Vergessene Ruinen in der Türkei
Auf den Spuren der Pisidier im Taurusgebirge

06.01.2024 | Stand 06.01.2024, 6:00 Uhr |

Das Theater von Termessos: Nach dem langen Weg werden Wanderer mit diesem Ausblick überrascht.

Im Taurusgebirge im Süden der Türkei verstecken sich unzählbare Ruinen eines Volkes, von dem noch nicht viel bekannt ist: die Pisidier. In der Zeit des Hellenismus bewohnten sie prachtvolle Städte inmitten der Berge. Auf den Spuren einer fast unerforschten Kultur.

Schnellen Schrittes hetzt Nazmye über die steilen Felsen. Ein falscher Schritt am karstigen Gestein und sie fällt in den Abgrund. Aber die Hirtin ist geschickt. Mit einem Stock hält die ältere Frau die Balance und ist kaum langsamer als die Bergziege, die sie entlang der Bergflanke vor sich hertreibt. Die braun-weiß gefleckte Geiß hatte sich zwischen den Felsen selbstständig gemacht. Immer wieder ruft Nazmye, woraufhin weitere Ziegen ihre Köpfe in die Höhe recken. Ihr Vieh, 60 an der Zahl, grast zwischen Trümmern. Wie Bauklötze liegen tonnenschwere, graue Steine herum als hätte jemand eine Lego-Kiste ausgekippt. Zwischen den Klötzen wuchert das Gras, auf das es die Ziegen abgesehen haben.

Die Ruinen sind das Überbleibsel der antiken Stadt Kapikaya. Wer die Stadt erreichen möchte, merkt, warum nicht einmal einer der bedeutendsten Feldherren der Geschichte, Alexander der Große, es schaffte, sie zu erobern. Die Abhänge sind tief, der Weg steil und das Gestein spitz und locker.

Das Volk der Pisidier hingegen errichtete eine Vielzahl an Städten inmitten des türkischen Taurusgebirges. Für die Menschen waren die Berge der beste Schutz gegen Angreifer.

Allzu viel ist nicht bekannt über das Bergvolk der Pisidier. Ihr Terrain erstreckte sich zwischen der Küstenebene bei Antalya im Süden der Türkei und Burdur im Norden. Ihre Städte sollen bis zu 50000 Menschen Platz geboten haben. Es müssen florierende Orte gewesen sein. Davon zeugen die Überbleibsel der Theater, Säulengänge, Nekropolen (Weihestätten), Wasserspeicher, Bäder, Turnhallen, Agoras (Marktplätze) und Stoas (Lehrgebäude). In antiken Quellen werden die Pisidier als kriegerisches und sehr wehrhaftes Volk beschrieben. Die bekanntesten pisidischen Städte heißen Termessos, Sagalassos und Selge.

Ehrfurcht vor alten Kulturstätten

Als „uneinnehmbar“ ging Termessos in die Geschichte ein. Abgeschieden in einem Hochtal des Taurus’ liegt die ehemals bedeutende Stadt – bedeckt von Bäumen und Sträuchern. Die antike Stadt ist ein Kleinod für Pflanzen, die die Mischung aus subtropischem und maritimem Bergklima lieben. Vorsichtig berührt Tour-Guide Tolga Kirilen eine Krokusblüte, die sich zwischen Gestein den Weg an die Oberfläche gesucht hat. „Aus dieser Krokus-Art wird Safran hergestellt“, erklärt Tolga.

Als am Rande des Wanderwegs eine bewachsene, etwa zehn Meter hohe Mauer auftaucht, hält er kurz inne. „Es ist die frühere Stadtmauer, die wir nun überschreiten“, macht er ehrfürchtig klar. Denn früher hätten die Soldaten von Termessos uns als Fremde wohl ausgiebig gefilzt. Heute brauchen Besucher keine Gegenwehr mehr erwarten, wenn sie sich auf die Spuren der vergangenen Zivilisation begeben.

Es ist, als wäre die Zeit stehengeblieben. Die alten Ruinen regen die Fantasie an: Auf dem Weg, den wir beschreiten, muss früher Trubel geherrscht haben. Zwischen gackernden Hühnern und meckernden Ziegen waren Männer, Frauen und Kinder mit langen Gewändern und Sandalen unterwegs – ob zum Tempel, zur Schule oder zum Theater. Die Vorstellungen dort müssen beliebt gewesen sein. Warum sonst hätte es in Termessos eine Tribüne für über 4000 Zuschauer gegeben. Das Theater mit einmaligem Blick auf die Berge des Taurus’ hat selbst schwere Erdbeben beinahe unbeschadet überstanden.

In Sagalassos sollen die Pisidier angeblich richtig die Schwerter gewetzt haben. Hier hätten von den kriegerischen Pisidiern die kriegerischsten gelebt, heißt es. Auf den Hügeln der ehemaligen Grenzstadt Pisidiens standen früher Speerwerfer und Bogenschützen stramm. Kein Wunder, denn es gab durchaus was zu holen in der Bergstadt. Und das war bereits aus einiger Entfernung erkennbar. Säulengänge und Statuen säumen noch heute den Berg.

