Reisereportage
Die anderen Farben der rosa Stadt Toulouse

08.06.2024 | Stand 10.06.2024, 13:35 Uhr |

Die Architektur in Toulouse wird durch römischen Backstein und Ziegel bestimmt. Der Farbigkeit dieser Baumaterialien verdankte die Stadt ihren Beinamen „Ville rose“ (rosafarbene Stadt). − Foto: Rémi Deligeon, Agence d´ Attractivité Toulouse

Wegen der vielen Fassaden aus roten Ziegelsteinen ist Toulouse als die „Ville rose“, die rosafarbene Stadt, bekannt. Doch bei einem Besuch in der Hauptstadt der südfranzösischen Region Okzitanien wird deutlich, dass man dort auch violette und blaue Wunder erleben kann.

Wenn das Sprichwort „blau machen“ auf jemanden zutrifft, dann ist es Annette Hardouin. In ihrem Atelier in Toulouse hat sie sich ganz dieser Farbe verschrieben – das verrät schon allein ihr Erscheinungsbild. Ihre Kleidung: blau. Ihre Brille: blau. Die Armbänder um ihre Handgelenke: blau. Ihre Fingernägel: blau lackiert. Einzig ihr Mobiltelefon steckt in einer knallroten Schutzhülle – „sonst verlege ich es inmitten der ganzen blauen Sachen ständig“, sagt sie und muss kurz lachen.

Mit Hilfe der Pastel-Pflanze färbt die gebürtige Bielefelderin Stoffe blau und verarbeitet diese zu einzigartigen Kleidungsstücken, Tüchern oder Accessoires. Annette Hardouin kommt aus der Textil- und Modebranche, arbeitete lange in Paris, bevor sie 1999 mit ihrem Mann Yves nach Toulouse gezogen ist. Dort entdeckte sie die über viele Jahrhunderte in Vergessenheit geratene Tradition des Färbens mit Pastel für sich. „Von dem Moment an wurde unser Leben blau“, sagt sie.

Das „blaue Gold“ von Toulouse



Die Färberwaid, wie das Gewächs mit dem botanischen Namen „Isatis Tinctoria“ auf Deutsch heißt, wird auch das „blaue Gold“ von Toulouse genannt. Die Pflanze mit den gelben Blüten, die seit der Antike wegen ihrer heilenden Eigenschaften und ihrer Fähigkeit, einen sehr widerstandsfähigen blauen Farbstoff zu erzeugen, verwendet wird, machte Toulouse in der Renaissance reich. Das durch Pastel erzeugte Blau war im 16. Jahrhundert die begehrteste Farbe. Der Anbau der Pflanze und der Handel mit dem Farbstoff florierten. Die Händler von Toulouse häuften mit dem „blauen Gold“ große Reichtümer an. Manche ließen sich im Herzen der Stadt prächtige Patrizierhäuser erbauen, wie die von Jean de Bernuy oder Pierre d’Assézat, die man bei einer Führung durch die Stadt bewundern kann.

Mitte des 18. Jahrhunderts verdrängte jedoch Indigo – eine Färbepflanze, die schneller verarbeitet werden konnte – das Pastel, erzählt Annette Hardouin. Unter Napoleon III. lebte es kurz nochmal auf, um die Uniformen der napoleonischen Armee zu färben. Dann geriet es bis ins 20. Jahrhundert wieder in Vergessenheit. „Das Ehepaar Denise und Henri Lambert war es, das ab 1994 das Pastel hier in der Region wieder in den Vordergrund rückte“, sagt Annette Hardouin. „Mein Mann und ich hatten das Glück, die beiden im Jahr 2000 kennenzulernen.“ Seither sind auch sie von der Magie des Pastel verzaubert.

Es wirkt tatsächlich wie Zauberei, was da passiert, wenn Annette Hardouin zu färben beginnt. In eigens dafür angebotenen Workshops können Besucher diese Magie selbst erleben. Langsam, ganz langsam taucht die gebürtige Deutsche mit einem Holzstab ein Stück Natur-Stoff in ihr Färbebad, denn es darf kein Sauerstoff ins Wasser kommen. Nach etwa drei Minuten holt sie das Textil aus der Flüssigkeit – und es ist grün. Zunächst. Je länger es in Kontakt mit Sauerstoff kommt, desto mehr verändert sich die Farbe – bis der Stoff blau erstrahlt.

Was Urin mit dem Ausdruck „blau machen“ zu tun hat



„Wissen Sie eigentlich, woher der Ausdruck ,blau machen‘ kommt?“, fragt die Designerin. „Vom Pastel.“ Damit das Färbebad seine Magie entfalten kann, müssen dem Wasser neben dem Farbpigment weitere Bestandteile zugefügt werden. Unter anderem Säure. „Die Säure bekam man früher durch Urin von Männern. Um das Färbebad lebendig zu halten und den Bakterien im Wasser zu helfen, aktiv zu bleiben, musste immer wieder reingepinkelt werden. So gingen die Männer sonntags in die Toulouser Tavernen zum Trinken. Und am Montag machte man blau – man ging und lieferte seinen Urin bei den Färbereien ab. Daher kommt das Sprichwort. Ein Pinkler war damals ein sehr gut bezahlter Beruf“, sagt Annette Hardouin. Heutzutage nehme man freilich keinen Urin mehr, sondern Ammoniak.

