Ohne Kompromisse

Das Südwestdeutsche Kammerorchester Pforzheim und der Cellist László Fenyö brillieren beim Konzertverein

27.11.2022 | Stand 19.09.2023, 3:22 Uhr

Douglas Bostock dirigierte das Südwestdeutsche Kammerorchester Pforzheim. Foto: Schaffer

Von Heike Haberl

Ingolstadt – Dirigent Douglas Bostock weiß genau, was er will. Bei der Musik des Barock und der Klassik kommt es ihm vor allem darauf an, den spezifischen Geist, der aus ihr atmet, mit seinem Streicherensemble auf modernen Instrumenten neu zu kreieren. In diesem Fall etwa den aparten Charme zweier „Concerti grossi“ von Händel: Man spürt sofort, wie sehr sich das Pforzheimer Kammerorchester mit den reizvollen, hochbarocken Kompositionen identifiziert, wie intensiv es sich auf die stilistisch meisterhaft vielfältigen Texturen einlässt.

Von Beginn an gestaltet der bestens aufeinander abgestimmte Klangkörper diese kurzen, bezaubernden Stücke in akkurater Noblesse – um sie jedoch zusätzlich durch erfrischenden Esprit, durch bald elegisch-samtige, dann wieder schwungvolle Tonfärbung zu beleben. Herrlich die affektreiche Anmut, die galante Empfindsamkeit, die stattliche Erhabenheit, anhand derer die Musiker die langsamen Sätze auskosten. Und ebenso fantastisch, in welch animierter Energetik, wie kontrastreich und beschwingt, ja manchmal sogar beinah trotzig-aufbegehrend die schnelleren Passagen daherkommen. Zusätzlich bereichert wird das subtil abgestufte Zusammenspiel von einem wunderbar feinfühlig figurierenden Solisten-Trio um den Konzertmeister, das gemeinsam mit dem hervorragenden Cembalisten dialoghaft-responsorisch immer wieder aus dem vollen Ripieno-Orchester hervortritt.

Als rauschenden Höhenflug, perlend wie Sekt, sprühend vor Lebenslust, lässt Bostock am Pult dagegen den Beginn und das Finale von Mozarts „Divertimento“ in D-Dur kapriziös aufwirbeln. Auch hier legt er äußerst klare Klangvorstellungen an den Tag, wählt ungemein rasante Tempi, die die Musiker bravourös und virtuos aufgreifen – um dadurch den vornehmen, duftig-kantablen Serenadencharakter des Mittelteils umso stärker zur Geltung zu bringen. Grandiose, filigrane Delikatesse.

Diese interpretatorische und dynamische Differenziertheit bietet optimalen Entfaltungsspielraum für den sensationellen, zur Freude des Publikums regelmäßig in Ingolstadt gastierenden Cellisten László Fenyö. Was für ein außergewöhnlicher, großartiger Könner er auf seinem Instrument ist, zeigt sich zunächst bei zwei Vivaldi-Solokonzerten. Nicht nur in seinen Augen sind das fantastische, viel zu selten gespielte, unterschätzte Werke – genial, zukunftsweisend, technisch teilweise sehr anspruchsvoll, äußerst verschiedenartig, spannend und vielsagend angelegt. Aus beiden macht Fenyö brillante Schmuckstücke, funkelnde Diamanten. Bei ihm offenbart sich künstlerische Freiheit – bei aller Wahrung des Respekts gegenüber den Komponisten – nahezu grenzenlos, er setzt auf puren Ausdruck ohne Kompromisse. Fast wirkt es, als ob die Werke unter seinen Händen gerade neu auf der Bühne des Ingolstädter Festsaals geboren würden. Stets ist sein Strich eigenwillig, fesselnd, überraschend, reicht von eruptiver Rauheit über intensives Lodern und schwelgerische Emphase bis in hauchzarteste Pianissimo-Sphären.

Nicht weniger aufregend gerät Haydns Cellokonzert in C-Dur in seinem ganzen jugendlichen Humor und unbändigen Elan: Fenyö erfüllt es mit intuitiver Präsenz, impulsiver Präzision und extrem fingerfertiger Vitalität, mit durchdringendem und sehnigem Klang, bringt sein Cello auf phänomenale Weise zum Tanzen, zum Singen. Dem Adagio verleiht er ganz besondere ästhetische Faszination, taucht durch gefühlvolles Vibrato ein ins hochemotional phrasierte, bewegende Zwiegespräch mit dem Pforzheimer Kammerorchester. Ergreifend schön. Das Auditorium ist hingerissen und wird mit gleich zwei Zugaben beschenkt: einer tief empfundenen Bach-Sarabande und der Wiederholung des fulminanten Schlusssatzes aus einem der Vivaldi-Konzerte.

DK


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