Hohenwart

„Was wir hier machen, ist Jugend forscht“

Expertengespräch zu Wasserstoff und Energiewende: Die große Politik ist den Machern viel zu langsam

11.11.2022 | Stand 21.09.2023, 5:27 Uhr

Experten, wenn es um Wasserstoff geht (v. l.): Bernd Hohenadel, Michael Schneider, Jürgen Haindl und Markus Ostermeier. Foto: Hofmann

Wenn sie hier von „Power to the People“ reden, dann hat das nichts mit einer politischen Revolution zu tun. Aber irgendwie schon auch: Im Hohenwarter Rathaus hat sich für einen Pressetermin eine kleine Gruppe von Visionären versammelt, die einen Umbau der Energieversorgung auf privater, lokaler oder regionaler Ebene in Angriff nehmen will und bereits damit begonnen hat. Ein Kernpunkt dabei: Die Produktion von Wasserstoff. Größtes Hindernis derzeit: die Politik.

Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs hat das Thema ja so richtig an Fahrt aufgenommen. Über alles, was mit dezentraler Energieerzeugung, Speicherung oder Gasherstellung zu tun hat, wird sehr viel geredet. Gut, oder? Nicht wirklich: „Jeder redet zwar von irgendwas – aber keiner baut was“, beklagt Hohenwarts Bürgermeister Jürgen Haindl (FW). Er selbst will anschieben, wo es nur geht: Die Photovoltaikanlage auf dem Dach der neuen Schule, die gerade gebaut wird, möchte er mit einem Elektrolyseur zur Wasserstoffherstellung koppeln. Und wenn demnächst bei Lindach drei Windräder gebaut werden (das Projekt ist noch im Genehmigungsverfahren), könnte damit noch viel mehr Wasserstoff produziert werden.

Die Energiewende mussim Kleinen beginnen

Haindl ist überzeugt: Die Energiewende muss auf kleiner Ebene beginnen, bei den Kommunen, bei den Bürgern. Deswegen: Power (Energie beziehungsweise deren Erzeugung) to the People (zu den Menschen). Man dürfe da nicht die alten Fehler wiederholen und wieder alles den Multis überlassen. Und weil sich Haindl als „Wasserstoff-Bürgermeister“ offenbar bereits einen Namen gemacht hat, ist man auch bei Energie Südbayern (ESB) auf ihn aufmerksam geworden. Das Tochterunternehmen Energienetze Bayern bereitet derzeit ein bundesweites Pilotprojekt in Hohenwart vor: Anstatt mit Erdgas sollen Wohnhäuser und eine Gärtnerei mit reinem Wasserstoff beheizt werden. So erstaunlich das angesichts des aktuellen Wasserstoff-Hypes klingen mag: Das gibt es bisher noch nicht. Selbst die Heizungsbrenner müssen erst neu entwickelt werden.

„Was wir hier machen, ist Jugend forscht“, formuliert es Michael Schneider, Geschäftsführer von Energienetze Bayern, etwas überspitzt und fügt nicht ohne Stolz hinzu: „Man muss sich das mal vergegenwärtigen: Wir sind die ersten in der Republik, die das machen. Wenn‘s einfach wäre, würden es andere auch machen.“ Wasserstoff im Erdgasnetz werde an vielen Stellen die künftige Lösung für die Versorgung mit einem Energieträger sein, meint Schneider, und die ESB müsse schon alleine deswegen an einer solchen Lösung interessiert sein, damit sie nicht irgendwann ihr Leitungsnetz zurückbauen muss. Deswegen sei das Ziel des Pilotprojekts in Hohenwart ganz klar: „Wir wollen Wasserstoff ins Netz einspeisen. Wir wollen zeigen, dass das geht.“

Und dann kommt Schneider auf die Probleme zu sprechen. So sei es zwar schon jetzt technisch keine große Sache, dem Erdgas eine gewisse Menge Wasserstoff beizumischen. Dabei müsse allerdings das Mischungsverhältnis konstant bleiben. Und da sei man schon beim ersten Problem: Wenn im Winterhalbjahr viel Gas benötigt werde, stehe relativ wenig Ökostrom, den man zur Wasserstoffproduktion benötigt, zur Verfügung. Im Sommerhalbjahr sei es genau umgekehrt. Bei einem reinen Wasserstoff-Gasnetz wird‘s dann noch mal schwieriger, zumal Wasserstofftanks für die Lagerung des Gases noch sehr teuer sind.

Wirtschaftliche Risikensind hoch

Das nächste Problem: die Regulatorik. Theoretisch müsse ESB mit jedem Erdgaskunden einen neuen Vertrag aushandeln, wenn Wasserstoff beigemischt oder das Mischungsverhältnis geändert werde, erklärt Schneider. Hier sei auch die Politik gefordert. Für die Einspeisung von Biogas in Erdgasnetze gebe es Regulierungen – für die Beimischung von Wasserstoff nicht. Wenn Schneider von den politischen Vorgaben spricht, geht es um fehlende Regeln oder um „Regeln, wo man nicht weiß, wie lange sie gelten“. Die wirtschaftlichen Risiken bei Investitionen in Wasserstofftechnik seien derzeit kaum einschätzbar.

