Karriere im Schneckentempo
Wie schnell muss ich aufsteigen?

16.09.2022 | Stand 16.09.2022, 12:22 Uhr

Arbeit - Den nächsten Karriereschritt verschlafen? In der Berufslaufbahn muss es nicht immer nur steil nach oben gehen. - Foto: Monique Wüstenhagen/dpa-tmn/Illustration

Die eine ist mit Mitte 30 Abteilungsleiterin, der andere hat mit 40 noch die ursprüngliche Position inne. Wie schnell muss eine Karriere voranschreiten? Und was hilft gegen das ewige Vergleichen?

Am Anfang der Karriere müssen sich die meisten erst einmal im Berufsleben zurechtfinden und an die Arbeit gewöhnen. Doch irgendwann stellt man vielleicht fest: Die anderen machen alle viel schneller Karriere.

Die sind mit 30 schon Abteilungsleiter oder Juniorchefin, mit 40 in die Geschäftsführung aufgestiegen. Irgendwie komme nur ich nicht voran. Aber ist eine schnelle, steile Karriere heute überhaupt noch Sinn und Zweck des Berufslebens?

Irgendwann ist die Tür zu

Mit Karriere sei lange Zeit ein steiler Aufstieg gleichgesetzt worden, sagt Simone Kauffeld von der TU Braunschweig. «In größeren Unternehmen sollte man demnach bis spätestens Mitte 30 die erste Ebene erreicht haben», so die Professorin für Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie. Heute sei das alles längst nicht mehr so starr, auch 50-Jährige könnten noch Gruppenleiter werden.

Durch den Wegfall von Hierarchien sei die klassische geradlinige Aufwärtskarriere nicht mehr gang und gäbe, meint auch Thomas Rigotti von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Wie schnell oder langsam es gehe, hänge neben dem Berufsfeld auch von den eigenen Präferenzen zu Freizeit oder Familie ab.

«Aber natürlich gibt es Laufbahnen, da ist irgendwann die Tür zu», sagt der Professor für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie. In der Wissenschaft etwa seien bis zur Professur größtenteils nur befristete Stellen im Angebot. Diese seien zudem begrenzt. «Da ist es gut, einen Plan B zu haben, weil es schwer planbar ist.»

Führungslaufbahn muss nicht das einzige Ziel sein

Kauffeld zufolge geht es heutzutage nicht mehr nur um die Managerkarriere, vielmehr existieren daneben Experten-, Projekt- oder in Großunternehmen sogar Gremienkarrieren. Dabei würden in vielen Unternehmen Expertenlaufbahnen nicht schlechter vergütet als die Führungslaufbahnen.

Dank selbstorganisierter Teams und agilen Arbeitsweisen sei es möglich, verschiedene Rollen wahrzunehmen. «In diesem System kann man einige Jahre eine Führungsrolle gehabt haben und dann wieder einige Jahre nicht, weil andere Dinge Priorität haben», sagt Kauffeld. Das bedeute jedoch nicht, dass man nie wieder eine Führungsposition innehaben könne.

Eigene Erfolge im Blick haben

«Das Mantra des ständigen Wachstums ist nicht mehr einzuhalten», sagt Rigotti. «Das macht uns aber nicht glücklicher, weil wir darauf gepolt sind, immer einen Zuwachs im Blick zu haben.» Selbst in guten Situationen neigt der Mensch dazu nach mehr zu streben und sich zu vergleichen. Schließlich ist das Gras beim Nachbarn immer grüner.

Besser oder zumindest gesünder sei ein intraindividueller Vergleich, meint Kauffeld. Also zu reflektieren: Was habe ich erreicht? Wie habe ich mich weiterentwickelt? Welche Ziele habe ich erreicht oder muss ich dynamisch anpassen?

«Fragen Sie sich, wie wichtig Ihnen eine Karriere tatsächlich ist», rät Rigotti. Wer aufsteigen will, könne von anderen lernen. Etwa, indem man sich erarbeitet, was man tun muss, um dorthinzukommen - seien es Weiterbildungen oder Zertifikate.

«Man sollte eine Idee davon haben, wo es hingehen soll, was man erreichen möchte», so Kauffeld. Und dabei mitbedenken, was einen glücklich macht. «Für manche ist es wichtiger und erfüllender, das Erreichte zu schätzen, sich durch die Übernahme neuer Aufgaben horizontal weiterzuentwickeln, sich gesellschaftlich zu engagieren oder privat einem spannenden Hobby nachzugehen.»

Networking, Mentoring, Coaching

Um die Karriere voranzutreiben, hält Rigotti Networking für sehr wichtig. Jobmessen, Tagungen oder Kongresse können gute Orte sein, um sich außerhalb des Unternehmens mit Menschen aus dem eigenen Berufsfeld zu vernetzen. «Es kann auch sinnvoll sein, sich Mentorinnen oder einen Mentor zu suchen», sagt Rigotti.

Viele Berufe verändern sich durch Digitalisierung oder werden sich verändern. Hier lohnt es sich, zu analysieren, was in einigen Jahren relevant sein wird und sich darauf vorzubereiten. Eventuell bietet es sich an, in ein anderes Unternehmen zu wechseln, um andere Kompetenzen aufzubauen.

Aufwärts oder seitwärts

Dabei muss es nicht immer nur nach oben gehen, sondern auch seitwärts ist eine Entwicklung möglich. Ein Jobwechsel, beispielsweise von einem Unternehmen in die Beratung, trägt dazu bei, die eigene Perspektive zu verändern. Auch Beratung von Dritten kann dabei helfen, eigene Karriereziele zu erreichen.

Dabei gilt aber: Balance ist wichtig. «Es gibt Personen, die es mit der Selbstoptimierung übertreiben und in einer dauerhaften Selbstreflexion gefangen sind», sagt Kauffeld. Sie rät, feste Zeiten für berufliche Themen einzuplanen und sich nicht jeden Tag den Kopf über die eigene Karriere zu zerbrechen.

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