ECDC-Bericht
Jährlich 35.000 Todesfälle durch Antibiotikaresistenzen

08.12.2022 | Stand 08.12.2022, 16:11 Uhr

Multiresistente Keime - Antibiotikaresistenzen stellten heute eine der größten gesundheitlichen Herausforderungen in Europa dar. - Foto: Armin Weigel/dpa

Wenn Krankheitserreger nicht mehr auf Antibiotika reagieren, endet das für Patienten oft tödlich. Auf diese Weise sterben im Europäischen Wirtschaftsraum jährlich 35.000 Menschen. Doch nicht überall sind die Zahlen gleich hoch.

Mehr als 35.000 Menschen jährlich sterben nach Schätzungen der EU-Gesundheitsbehörde ECDC im Europäischen Wirtschaftsraum aufgrund von Antibiotikaresistenzen. Die gesundheitlichen Folgen seien vergleichbar mit denen von Grippe, Tuberkulose und HIV/Aids zusammen, teilte die in Stockholm ansässige Behörde in einem Bericht mit.

Zwischen den Staaten gibt es demnach teils deutliche Unterschiede, generell betrachtet liegen die gemeldeten Resistenzwerte im Norden des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) am niedrigsten und in Ländern im Süden und Osten am höchsten.

Zum EWR zählen neben den 27 EU-Mitgliedstaaten auch Norwegen, Island und Liechtenstein - Daten aus Liechtenstein lagen für den Bericht jedoch nicht vor. Man gehe aber davon aus, dass es in den kommenden Jahren auch liechtensteinische Daten geben werde, sagte der beim ECDC für Antibiotikaresistenz zuständige Abteilungsleiter Dominique Monnet auf einer Pressekonferenz in Stockholm.

Besorgniserregende Anstiege bei der Zahl der Todesfälle

Die geschätzte Zahl der Sterbefälle bezieht sich auf die Jahre 2016 bis 2020, sie zeigt eine Zunahme verglichen mit früheren Schätzungen. «Wir sehen besorgniserregende Anstiege bei der Zahl der Todesfälle, die auf Infektionen mit antibiotikaresistenten Bakterien zurückzuführen sind», erklärte ECDC-Direktorin Andrea Ammon im Vorfeld des European Antibiotic Awareness Day (11. November). Es müsse mehr dafür getan werden, dass Antibiotika nicht unnötig zum Einsatz kommen. Auch Infektionsvorbeugung und Kontrollpraktiken müssten verbessert werden. Antibiotikaresistenzen drohten zunehmend Sorgen zu bereiten, wenn Regierungen nicht engagierter auf die Bedrohung reagierten, hieß es in dem Bericht der Gesundheitsexperten.

Antibiotikaresistenzen stellten heute eine der größten gesundheitlichen Herausforderungen in Europa dar, sagte Ammon. Die Gesamtzahl von 35.000 Todesfällen bedeute, dass fast 100 Menschen täglich aufgrund von solchen Resistenzen sterben. Im Kampf dagegen könnten auch Lektionen helfen, die man in der Corona-Pandemie gelernt habe, etwa zur richtigen Handhygiene.

Rund um den European Antibiotic Awareness Day wird jährlich unter anderem auf Umsicht beim Einsatz von Antibiotika in Europa aufmerksam gemacht.

Viele antibiotikaresistente Erreger in Krankhäusern

Jedes Jahr erkranken nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) etwa 50.000 Menschen in Deutschland an antibiotikaresistenten Erregern. «Davon sind circa zwei Drittel im Krankenhaus erworbene Erkrankungen», sagte Tim Eckmanns, Leiter der Surveillance von Antibiotikaresistenz beim RKI. Etwa 2500 vom RKI erfasste Todesfälle gebe es jedes Jahr durch multiresistente Erreger. Das sind solche, die gegen mehrere Antibiotika gleichzeitig resistent sind.

Gerade in Krankenhäusern zirkulieren oft Bakterien, gegen die kaum ein Antibiotikum mehr wirkt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht in wachsenden Resistenzen eine große Gefahr. Von Antibiotika-Resistenz sprechen Experten, wenn Patienten auf ein Antibiotikum nicht reagieren, das heißt, wenn die krankmachenden Bakterien durch das Antibiotikum nicht vernichtet werden.

Anders als befürchtet habe die Corona-Pandemie die Situation in Deutschland nicht verschlechtert, sagte Eckmanns. «Das ist in anderen Ländern völlig anders und da sehen wir auch einen deutlichen Anstieg von Resistenzen, zum Beispiel auch in den USA.» Das sei auf ein gutes klinisches Management in der Pandemie in Deutschland zurückzuführen.

Generell stehe Deutschland zurzeit gut da. Bis auf zwei resistente Erreger «steigt im Moment gar nichts in Deutschland an», sagte Eckmanns. Dafür sei aber eine «Daueranstrengung» nötig. Neben Hygienemaßnahmen und dem umsichtigen Einsatz von Antibiotika brauche es in Zukunft auch neue Medikamente. Das «Problem Antibiotikaresistenz» werde man nicht irgendwann los, sagte Eckmanns. «Das ist nicht eine Pandemie, die irgendwann enden wird.»

Viele Europäer glauben Antibiotika vernichten Viren

Nur die Hälfte der Europäer weiß einer Umfrage zufolge, dass Antibiotika keine Viren töten sondern nur gegen bakterielle Infektionen wirken. Laut der am Donnerstag veröffentlichten Eurobarometer-Befragung glauben 39 Prozent der Europäer, dass Antibiotika gegen Viren helfen und 11 Prozent der Bürgerinnen und Bürger gaben an, keine Antwort auf diese Frage zu kennen.

Gleichzeitig nutzten 2021 nur noch 23 Prozent der Europäer Antibiotika - der niedrigste Wert seit 2009. Deutschland gehörte mit 15 Prozent zu den Ländern mit einer besonders niedrigen Rate. Insgesamt 8 Prozent der befragten Europäer hatten nach eigenen Angaben Antibiotika ohne ärztliche Verschreibung genommen.

Viele Europäer hätten ohne Grund Antibiotika eingenommen, etwa gegen virale Infektionen oder nur gegen Symptome. So nahmen etwa 9 Prozent der Befragten Antibiotika gegen eine Infektion mit dem Coronavirus ein. 10 Prozent nahmen Antibiotika gegen die Grippe ein - ebenfalls ein Virus.

Unter den Krankheiten allgemein wurden Antibiotika am häufigsten gegen Blasenentzündungen (15 Prozent) eingenommen, die meist von Bakterien ausgelöst wird, sowie gegen Halsschmerzen (13 Prozent) und Bronchitis (12 Prozent).

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