Konzept aus Spanien
Weniger Autos: Kommunen erproben den «Superblock»

07.09.2022 | Stand 07.09.2022, 16:51 Uhr

Mainkai - Touristen nutzen die bunt bemalte Fahrbahn am Mainkai für ein Erinnerungsfoto. - Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

Damit die Verkehrswende gelingt, müssen Alternativen zur «autogerechten Stadt» des letzten Jahrhunderts geschaffen werden. Ein Konzept aus Spanien zieht dabei besondere Aufmerksamkeit auf sich.

Mehr Ruhe und Platz, besser für den Klimaschutz: Den Autoverkehr zu reduzieren und ihn stellenweise sogar ganz zu verbannen, ist Ziel vieler Kommunen auch in Hessen. Doch der Weg dahin ist steinig, wie das Beispiel der umstrittenen Mainkai-Sperrung in Frankfurt zeigt.

Die wichtige Ost-West-Verbindung ist derzeit wieder einmal für Autos tabu, allerdings erneut nur versuchsweise. Denn wieder gibt es Widerstand auf der anderen Mainseite, wo sich der Verkehr verdichtet. Auch in den anderen großen Städten im Land wird um geeignete Konzepte gerungen.

«Mittlerweile ist angekommen, dass wir eine Verkehrswende und eine Klimawende brauchen», sagt die Mobilitätsexpertin Petra Schäfer von der Frankfurt University of Applied Sciences. Der Hitze-Sommer zeige wieder deutlich, dass etwas getan werden müsse. Es gebe zu viele Emissionen an Schadstoffen und Lärm in den Innenstädten. «Der Autoverkehr ist dort einfach zu stark», sagt die Professorin für Verkehrsplanung. Das koste Aufenthaltsqualität, auch Wohnen und Einkaufen in der Innenstadt seien nicht attraktiv.

Einseitige Förderung des Autos hat Spuren hinterlassen

Nach Einschätzung des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) müssen die Kommunen beim Tempo deutlich zulegen. «Wer möchte, dass Innenstädte lebendig bleiben oder wieder werden, wer möchte, dass die Menschen ohne Gefahr für Leib und Leben in den Städten wohnen können - bei steigenden Sommertemperaturen - der muss schleunigst handeln», sagt Mathias Biemann vom VCD aus der Rhein-Main-Region. Die jahrzehntelange einseitige Förderung des Autos habe Spuren hinterlassen, die nur mit Aufwand und Konflikten wieder rückgängig gemacht werden könnten. Davor scheuten Politik und Verwaltung aber zurück.

DARMSTADT arbeitet an einem Konzept für ein langfristig autoarmes Quartier - das erste dieser Art in Hessen. «Autoarm» heiße nicht «autofrei», wie ein Sprecher der Stadt betont. Hineinfahren dürften außer Rettungswagen, der Müllabfuhr und Lieferdiensten aber nur Anwohner und Anwohnerinnen - mit reduziertem Tempo. Parkplätze sollen Gebühren kosten oder wegfallen, für Rad- und Fußverkehr sowie Bänke und Spielflächen soll dafür mehr Platz sein. Vorbild seien sogenannte Superblocks wie sie beispielsweise in der spanischen Metropole Barcelona entwickelt wurden, sagt der Sprecher. Dabei werden mehrere Häuserblöcke zu einem weitgehend autofreien Quartier zusammenfasst. Ein Pilotversuch ist in Darmstadt kommendes Jahr geplant.

Die Landeshauptstadt WIESBADEN hat das Konzept bereits umgesetzt - aber bisher nur an einem Tag: Anfang Juli wurden die Stadtteile Mitte sowie das Rheingau- und Dichterviertel am «Superblock-Sonntag» zu verkehrsberuhigten Zonen zusammengeführt. Ziel war mehr Raum zum Spielen, Verweilen, Spazierengehen und Radfahren. 10 000 Menschen hätten mitgemacht, bilanziert die Stadt. Die Reaktionen seien «fast nur positiv» gewesen, sagt Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Grüne). Im September wollen Studierende der Hochschule RheinMain Entwürfe für autofreie Straßen in den drei Wiesbadener Quartieren präsentieren.

In KASSEL hat ein Klimaschutzrat zahlreiche Ziele auch für den Bereich Verkehr erarbeitet. Wie diese konkret umgesetzt werden sollen, muss allerdings erst noch erarbeitet werden, wie ein Sprecher der Stadt mitteilt. Vorgeschlagen hat das Gremium unter anderem den Wandel hin zu einer «Stadt der kurzen Wege», in der alle wichtigen Orte des Alltags innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Rad erreichbar sein sollen. Dazu gehören wie in den anderen Kommunen zudem ein Ausbau von öffentlichem Nahverkehr und Carsharing sowie mehr Platz für Fußgänger, Radfahrer und Grünflächen.

Dies will auch die Stadt FRANKFURT. In Zusammenarbeit mit dem Radentscheid sind bereits an mehreren Straßen Auto-Spuren in grellrot-gestrichene Radwege umgewandelt worden. Demnächst sollen zwei kleinere Straßen in der Innenstadt Fußgängerzonen werden, wie eine Sprecherin des Verkehrsdezernats sagt. Zudem sollen Parkplätze in der Innenstadt wegfallen und weitere autoarme Zonen geschaffen werden, darauf hat sich die amtierende Vierer-Koalition aus Grünen, SPD, FDP und Volt verständigt. Auch der umstrittene Mainkai soll demnach dauerhaft autofrei werden - wann, ist aber noch unklar.

An Vorschlägen mangelt es jedenfalls nicht. Nach dem Willen des VCD soll auch das Konzept der Superblocks in Hessens größter Stadt umgesetzt werden, wie Sprecher Biemann sagt. Im September will der Verband dazu Vorschläge für den Stadtteil Bockenheim vorstellen.

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