Vor den Toren von Toulouse, in Labège, können Interessierte mehr über die Pastel-Pflanze erfahren: im Museum „Terre de Pastel“. Es wurde – wie man bei einer Führung erfährt – von einer privaten Initiative gegründet. „Die Stadt Toulouse ist zwar stolz auf die Pflanze, ihre Geschichte und ihre Verwendung, aber sie macht nichts daraus“, erklärt eine Mitarbeiterin die Intention der Gründer, das Wissen rund um die traditionsreiche Pflanze zu erhalten.

Auch eine andere Pflanze, die als Wahrzeichen von Toulouse gilt, ist vor dem Schicksal des Vergessenwerdens gerettet worden: das Veilchen. Sein französischer Name „Violette“ beschreibt zugleich die Farbe der Pflanze – ein kräftiges Violett, dem man in der Stadt an fast jeder Ecke begegnet.

Am Ufer des Canal du Midi, jener Wasserstraße, die Toulouse mit dem Mittelmeer verbindet und zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt, ankert ein zum Hausboot umgebauter ehemaliger Ölfrachter. Ganz in Violett bemalt und mit dem Schriftzug „La Maison de la Violette“ („Das Haus des Veilchens“) versehen, sieht man auf den ersten Blick, was einen im Inneren erwartet.

Legende: Offizier brachte das Veilchen aus Parma mit



Hélène Vié, die Besitzerin des Hausboots und Gründerin des „Maison de la Violette“, hat mit dem Boot einen Ort geschaffen, an dem Besucher alles über das Veilchen erfahren und die daraus hergestellten Produkte kennenlernen können. Und sie hat sich dem Schutz und der Förderung des einzigartigen regionalen Erbes verschrieben. Denn vor bald 70 Jahren wäre das Toulouser Veilchen, dessen Geschichte im Jahr 1850 begann, fast ausgerottet worden.

Einer Legende zufolge soll ein Offizier aus der Armee Napoleons III. das Veilchen aus Parma in Italien mitgebracht haben, um es seiner Verlobten als Wiedergutmachung für seine Abwesenheit zu schenken. Die damaligen Gärtner der Stadt interessierten sich für die kleine, duftende Blume, die so einzigartig ist, weil sie nur im Winter von Oktober bis März blüht.

Wie man im „Maison de la Violette“ erfährt, verdienten zu Beginn des 19. Jahrhunderts 600 Familien ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Veilchen. „Die Sträuße waren so beliebt, dass sie per Luftpost nach England, Russland und Marokko exportiert wurden“, sagt eine Mitarbeiterin.

Die Krise des „Violette de Toulouse“ – heute eine eingetragene Marke − kam im Jahr 1956: Eine Kältewelle rollte über Europa und vernichtete fast die ganze Ernte. Die harten Anbaubedingungen und die wachsende Konkurrenz durch andere Sorten belasteten den Verkauf der lila Blume. Erst 1984 beschlossen die Landwirtschaftskammer und der Regionalrat, ein Forschungsprogramm zum Schutz der Pflanze zu starten.

Auch Hélène Vié trug ihren Teil bei, das Veilchen, das bis in die 90er Jahre als altmodisch verpönt war, wieder in Mode zu bringen. „Seit meiner Kindheit hat mich das Veilchen zum Träumen inspiriert“, sagt sie. „Heute setzen wir mit lokalen Produzenten die Geschichte des Veilchens fort und bewahren die regionale Tradition, indem wir sein Image modernisieren – immer überraschend und an Toulouse erinnernd.“


Redakteurin Carolin Federl reiste auf Einladung von Toulouse Tourisme und genoss die Magie von Veilchen und Pastel.


INFORMATIONEN
Toulouse ist die viertgrößte Stadt Frankreichs und Hauptstadt der Region Okzitanien. In Toulouse leben knapp 500000 Einwohner – davon 100000 Studenten. Damit ist die Metropole neben Paris und Lyon die Stadt mit den meisten Studenten in Frankreich.

ANREISEN
Von München aus erreicht man Toulouse mit dem Flugzeug in knapp zwei Stunden.

ÜBERNACHTEN
Zum Beispiel im Aparthotel Adagio Toulouse Centre La Grave. Sehr zentral gelegenes, modernes Hotel im Stadtteil Saint-Cyprien, direkt an der Brücke Pont Saint-Pierre.

SEHENSWERT
•Toulouse gilt als Hauptstadt der Feinschmecker. Der Marché Victor Hugo, die größte Markthalle der Stadt, lädt zum Einkaufen und Probieren ein.
•Neben einer Rathausbesichtigung ist ein Besuch der Basilika Saint-Sernin, des Jakobinerklosters und der Kathedrale Saint-Etienne ein Muss.
•Workshops mit Annette Hardouin: www.ahpy.fr/de
•Museum Terre de Pastel: www.terredepastel.com/fr
•Alles zu Veilchen: www.lamaisondelaviolette.com

www.toulouse-tourismus.de

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