Imposanter Lobgesang

Der Ingolstädter Motettenchor feiert sein 60-jähriges Bestehen mit Joseph Haydns „Schöpfung“

21.11.2022 | Stand 19.09.2023, 3:51 Uhr

Voluminöse Stimmfülle, feinsinnig ausgelotete Tonmalerei: Der Motettenchor unter der Leitung von Eva-Maria Atzerodt mit dem Orchester La Banda und den Solisten Werner Rollenmüller, Moon Yung Oh und Magdalena Dijkstra begeisterten im Festsaal. Foto: Schaffer

Von Heike Haberl

Ingolstadt – Bereits bei ihrer Uraufführung schlug Joseph Haydns „Schöpfung“, ein ganz essenzielles Werk der geistlichen Oratoriumsliteratur, quasi ein wie eine Bombe. Diese bombastische Wirkung hat sich über die Jahrhunderte bis heute erhalten. Und eben die war deutlich spürbar in der Interpretation des Motettenchors Ingolstadt anlässlich seines 60-jährigen Bestehens im Festsaal des Stadttheaters.

Vokaler Enthusiasmus,homogene Intonation

Das siebentägige Schöpfungsgeschehen wird von Haydn in einer wunderbar bildlichen, frohen und farbigen Weise erzählt; die Musik ist eingängig, eindrücklich und textnah, ohne allzu erdrückende Schwere, überwiegend in Dur geschrieben. Die daraus leuchtende positive Kraft, den immanenten freudigen Optimismus bringen die rund 80 Chorsänger durch vokalen Enthusiasmus, homogene Intonation, dynamische Differenziertheit, wohlgeformte Artikulation und voluminöse Stimmfülle in den opulenten Lobpreis- und Dankpassagen zum Klingen.

Wie zum Beispiel gleich zu Beginn bei der Darstellung der Geburt des Lichts anhand eines gleißenden Blitzstrahls nach der Überwindung des „Chaos“. Um solche Expressionen noch zu verstärken, setzt Chorleiterin Eva-Maria Atzerodt effektvoll auf rasche Tempi, treibt das Geschehen anspornend voran.

So wird der Motettenchor – orchestral akzentreich getragen vom der historischen Aufführungspraxis verpflichteten Ensemble La Banda – innerhalb der drei monumentalen Teile zum glanzvoll exponierten Vermittler von Haydns unmittelbarer Erhabenheit der musikalischen Naturschilderungen, zum begeistert jubilierenden, rege Anteil nehmenden Kommentator der Ereignisse während der Erschaffung der Welt.

Aus feinsinnig-agil ausgeloteten Tonmalereien wie dem sanften Rieseln der Schneeflocken, dem majestätischen Aufgehen der Sonne, dem funkelnden Glitzern der Sterne, dem wogenden Schäumen der Wellen, dem heftigen Brausen der Stürme, dem kriechenden Sich-Winden der Würmer, dem munteren Zwitschern der Vögel oder dem lautstarken Gebrüll des Löwen entspinnt sich auf den Originalklang-Instrumenten ein transparent-organischer Austausch mit den Chor- und Solopartien.

Bewegliche Weichheit in den Koloraturen

Dabei legt das Orchester den Fokus auf ein pastorales Kolorit von Haydns Plastizität der Klangsymbolik, spielt beseelt, zeigt viel Hingabe für die Ausformung von kompositorischen Details. Wesentlichen Anteil am Gelingen der Aufführung haben die drei Gesangssolisten des Abends, die nicht nur vom gesamten Orchesterapparat, sondern bei den Rezitativen auch von einer in flexibler Hellhörigkeit agierenden Continuo-Gruppe begleitet werden. Magdalena Dijkstra als Erzengel Gabriel und als Eva verfügt über bewegliche Weichheit in den Koloraturen, wobei ihr warmer, klarer Sopran vor allem an den lyrischen, emotionalen Stellen besonders gut zur Geltung kommt. Ihr zur Seite gibt der Bass Werner Rollenmüller sowohl einen Raphael von dramatisch dunklem, profundem Profil als auch einen Adam von kerniger, robuster Substanz. Und Moon Yung Oh verleiht durch seinen geschmeidigen, elegant und kraftvoll geführten Tenor dem Engel Uriel souveräne, lebendig verkündende Gestalt.

Ein imposanter, zuversichtlicher Lobgesang auf die Schönheit unserer Erde, der in unserer heutigen Zeit vor den aktuellen Hintergründen noch zusätzliche, neue Dimensionen erhält. Großer Jubel – nicht nur musikalisch auf der Bühne, sondern auch von Seiten des Publikums im voll besetzten Festsaal.

DK



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