Von Johanna Richter
Die Normandie ist mehr als D-Day und Jeanne D’ Arc. Die Geschichte der französischen Region reicht weit zurück und wird von den jungen Normannen gerade wiederentdeckt. Zwei Beispiele zeigen, wie.
„Ich will, dass wir wieder stolz darauf sind, Normannen zu sein.“ Diesen Satz hört man gleich mehrmals auf dieser Reise zwischen dem französischen Rouen und Caen. Von ganz unterschiedlichen Leuten, etwa dem jungen Gründer, ganz in Schwarz gekleidet, der mit einem Glas Bier in der Hand inmitten einer alten, baufälligen Kirche steht. Oder dem breitschultrigen Hünen in weißem Leinen, das lange, rote Haar zu einem Zopf gebunden, der rote, krause Bart lässt ihn verwegen wirken. Er hält Kalkstein in der Hand und steht vor gemauerten Steinreihen, die einmal eine Kirche werden sollen.
Wikinger gründeten einst die Normandie
Die Normandie, das ist für viele die Region im Norden Frankreichs, unweit von Paris gelegen, durch die man hindurchfährt, um in die Bretagne mit ihren malerischen Küsten und Häfen zu gelangen. Doch auch die Normandie hat einiges zu bieten und setzt dabei auf nachhaltigen Tourismus. Surfen, segeln, Boot fahren, wandern, Rad fahren auf insgesamt 700 Kilometern Radwegen.
Wer die Region entdecken will, kommt nicht um ihre facettenreiche Geschichte herum. Der Wandteppich von Bayeux, der die Eroberung Englands durch den Normannenherzog Wilhelm den Eroberer darstellt, ist in jener normannischen Stadt zu finden, die der Tapisserie ihren Namen verliehen hat. Statuen von Jeanne d’Arc zieren viele Städte. In Rouen, der Stadt in der die französische Nationalheldin verbrannt wurde, sind ihr gleich mehrere Denkmäler gewidmet.
Die sogenannten D-Day-Strände, an denen 1944 die Alliierten gelandet sind und mit denen im Zweiten Weltkrieg die lang geplante Eröffnung einer Westfront der Anti-Hitler-Koalition begann, sind weltberühmt und werden im 80. Jubiläumsjahr 2024 Mittelpunkt zahlreicher Gedenkveranstaltungen sein.
Und dann ist da noch die Geschichte mit der Normandie und den Wikingern, die in vielen Reiseführern, Prospekten, Führungen nur eine Randnotiz ist, und die doch viel mit der Identität der Normannen zu tun hat. Es heißt: Im Jahr 911 wurde die Grafschaft Rouen dem Wikingerführer Rollon in einem Abkommen mit dem König von Frankreich überlassen. Die Wikinger, auch „Nordmänner“ genannt, ließen sich auf diesem kleinen Stück Land im Westen Frankreichs nieder und gründeten so die Normandie.
Womit wir bei den anfangs erwähnten Männern in Rouen und Caen wären. Beide wollen sie auf unterschiedliche Weise dafür sorgen, dass sich die Normannen mit ihrer Wikingeridentität auseinandersetzen und anfreunden. Benoît Rousset hat mit zwei Mitgründern die wohl erste Brauerei samt Lokal aufgezogen, die in einer entweihten Kirche beheimatet ist. Ähnliche Konzepte gibt es schon in den Staaten oder in Amsterdam. Als Rousset durch Zufall auf die seit Jahren leerstehende Kirche in Rouen stieß und obendrein erfuhr, dass ob der leeren Staatskassen und fehlenden Renovierungsausgaben ein Wettbewerb ausgerufen war, der die beste Idee suchte, das alte Gemäuer mit Leben zu füllen, bewarben sich Rousset und seine beiden Mistreiter. Und gewannen mit ihrem „Ragnar“-Bier.
Ihr Konzept: Bier brauen, das den Geist der Wikinger verkörpert, besonders jenen des Ragnar Lothbrok, dänischer Wikingerführer und Bruder von Rollon, der 845 Paris und Westfrankreich überfallen haben soll. Dessen Leben wird lose auch in der Serie „Wikings“ nacherzählt, was einen der Mitstreiter, einen großen Wikingerfan, begeisterte. Das Trio ließ sich inspirieren und baute sie in die Produkte ein, erklärt Rousset, der betont: „Ich will, dass man auf die Wikinger stolz ist.“ 2019, kurz vor Pandemie und Lockdown starteten sie mit ihrer Kirchenbrauerei „L’Eglise Brasserie“.
