Sequenzen, Schwingungen, Sound

Robodynamische Diffusion: Spektakuläres Klangerleben – Kunstverein Ingolstadt wird zum akustischen Labor

15.11.2022 | Stand 19.09.2023, 5:32 Uhr

Versuchsbühne Kunstverein: Nele Jäger, Oliver Mayer, Jan St. Werner und Michael Akstaller (von links) und ihr ferngesteuertes Lautsprecherobjekt. Der Raum wird abgedunkelt, der Besucher kann seine akustische Wahrnehmung schulen. Foto: Axel Mölken-Kappl

Von Katrin Fehr

Ingolstadt – Was wird das? Die Ausstellung, die am Donnerstag im Kunstverein Ingolstadt eröffnet wird und die ohne Bilder, ohne Skulpturen, ohne visuelle Installationen auskommt. Ein akustisches Projekt, eine Soundcollage, eine Klangskulptur, eine Choreographie, eine raumfüllende Komposition, ein Experiment? Was braucht es dazu? Lautsprecherpaneelen, die auf einen hochkomplexen Roboter montiert sind, der sich über Fernsteuerung oder Programmierung positionieren und im Raum bewegen lässt, und ein System, das mit Sound gefüttert wird. Aus Tonmaterial, das Jan St. Werner, Michael Akstaller, Nele Jäger und Oliver Mayer auf ihren Streiftouren durch Ingolstadt aufgenommen, gesammelt haben. Etwa unter einer Autobahnbrücke, an einem Bienenstock, mal in der leeren, mal in der vollen Tiefgarage des Theaterparkhauses.

Robodynamische Diffusion (RDD) heißt das künstlerische Langzeit- und Forschungsprojekt mit Jan St. Werner – Mitglied des legendären Elektro-Duos Mouse on Mars und Professor an der Akademie der Bildenden Künste (AdBK) Nürnberg –, Michael Akstaller – Teil des Kollektivs „Dynamische Akustische Forschung“ an der AdBK Nürnberg, Ingenieur und Künstler, der bis vor wenigen Wochen mit Mouse on mars den Kunstbau des Lenbachhauses in ein riesiges Raumklanginstrument, in einen Resonanzkörper verwandelt hat. Dabei auch Nele Jäger, Preisträgerin des 25. Bundespreises für Kunststudierende, und der Programmierer und Künstler Oliver Mayer, der auch in der Werkstatt für Interaktive Medien an der AdBK tätig ist.

Im Fokus steht die Forschung der Entfaltung, der räumlichen Wirkung von Sound. Es geht letztlich darum, Klänge vom Instrument, vom Träger zu entkoppeln und frei im Raum zu bewegen, ein Anliegen der elektroakustischen Musik, das bereits Karlheinz Stockhausen beschäftigt hat. RDD überträgt Stockhausens Vorstellung von frei bewegbarem Sound im Raum ins 21. Jahrhundert. Entstanden ist RDD aus einer Kollaboration mit Leonardo, dem Zentrum für Kreativität und Innovation in Nürnberg, der Dynamischen Akustischen Forschung und Professor Stefan May vom Labor für Mobile Robotik der Technischen Hochschule Nürnberg. Es wird seit 2020 von der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden als künstlerisches Forschungsprojekt gefördert.

Nun wird Ingolstadt zur dreimonatigen Residenz für die Robodynamische Diffusion nach so bedeutenden Kunstorten wie München, Nürnberg oder Baden-Baden. Das Besondere an Ort und Stelle ist, dass die Töne aus der Stadtgeräuschkulisse generiert werden. Material, das die Gruppe aber nicht in O-Tönen in den Raum hineinschickt. Nele Jäger sagt, dass es nicht um verortbare Klänge geht, nicht um die maximale Spezifik, nicht darum, den Raum, in dem die Töne aufgenommen wurden, inhaltlich abzubilden. „Es geht um das klangliche Potenzial des Ortes, der visuell unscheinbar, sich auditiv aber unglaublich entfalten kann.“

In Sounds und Kompositionen verwandelt, die sich durch die Bewegung des Roboters, durch die Brechung an der Architektur zusätzlich verändern, wird der Raum Teil des Werks und in die Komposition einbezogen. Der Einsatz von Sound, so die Künstlergruppe, kann Räume befragen, neu deuten und vorher scheinbar festgeschriebene Wahrnehmungen ins Wanken bringen. „Bewegter Klang kann Standpunkte auflösen, Perspektiven umdeuten und neue Bühnenräume schaffen.“ Der Besucher, der sich im abgedunkelten Raum bewegt, der an unterschiedlichen Orten anderes hört, ist Teil des akustischen Projekts. Es geht um das (Hin-)Hören, um die individuelle Wahrnehmung. In diesem Fall für ein kollektives, vielschichtiges Klangprofil von Ingolstadt, das in den Räumen des Hämerbaus als dynamisches akustisches Hologramm aufgeführt wird.

DK


Kunstverein, Städtische Galerie: bis 27. Januar, Fr bis So von 12 bis 18 Uhr, Vernissage am Donnerstag, 19 Uhr. Finissage am 27. Januar, 19 Uhr.

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