Hauptsache empathisch
Wie gewaltfreie Kommunikation in der Familie gelingen kann

12.05.2022 | Stand 01.09.2022, 10:26 Uhr

Gewaltfreie Kommunikation - Eltern können Gewalt nicht nur körperlich ausüben, sondern auch mit Worten. Doch es geht auch ohne Basta und Drohungen - mit dem Bewusstsein für eigene Bedürfnisse und Empathie. - Foto: Peter Kneffel/dpa

Eltern können Gewalt nicht nur körperlich ausüben, sondern auch mit Worten. Doch es geht auch ohne Basta und Drohungen - mit dem Bewusstsein für eigene Bedürfnisse und Empathie.

Ein Klaps auf den Po des Kindes. Manchmal schmerzhaft, oft demütigend. Das ist in Deutschland als Erziehungsmaßnahme aber bei Weitem nicht passé und zwar trotz der gesetzlichen Festlegung, dass Kinder ein Recht darauf haben, ohne Gewalt aufzuwachsen. Der Tag für gewaltfreie Erziehung soll darauf aufmerksam machen (30. April).

Gewaltfrei bedeutet aber nicht nur: ohne körperliche Gewalt. So sind neben dieser auch «seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen» unzulässig, definiert das Bürgerliche Gesetzbuch. Solche Verletzungen entstehen regelmäßig durch elterliche Worte.

Wie ein kommunikativer Umgang zwischen Menschen ohne Gewalt gelingen kann, dazu hat der amerikanische Psychologe Marshall B. Rosenberg (1934 bis 2015) ein Handlungskonzept entwickelt. 1984 gründete er das «Center for Nonviolent Communication». Rosenberg betonte stets, dass sein Konzept nichts Neues enthalte. Seine sogenannte «Gewaltfreie Kommunikation» integriere vielmehr (psychologische) Erkenntnisse, die seit Langem existierten.

Training für gewaltfreie Kommunikation

Das Konzept begegnete Kathy Weber vor 15 Jahren, als sie mit ihrem ersten Kind schwanger war. «Ich wollte es anders machen als meine Eltern», sagt die 41-Jährige, die heute Trainerin für gewaltfreie Kommunikation ist und Familien berät. Anders bedeutete für Weber, dass sie eine besondere Beziehung zu ihrem Kind wollte: Ein Miteinander, in dem alle gesehen und gehört werden.

Im Mittelpunkt von Rosenbergs Ansatz steht die Annahme, dass dem menschlichen Handeln der Wunsch zugrunde liegt, die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen. Diese stehen oft in Konkurrenz zu denen anderer. Zu einer kommunikativen Lösung gelangt man nur, wenn man seinem Gegenüber empathisch begegnet - und nicht gleich bewertet und urteilt.

Dafür gibt einem Rosenberg vier Schritte an die Hand: Wertfrei beobachten. Die eigenen Gefühle wahrnehmen und äußern. Das eigene Bedürfnis erkennen und äußern. Eine Bitte formulieren.

Zu Beginn habe sie sich diese Technik stets bewusst gemacht, sagt Weber. Doch die Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg ist aus ihrer Sicht viel mehr als eine kommunikative Strategie: «Für mich ist sie die Antwort auf die Frage, wie ich leben möchte, wie ich kommunizieren möchte. Das hat viel mit Haltung zu tun.»

Am Anfang sei Gewaltfreie Kommunikation eine große Herausforderung. «Es bedarf ganz viel Übung und ganz viel Geduld», so Weber. Fundamental wichtig dafür ist aus ihrer Sicht: bedingungslose Liebe. Die 41-Jährige erlebt häufig, dass Eltern das Gefühl haben, ohne Zwang und Drohungen funktioniere Erziehung nicht. «Es fehlt an Vertrauen, dass Menschen Dinge freiwillig tun», sagt sie.

Eigene Gefühle und Bedürfnisse erkennen und kommunizieren

Zudem ist es für relativ viele schwer, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu erkennen und zu kommunizieren. «Weil wir es häufig nicht gelernt haben», sagt Weber. Sie ist davon überzeugt, dass es aber jeder Mensch lernen kann - wenn er es denn möchte.

Und wie funktioniert es dann, wenn etwa Kind und Mutter ihre Bedürfnisse formuliert haben und diese sich völlig entgegenstehen? Weber lacht, bevor sie antwortet. Es gehe natürlich nicht darum, dass das Kind immer alles erfüllt bekomme. «Die Vision ist, dass wir Lösungen finden, mit denen alle mit ihren Bedürfnisse gesehen und diese bestmöglich erfüllt werden», erklärt sie. Das könne jetzt, aber auch erst in einer Woche sein.

Beispiel Zähne putzen. Das Kind hat das Bedürfnis, etwas anderes zu machen. Demgegenüber steht das der Eltern, dass das Kind jetzt die Zähne putzt, ohne weiteres Zutun. Ein Kompromiss könnte dann etwa sein: Man sucht gemeinsam ein Lied aus, das währenddessen läuft.

Oder man findet andere Alternativen. «Weil es viele Möglichkeiten gibt, Bedürfnisse zu erfüllen. Und ich rede hier bewusst von Bedürfnissen, nicht von Wünschen. Das ist ein großer Unterschied. Wir sind hier nicht bei 'Wünsch' dir was' - nein, wir sind im Leben.»

Das Ziel sei es, für die individuellen Bedürfnisse in einer Situation einen Konsens zu finden, sagt Weber. «Natürlich ist das erst mal anstrengend.» Für den Moment sei es einfacher, wenn einer eine Ansage macht, wie es läuft. «Aber der andere Weg ist auf Dauer für alle befriedigender.»

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