Bei Sonnenuntergang, wenn der weiße Marmor in Orange getaucht ist, entsteht eine mystische Atmosphäre. Aus Brunnen sprudelt Wasser, von dem es dank der Bergquellen ausreichend gibt. Über allem thront das Heroon – ein Tempel zur Würdigung eines Helden. „Wir wissen leider nicht, wem mit dem Denkmal gedankt wurde“, erklärt der Tolga.

Bei Ausgrabungen haben Forscher sogar einen geheimen Gang freigelegt. „Er diente den Bewohnern möglicherweise als geheimer Fluchtweg.“

Alles im Fluss am Fluss

Vermutlich wurde Sagalassos nach dem schweren Erdbeben im frühen 7. Jahrhundert aufgegeben. Offenbar blieb die Ruinenstadt danach unberührt und fast ungeplündert bis in die Gegenwart erhalten.

Heutzutage spielt sich das Leben in der Region sich hauptsächlich im Tal ab. Die Türken lieben es, gemeinsam Tee und türkischen Kaffee zu trinken, zu plaudern und zu musizieren. Egal wo – ob daheim, im Café, im Park oder am Fluss. Kein Tisch ist dafür zu klein. Jeder hat Platz, gerne werden auch Touristen in der Runde willkommen geheißen.

Am türkis-blauen Wasser des Köprüçay sitzt ein Mann. Seine Augen sind geschlossen, während er seine Saz zupft und türkische Volkslieder anstimmt – begleitet vom Rauschen des Flusses und vom Gesang seiner Freunde, die im Schatten eines Baumes sitzen und Tee vorbereiten. Seine Langhalslaute hat nur noch zwei Saiten. „Aber das reicht“, sagt der Sänger, der sich als Ramazan Altinkaya vorstellt, und lacht. „Und wenn sie nur noch eine Saite hätte – die Saz darf bei türkischer Volksmusik nicht fehlen.“

Gözleme auf Apfelstrudel-Art

Weiter flussabwärts bereitet Fatma Abla'nın Yeri auf ihrer Terrasse Teig für Gözleme vor. Das sind dünne, meist würzig gefüllte Fladenbrote aus Yufka-Teig. Sie sind eine Spezialität der türkischen Küche, speziell der anatolischen. Mit einem Nudelholz rollt sie die Masse aus Mehl, Wasser und Salz aus. Den Teig belegt sie mit Schafskäse und Kräutern, bevor sie den hauchdünnen Fladen mit einem Holzstab gekonnt faltet und auf eine Platte legt, wo sie die Gözleme über offenem Feuer grillt. Vor dem Servieren bestreicht Fatma den Fladen mit flüssiger Butter. Das Gericht erinnert an Strudel – besonders, wenn das Gözleme mit Apfel und Zimt gefüllt ist. Einfach köstlich. Und dazu – wie soll’s anders sein – gibt’s natürlich türkischen Tee.


Redakteurin Katja Elsberger recherchierte mit Unterstützung des türkischen Tourismusbüros GoTürkiye in Anatolien.


INFORMATION

Antalya liegt am Mittelmeer im Schatten des Taurusgebirges. Die Region ist der Garten und die Kornkammer des Landes. Das Wasser aus den Quellen des Hochgebirges lässt Früchte, Gemüse, Getreide und Baumwolle gut gedeihen. Immer mehr Urlauber entdecken die Region, die auch „türkische Riviera“ genannt wird, für sich. In den Sommermonaten halten sich neben den 2,6 Millionen Einwohnern weitere 1,4 Millionen Touristen in der Region auf.

ANREISEN
Anreise per Flugzeug nach Antalya. In einer Stunde Fahrzeit ist Termessos zu erreichen, weitere zwei Stunden entfernt liegt Sagalassos. Selge im Westen des Taurusgebirges liegt zwei Stunden entfernt von Antalya. Mietautos sind eine Option. Die Straßen durch die Berge sind allerdings schlecht ausgebaut. Um sicher zu den antiken Städten zu kommen, lohnt es sich, eine Fahrt zu buchen – bei Kapikaya ist es ein Muss. Der Vorteil: Die Fahrer kennen die Begebenheiten vor Ort und können geschichtlich Hintergründe zu den antiken Stätten weitergeben.

ÜBERNACHTEN

Für Geschichtsinteressierte lohnt sich der Aufenthalt im Hotel RuinAdalya in Antalya. Unter dem Hotel fanden archäologische Ausgrabungen statt, die besichtigt werden können.

KÖPRÜLÜ NATIONALPARK
Der Köprülü Canyon Nationalpark liegt 85 Kilometer nordöstlich von Antalya. Der Köprüçay ist für Rafting beliebt. Das Wasser ist das ganze Jahr über frisch und eine willkommene Abwechslung zur sengenden Sommerhitze. Zu besichtigen lohnt sich die pisidische Stadt Selge.

www.ruinadalia.com.tr

Instagram: @goturkiye

www.goturkiye.com

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