Reisebericht
Floridas geheime Naturparadiese

07.09.2024 | Stand 07.09.2024, 5:00 Uhr |

Prächtiger Sonnenaufgang am Strand von New Smyrna Beach: Die Mädels halten mit ihren Handys den besonderen Moment fest. Noch wird die Gegend als Geheimtipp unter Touristen gehandelt.  − Fotos: Stöcker-Gietl 

In New Smyrna Beach und Martin County gibt es abseits der üblichen Reiserouten im Sonnenstaat Florida noch Naturparadiese zu entdecken.

Kurz nach sieben Uhr. Am Strand von New Smyrna Beach sind Jogger und Radfahrer unterwegs. Auch einige Pick-ups cruisen entlang der speziell ausgewiesenen, sandigen Autostrecke an der Promenade. Die Frühaufsteher sind hier, um den fulminanten Sonnenaufgang zu erleben. So wie die vier Highschool-Mädels, die ihre Smartphones in Richtung Atlantik positionieren. Sie werden nicht enttäuscht. Wie ein Feuerball erhebt sich um 7.28 Uhr der Fixstern, taucht den Himmel über dem Atlantik in sattes Rot und Orange. „Wow“, rufen die Mädchen, während sie sich vor dem Himmelsspektakel mit Schmollmund und wehendem Haar fotografieren. Auf Instagram und TikTok warten ihre Freunde auf neuen Content.

Letzter Wohnort von TV-Legende Bob Ross

Beste Werbung für einen Ort, den Urlauber auf ihren Routen durch Florida noch nicht ganz so oft auf dem Schirm haben, wie Erin Cramer von der Tourismusorganisation Visit Florida sagt. Dabei zählt der Atlantikabschnitt mit 27 Kilometern feinstem Sandstrand – nur eine halbe Stunde entfernt vom Weltraumbahnhof Cape Canaveral – zu den „Best Surf Towns in America“. Die ersten von ihnen sind schon beim Sonnenaufgang auf dem Wasser.

Dan Askin betreibt in New Smyrna Beach ein Geschäft mit Pedego Electric Bikes. Wie ein Mofa lassen sich die Zweiräder beschleunigen. Damit wird die Tour auch für weniger sportliche Gäste zu einem entspannten Erlebnis. „Aber haltet euch an die Geschwindigkeitsbeschränkungen“, mahnt Dan. Wir cruisen am Strand entlang, dann durch die Straßen der Kleinstadt, in der die bunt bemalten Holzhäuser eine sommerliche Leichtigkeit verbreiten. In den Gärten blühen Hibiskus und an den Bäumen hängen Zitrusfrüchte. Vielleicht war es diese Farbenpracht, die den Landschaftsmaler Bob Ross, der mit seiner Fernsehsendung „Joy of Painting“ auch in Deutschland ein Millionenpublikum erreichte, hierher zog. Bob Ross starb 1995 in New Smyrna Beach.

Eine gute Stunde ist die zweitälteste Stadt des Landes mit dem Auto vom Trubel Orlandos entfernt. Wer nach den Themenparks Strand und Kultur sucht, der findet es hier. Im gepflegten Historic District rund um die Canal Street verbreiten denkmalgeschützte Häuser den Charme vergangener Zeiten. Am Strand gibt es Surfkurse und Yoga oder geführte Kajak- oder Stand-up-Paddle-Touren durch die Flusslagune. In den Restaurants stehen fangfrische Fische und Meeresfrüchte auf den Karten und auch der karibische Einfluss bereichert die Küchen mit seinen farbenfrohen Gewürzen. In Norwoods Treehouse sollte man nach Coconut Curry, Steak oder grilled Grouper einen Cocktail in der Baumkrone genießen. Die Mädels vom Sonnenaufgang sind abends ein paar Meter weiter auf der Flagler Avenue unterwegs. Wenn die Läden mit Badetüchern, Fußkettchen und Souvenirs schließen, ist hier Party angesagt.

Von der bunten Feiermeile ziehen wir weiter nach Martin County. Die Region liegt ebenfalls an der Ostküste, nördlich von West Palm Beach. Martin County vermarktet sich als Stück vom Paradies, das bisher unter dem Radar der Touristenströme läuft.

Mondänes Publikum und weiße Villen in Martin County

Auch hier gibt es kilometerlange Sandstrände. Das Publikum ist aber ein völlig anderes als in New Smyrna Beach. Mondän trifft es wohl am besten. Hier leben oder urlauben amerikanische Sportstars und Unternehmer. Es wird mit Stein und nicht mit Holz gebaut. Architekten zirkeln die Straßenzüge. Gerade steht eine Villa zum Verkauf, erzählt unsere Begleiterin auf dem Weg zum „House of Refuge“. Zwölf Millionen Dollar will der Eigentümer.

Das „House of Refuge“ ist das älteste Gebäude in der Region. 1875 wurde es errichtet. Zehn dieser Gebäude gab es einst an der Ostküste Floridas, in denen Schiffbrüchige Zuflucht fanden, wie wir bei einem Rundgang in dem kleinen Museum erfahren. Auch wir setzen am Abend die Segel, wie einst die Seefahrer und erkunden in einem historischen Segelboot den St. Lucie River. Im Abendrot steuert uns Captain Fred Newhart vorbei an den weißen Villen entlang der Uferpromenade. Wir halten Ausschau nach den Manatees. Obwohl wir ohne Motorgeräusche dahingleiten, zeigen sich die scheuen Seekühe nicht. So wird es auch am nächsten Tag sein.

Mit den Naturguides Amelie und Anna Grace geht es im Boot hinaus zur Vogelbeobachung in den St. Lucie Inlet Preserve State Park und zum Hobe Sound National Wildlife Refuge. Ausgestattet mit Bestimmungskarten und Ferngläsern beobachten wir die bunte Vogelwelt. Hier leben Pelikane, Graureiher und Fischadler. Auch ein paar Delfine begleiten uns. In dieser Ecke Floridas befindet sich ein besonderes Ökosystem – das wohl artenreichste der nördlichen Hemisphäre. In den Mangrovenwäldern und Seegrasfeldern leben viele bedrohte Tiere. In Martin County beginnen auch die Korallenfelder, die sich zu den Florida Keys erstrecken.

Und etwa 1800 Schildkrötennester sind im Frühjahr an den Sandbänken zu sehen. So viele wie nirgendwo sonst in Florida. Am Strand machen deshalb Schilder die Badegäste darauf aufmerksam, sich rücksichtsvoll zu verhalten. Die frischen Nester werden zudem mit Bändern gekennzeichnet, um sie vor tapsigen Strandgästen zu schützen. Im Hotel werden wir aufgefordert, am Abend die Vorhänge in den Zimmern zuzuziehen, um die Tiere nicht durch künstliches Licht zu verstören. Die Schildkröten, das wird deutlich, liegen den Menschen hier sehr am Herzen.

Auch wenn Keys, Everglades und Themenparks bei vielen Florida-Reisenden nicht fehlen dürfen, lohnt es sich, die üblichen Routen zu verlassen. Für einzigartige Natur und Instagram-taugliche Sonnenauf- und -untergänge an Stränden, wo sich noch nicht so viele Touristen drängeln. Zumindest noch nicht.

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