greifbar macht.

Michals Großmutter arbeitete als Krankenschwester und Hebamme in Amsterdam, bevor sie Anfang der 1940er Jahre auf die Liste der zu deportierenden Juden gesetzt wurde. Dem ersten Deportationsversuch entging sie durch eine vorgetäuschte Krankheit. Beim zweiten Mal versteckte sich Michals Großmutter bei Freunden. Der feste Glaube, dass der Krieg nur noch Tage, Wochen oder wenige Monate dauern würde, ließ sie jahrelang in ihrem Versteck überleben. Michal Hess Zulfan erzählt ihre Familiengeschichte nicht vorwurfsvoll. Zwar müsse man die Dunkelheit kennen, sagt Michal, aber vor allem sollten die Menschen heute „Licht in die Welt bringen“, wünscht sie sich.

Kulinarische Einflüsse aus allen Himmelsrichtungen

Obwohl Israelis dunkle Zeiten gut kennen, Konflikte und Gewalt ständige Begleiter sind, sind sie ein weltoffenes Volk, reisen selbst viel, sind interessiert an anderen Kulturen. Der Mix vieler verschiedener Kulturen zeigt sich zum Beispiel am Esstisch, wo sich mediterrane und arabische Einflüsse vereinen. Allein die Bezeichnung „Shakshuka“, eine Kombi aus pochiertem Ei mit Tomatensoße, Zwiebeln und Chili, bedeutet aus dem Arabischen übersetzt einfach nur „Mischung“.

Empfehlenswert sind auch Hummus, ein Dip aus Kichererbsen, und Tahini, eine Sesampaste. Beide gibt es in verschiedenen Geschmacksrichtungen und sie werden zusammen mit Fladenbrot gegessen. Neben Fleisch werden in israelischen Restaurants auch viele Fischgerichte, israelischer Wein und selbst gebrautes Bier serviert.

Eine große Auswahl davon findet sich im „Beerbazaar“ im Yehuda Market wieder. An der Bar können Gäste über 100 israelische Biere, Craft-Biere und andere alkoholische Getränke probieren. Dazu gibt es Gerichte mit und ohne Fleisch wie Hotdogs, Burger, Sandwiches und gratis Popcorn. An den vielen anderen Ständen im Markt kann man sich an süßen und herzhaften Snacks, Haupt- und Nachspeisen satt essen. Günstig lassen sich dort viele aromatische Gewürze einkaufen – vom Salz aus dem Toten Meer bis zur Gewürzmischung für Quarks und Butter. Immer auch ein praktisches Mitbringsel für alle Daheimgebliebenen.

Zwischen „Gottesfurcht“ und „Frieden“

Der Name der israelischen Hauptstadt sei ein Sinnbild für die Stadt und ihre Einwohner selbst, erklärt Shira Allen in der „City of David“. Oft wurden die Stadt aus Kalkstein und ihre Bewohner angegriffen – häufig aus religiösen Gründen, ähnlich wie momentan. Dennoch haben sich ihre Bewohner in den tausenden Jahren an Zerstörung und Wiederaufbau nie unterjochen lassen − wohl auch wegen ihres unerschütterlichen Glaubens. Der Name Jerusalem, aus den beiden hebräischen Wörtern für „Gottesfurcht“ und „Frieden“ zusammengesetzt, zeigt die enge Verbindung zu Gott und den Wunsch der Bewohner nach Frieden. Egal ob das Gebet an Yahwe, Gott oder Allah gerichtet ist.


INFORMATIONEN

Die israelische Metropole Jerusalem ist eine der ältesten und bedeutendsten Städte der Welt. Sie fasziniert mit ihrer Mischung aus Geschichte, Kultur und Religionen. Das moderne Jerusalem zeigt sich aber auch überraschend vielseitig.

ANREISEN

Die israelische Fluggesellschaft ELAL fliegt momentan unregelmäßig, Lufthansa täglich von München und Frankfurt den Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv an. Von dort gibt es Busse, Taxis und einen Schnellzug nach Jerusalem.

ÜBERNACHTEN
Mitten im muslimischen Viertel der Altstadt befindet sich eine kleine österreichische Enklave, das sogenannte österreichische Hospiz. Beim Betreten fühlt man sich an ein Wiener Hotel erinnert, Apfelstrudel und Verlängerter werden im Kaffeehaus von jungen Österreichern serviert. Im Hospiz bekommt man günstige Zimmer, die man aber oft schon über ein Jahr im Voraus buchen muss. Auf dem Dach bekommen auch Besucher für ein paar Schekel einen wunderbaren Blick über die Altstadt.

WISSENSWERT

Währung: In Israel wird mit Schekel bezahlt, ein Euro sind etwa vier israelische Schekel (ILS). In fast allen Restaurants, Hotels und sogar an Marktständen kann man bargeld- und kontaktlos mit Kreditkarte bezahlen.
Shabbat: Von Sonnenuntergang am Freitag bis Sonnenuntergang am Samstag ist Shabbat. Geschäfte, Behörden und einige Restaurants sind geschlossen, öffentliche Verkehrsmittel stehen still.
Sprache: Die Amtssprache ist Hebräisch, aber die Mehrheit der Israelis spricht sehr gut Englisch.

Sicherheit: Aktuell gilt eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts für Reisen nach Israel und in palästinensische Gebiete. Vor einer Reise kann man sich auf der Homepage auswaertiges-amt.de über Risiken informieren.

www.itraveljerusalem.com


Volontärin Jasmin Eiglmeier recherchierte auf Einladung der Tourismusagentur iTravelJerusalem kurz vor Kriegsausbruch im Oktober in der Heiligen Stadt.

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