Nürnberg

Autonome brauchen eine Million

Dem Jugendkulturzentrum Projekt 31 droht 2026 das Aus – Jetzt will der Verein Grundstück inklusive Vereinsheim kaufen

25.11.2022 | Stand 19.09.2023, 3:36 Uhr

Die Verleihung des Kulturpreises nutzte die Gruppe für Kritik an der Kulturpolitik der Stadt Nürnberg. Foto: Missbach

Von Nikolas Pelke

Nürnberg – Beworben hat sich die autonome Jugendgruppe nicht. Den Kulturpreis der Stadt Nürnberg hat das „Projekt 31“ trotzdem kürzlich erhalten. Jetzt will der unabhängige Jugendclub die stolze Summe von einer Million Euro mit einer ungewöhnlichen Spenden-Aktion auftreiben, um dem drohenden Rausschmiss aus dem Vereinsheim zuvor zu kommen und die umfunktionierte Auto-Werkstadt an den Rampen beim Frankenschnellweg kurzerhand selbst kaufen zu können.

„Wir brauchen tatsächlich genau eine Million“, bringt Tim Fritsche den kühnen Plan ziemlich trocken auf den Punkt. „So viel Geld verlangt der neue Eigentümer“, sagt das langjährige Vereinsmitglied des selbstverwalteten Jugend- und Kulturzentrums in der Nürnberger Südstadt. Auf dem Gelände der ehemaligen Werkstatt werden beispielsweise regelmäßig Rockkonzerte auf Spendenbasis veranstaltet. Jeden Dienstag schwingen die „Anarcho-Punks“ den Kochlöffel, um vegane Köstlichkeiten gegen einen kleinen Obolus zu kredenzen. Dazu gibt es einen Umsonstladen, in dem sich nicht nur die Mitglieder mit kostenlosen Klamotten eindecken können.

Solidarität wird im Projekt 31ganz groß geschrieben

Überhaupt wird die Solidarität im Projekt 31, das alle nur „P31“ nennen, offensichtlich ganz groß geschrieben. „Normalerweise organisiere ich Punk-Konzerte. Jetzt kümmere ich mich um die Kampagne zur Rettung des P31“, sagt der 32-jährige Tim Fritsche, der Soziale Arbeit an der TH Nürnberg studiert.

Vor elf Jahren hat der Verein für diverse, offene und einzigartige Jugendkultur die leerstehende Autowerkstatt entdeckt und sofort ins Herz geschlossen. Nach etlichen Diskussion mit den Behörden durfte der Club drei Jahre später den Treff endlich eröffnen. „Nur Bier ausschenken dürfen wir immer noch nicht“, sagt Tim. Dabei finanziere sich der Verein ausschließlich über die Einnahmen aus dem Getränkeverkauf.

Rund 1000 Euro muss der Club jeden Monat als Miete auf den Tisch legen. Nach fast zehn Jahren soll mit gemeinsamem Kochen, Essen und Feiern bald für immer Schluss sein. Der Hintergrund ist schnell erklärt. Nachdem der Vermieter während der Corona-Pandemie das Grundstück inklusive Vereinsheim an einen Investor verkauft hat, wehrte sich der Verein 2021 erfolgreich gegen eine Räumungsklage vor Gericht. Jetzt droht trotzdem das endgültige Ende. Der neue Eigentümer will das Grundstück für eine Million Euro verkaufen und der Mietvertrag läuft Ende 2025 aus. Danach droht dem Verein der Verlust der Heimat.

„Um drohenden Verlust unseres Hauses zu verhindern, haben wir uns entschieden, das Objekt an den Rampen 31 selbst zu kaufen“, sagt Tim und berichtet von der vielen Arbeit, die damit plötzlich verbunden ist. „Wir haben ein Video gemacht und wollen jetzt noch mehr in die Öffentlichkeit“, sagt Tim und schwärmt von dem großen Freiraum in der kleinen Werkstatt. „Im P31 haben alle Besucher unabhängig von der Größe des Geldbeutels einen Platz.“

Gegenmodell zum Kulturangebot der Stadt

Das Projekt verstehen die Mitglieder als Gegenmodell zum Kulturangebot der Stadt Nürnberg. „Wir haben die Bühne bei der Verleihung des Kulturpreises deshalb auch für Kritik an der offiziellen Kulturpolitik der Stadt Nürnberg genutzt“, sagt Tim. Weil die Vereinsmitglieder weder mit Hilfe von der Stadt noch mit Zufällen auf dem Immobilienmarkt rechnen, wollen er und seine Vereinskollegen jetzt das Schicksal selbst in die Hand nehmen und den Ort, in den sie über so lange Zeit so viel Kreativität, Herzblut und Leidenschaft hinein gesteckt haben, am liebsten gleich selbst kaufen.

Unter der Überschrift „Stayin‘ Alive“ soll nun über Direktkredite die stolze Kaufsumme aufgetrieben werden. Rein rechnerisch müsste der autonome Jugendclub eintausend mal eintausend Direktkredite vergeben, um den aufgerufenen Kaufpreis tatsächlich auftreiben zu können. Die Dauer der Laufzeit und die Höhe der Kredite will der Jugendclub dabei individuell mit den Gönnern vereinbaren.

„Wir hoffen auf eine solidarische Gemeinschaft in der Stadt“, sagt Tim ohne mit der Wimper zu zucken. Die ersten Kreditzusagen seien im Übrigen schon eingetrudelt. Noch sei es allerdings ein weiter Weg bis zum Ziel. Trotzdem geben sich Tim Fritsche und seine Freunde kämpferisch. „Wir sind total motiviert und glauben schon, dass wir das schaffen können.“

HK



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