Ihr Geschäft startete holprig und muss im Winter für drei Jahre jäh unterbrochen werden, denn die Kirche muss aufwendig renoviert und umgebaut werden. Mehrere Millionen Euro wird das kosten, die teils durch staatliche Hilfen, teils durch Spenden und das Geld der jungen Gründer aufgetrieben werden sollen. Die Mühe ist es ihnen wert, sie denken langfristig und der Erfolg der vergangenen paar Jahre gibt ihnen Auftrieb.
Noch mehrere Jahre wird sich auch ein Projekt gut 100 Kilometer weiter, nahe der Stadt Caen hinziehen. In Hérouville-Saint-Clair bauen über 100 Freiwillige ein Dorf auf, wie es zur Zeit der Wikinger und deren Vorgänger, der Karolinger, ausgesehen haben mag. Als Grundlage dienen ihnen alte Zeichnungen und Funde aus dieser Zeit. Seit 2011 nimmt das Lager Gestalt an, erzählt Pascale Crochemore, Präsidentin des Parc Historique Onravik. In der Kleidung und mit den Mitteln von damals bauen die Helfer Stein für Stein und Brett für Brett Häuser, Boote und Kräutergärten auf und geben den Besuchern des Parks Einblicke in das Leben in der Zeit zwischen 911 und 1066.
So wie der rothaarige Hüne, der die Wikinger-Kirche aufbaut. Sein Kollege gegenüber meißelt Felsen in die richtige Form, ein weiterer mischt den Mörtel an. Seit 2019 bauen sie an der Kirche. Wie lange es noch dauern wird? „Wir haben keine Ahnung“, sagt er. Die Wikinger damals wussten das ja schließlich auch nicht, Jahrzehnte vergingen, ehe Gotteshäuser damals fertiggestellt waren. Ihnen sei es wichtig, es wie damals zu machen, die Arbeit der Vorfahren zu zeigen und wertzuschätzen. Ein paar Meter weiter zeigt ein Fischer sein Handwerk und weist die Besucher gleich zurecht. Ein Wikinger? Ist er jetzt nicht, beteuert er, befindet er sich gerade doch auf Heimatboden. Zum Wikinger werden die Normannen in seiner Zeitrechnung nur, wenn sie auf hoher See auf Beutezug unterwegs sind.
Park mit inklusivem Ansatz
Auch Pascale Crochemore ist der Meinung: „Die Menschen müssen verstehen, dass man heute stolz auf die Geschichte der Region sein kann.“ Und zu der Geschichte gehöre eben nicht nur der D-Day. Die Wikingerzeit rücke aktuell immer mehr ins Bewusstsein der Menschen, vor allem junge Normannen interessierten sich dafür. „Wir wollen ein Projekt aufziehen, das alle Normannen verbindet.“ Dafür wurde ein inklusiver Ansatz gewählt. Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen bekämen im Park Halt und Strukturen vermittelt, könnten an einer Gemeinschaft teilhaben.
Auch das ist ein Projekt, das anzukommen scheint. Viele lokale Firmen unterstützen es, sodass der Park 2026 um ein Museumsgebäude samt Wikinger-Ausstellung erweitert werden kann. Die gute Resonanz zeigt sich auch an den steigenden Besucherzahlen. 27000 Besucher waren es 2022, in den nächsten Jahren sollen 60000 erreicht werden, sagt Crochemore. Noch seien 90 Prozent der Besucher Einheimische – viele Schulklassen besuchen den Park. Auch das soll sich wandeln. Man will internationaler werden, der Welt von dieser besonderen Verbindung zwischen Normannen und Wikingern erzählen.
INFORMATIONEN
Die Normandie ist eine Region in Nordfrankreich. Der Hauptort (in Frankreich Präfektur genannt) ist die Stadt Rouen. 3,325 Millionen Menschen leben in der Region, Rouen hat 114000 Einwohner, die zweitgrößte Stadt der Gegend, Caen, etwa 106000.
ANREISE
Die Normandie setzt auf Nachhaltigkeit und schmückt sich mit der Auszeichnung „Top 100“ der Green Destinations weltweit. Die Anreise mit dem Zug über Paris wird daher empfohlen, die Normandie selbst lässt sich auch wunderbar mit E-Auto oder E-Bike erkunden.
ÜBERNACHTEN
Etwa im Best Western Hotel de Dieppe in Rouen oder im Best Western Royal Hotel in Caen.
www.normandie-urlaub.com
Redakteurin Johanna Richter reiste auf Einladung von Normandie Tourismus, unterstützt von Calvados Tourisme, Caen Là Mer Tourisme und Rouen Tourisme in die französische Region.
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