Nürnberg

Lebkuchen für Manhattan, Santa Claus für Nürnberg

Welche Weihnachtsbräuche über den Atlantik und zurück kamen – Neue Stadtführung „Rauschgold-Claus in Nuremberg“

29.11.2022 | Stand 19.09.2023, 1:40 Uhr

Von Thomas Tjiang

Nürnberg – Susanne Rieger ist den Spuren nachgegangen, die die Weihnachtsstadt Nürnberg und die USA miteinander verbinden. Bei ihrer neuen Weihnachtsführung „Rauschgold-Claus in Nuremberg“ kann man erleben, was es mit dem „typischen Nürnberger Rauschgold-Engel und dem Santa-Claus aus den USA“ auf sich hat. Bei ihrer Tour vom Hauptbahnhof bis zum Christkindlesmarkt erzählt Rieger von den wechselseitigen Verbindungen rund um das Weihnachtsfest. „Es ist nicht so, wie allgemein vermutet, dass alles von Amerika zu uns gekommen ist“, sagt Rieger.

Soldaten beschenken die Kinder der zerstörten Stadt

Im ersten Winter nach der Befreiung von der Nazi-Herrschaft schlüpften aber tatsächlich die GI‘s in die Santa-Claus-Kostüme. Zwar war die „Fraternisierung“, die Verbrüderung mit dem deutschen Feind, eigentlich verboten, wurde aber im Alltag geduldet, berichtet Rieger. Die amerikanischen Weihnachtsmänner beschenkten Nürnberger Kinder und luden 4000 von ihnen in der weitgehend zerstörten Stadt zu einer besinnlichen Vorstellung ins Nürnberger Opernhaus ein. Das dürfte für viele Menschen der Stadt der erste Kontakt mit dem US-Brauch des Santa Claus gewesen sein.

Die Historikerin hat bei ihren Recherchen aber auch einen Impuls in umgekehrter Richtung entdeckt. Die jüdische Kaufmannsfamilie Freud floh 1937 nach New York. Der frühere Wohlstand war verloren, Freud arbeitete als Leichenwäscher, seine Frau Paula montierte Lippenstifte im Akkord und Sohn William verdingte sich als Schuhputzer. Paula hatte aber aus Nürnberg ein Lebkuchenrezept mitgebracht, berichtet Rieger ihren Zuhörern an einem Lebkuchenstand auf dem Weg zum Nürnberger Hauptmarkt. Und mit ihrem traditionsreichen Gebäck traf Paula Freud nicht nur den Geschmack vieler anderer Emigranten. Die kleine Lebküchnerei mit dem Namen „Paulas Lebkuchen“ in Manhattan erlebte ihren Durchbruch 1939, nachdem eine Zeitung berichtet hatte. „So hat Hitler ungewollt die Lebkuchen in die USA gebracht“, sagt Rieger.

Mehr oder minder per Zufall ist die Historikerin auch auf den einstigen Nürnberger Verlag von Ernst Nister gestoßen. Während der Führung präsentiert sie den kostbaren Nachdruck des Nürnberger Verlegers. Er kam 1877 in die einstige Kaiserstadt und übernahm ein chromolithografisches Geschäft für den farbigen Bilderdruck, etwa von Kunstdrucken oder Postkarten. Der geschäftstüchtige Nister stellte damals bei den Amerikanern einen hohen Stellenwert des Weihnachtsfestes fest, zu dem aber die passenden Druckwerke fehlten. Dafür produzierte er teils mit bis zu 700 Mitarbeitern unter anderem ein aufwendiges Weihnachtsbuch. Es war nach dem amerikanischen Geschmack bebildert, etwa weil die Kinder ihre Geschenke am 25. Dezember vom Santa Claus durch den Schornstein bekamen. Außerdem waren viele Seiten als Wechselbilder gestaltet, die zum Beispiel durch einen bestimmten Dreh ein anderes Bild hervorzauberten.

Warum der Puter die übliche Gans nicht verdrängte

Ein „gescheiterter Versuch des Exports amerikanischer Weihnachtskultur“ ist für Rieger der Puter, ein kleinerer Truthahn. In der Nachkriegszeit wollten die Amerikaner die klassische deutsche Gans als Weihnachtsbraten ablösen. Dafür setzten sie auf aufwendige Werbung und priesen das US-Geflügel als „delikater und leichter“ an. Zusätzlich erhielten Hausfrauen ein – damals eher die Ausnahme – buntes Rezeptheftchen, um die Zubereitung zu vereinfachen. Doch anders als die Figur des Santa Claus konnte sich der Puter nicht in den deutschen Weihnachtsbräuchen etablieren.

Rieger kommt auch auf den Export deutscher Weihnachtskultur in die USA in den 1920er Jahren zu sprechen. In der Ostküstenstadt Buffalo zelebrierten deutsche Auswanderer mit deutscher Akkordeonmusik und Zwetschgenmännla heimische Bräuche. Und sie berichtet von den bis heute regelmäßigen Ausflügen der US-Soldaten vom nahegelegenen Stützpunkt Grafenwöhr zum Nürnberger Christkindlesmarkt. Überhaupt nimmt in der transatlantischen Weihnachtskultur der Christkindlesmarkt eine exponierte Stellung ein. Seit 1996 findet in Chicago der „Christkindlmarket“ mit rund 55 rot-weißen Buden, Nürnberger Rostbratwürsten und Lebkuchen statt. Zur Eröffnung fliegt ein echtes Nürnberger Christkind herbei, nämlich das, dessen Amtszeit in Franken gerade abgelaufen ist.

epd



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