„In Summe würde ich sagen: Die technischen Probleme sind einfacher zu lösen als die politischen.“ Mit dieser Einschätzung fasst Markus Ostermeier eine Kernaussage der Expertenrunde schön zusammen. Ostermeier stellt Elektrolyseure her. Er setzt auf Modulbauweise. Damit ist die Wasserstoffherstellung schon in kleinem Maßstab möglich. „Wir setzen auf dezentrale Lösungen“, sagt Ostermeier. Jürgen Haindl hätte eine solche dezentrale Lösung gerne für die PV-Anlage auf der Schule und versucht nun, einen Sponsor aus der Wirtschaft oder eine Förderung aus München, Berlin und/oder Brüssel zu bekommen. Aber, wie gesagt: In der Politik ist man noch nicht so weit …

Die richtige Kombinationist wichtig

Die praktische Umsetzung eines Energienetzes der Zukunft hört sich gar nicht so kompliziert an – zumindest in der Theorie, die Markus Ostermeier und Jürgen Haindl mit wenigen Sätzen umreißen: Vor allem Photovoltaikanlagen und Windräder erzeugen übers Jahr gerechnet genügend Energie. Die wird, je nach Verbrauch, ins Netz eingespeist, gespeichert oder zur Wasserstoffproduktion genutzt. Den Tag-/Nacht-Ausgleich schafft man mit Kurzzeit-Batteriespeichern, den Ausgleich zwischen Sommer- und Winterhalbjahr mit Wasserstoff, der sowohl direkt in Heizungen verbrannt oder auch zur Stromerzeugung genutzt werden kann. Wobei sich fürs Heizen auf dem Land nach Ostermeiers Einschätzung Wärmepumpen anbieten (also das Heizen mit Strom), in den Städten dagegen eher zentrale Lösungen wie Fernwärme.

Wenn die Energieversorgung klimaneutral und zugleich Deutschland weniger abhängig von Importen werden soll, sind also neue Ansätze gefordert. „Wir müssen das Strom- und das Gasnetz zusammendenken. Wir müssen aber auch das Erdgas- und das Wasserstoffnetz zusammendenken“, meint Michael Schneider. Wichtig sei eine Kombination aus zentraler und dezentraler Energieversorgung, sagt Markus Ostermeier, mit unterschiedlichen Speichermöglichkeiten. Und damit das, was im Kleinen schon längst angeschoben wird, auch im Großen funktioniert, sei nun die Politik gefordert, betont Jürgen Haindl: „Da braucht‘s einfachere Regulatorien und bessere Förderung.“

MENSCHEN, DIE ETWAS VERÄNDERN WOLLEN

Im Hohenwarter Marktgemeinderat hat Bernd Hohenadel bereits für ungläubige Gesichter gesorgt: Aus purer Überzeugung – und nicht aus wirtschaftlichen Überlegungen – möchte er auf seinem Gewerbegrundstück im Hohenwarter Industriegebiet Wasserstoff erzeugen. Er wolle zwar nicht „Millionen drauflegen“, aber es sei schon in Ordnung, wenn sich das in den nächsten 20 Jahren nicht rentiere. „Irgendwann muss doch mal angefangen werden, sich von den Abhängigkeiten von der ganzen Welt zu lösen“, das sei sein Grundgedanke gewesen – und zwar schon lange vor dem Ukraine-Krieg, erzählt Hohenadel.

Im neuen Industriegebiet baut der Unternehmer eine Lagerhalle. Und weil da viel Platz ist auf dem Dach, will er so viel Photovoltaikmodule wie möglich aufstellen. Dazu zwei 40 Meter hohe Windräder, für die der Marktgemeinderat mit einer Änderung des Bebauungsplans den Weg freimachen will. Und eben den Elektrolyseur. „Mein Plan ist eigentlich, den ganzen Strom in Wasserstoff umzuwandeln“, sagt Hohenadel. Ob das wirtschaftlich möglich sei, wisse er noch nicht, „wobei das bei mir zweitrangig ist“. So um die 15 Kilogramm Wasserstoff könne er täglich herstellen, wobei er bisher noch keine Abnehmer habe. Auch das ist für Hohenadel aber kein Problem. Wenn das Angebot da sei, werde es auch eine Nachfrage geben, ist er überzeugt. Bürgermeister Jürgen Haindl ist begeistert von dieser Einstellung: „Genau darum geht‘s doch: Einfach mal tun!“

Ein potenzieller Kunde für Hohenadel sitzt im selben Gewerbegebiet: die Spedition Amenda. Geschäftsführer Sebastian Amenda (kl. Foto) hält Wasserstoff – neben Elektromotoren – für die Antriebsart der Zukunft. Er bräuchte allerdings größere Mengen des Treibstoffs – das, was Hohenadel produziert, würde nicht mal für einen Lkw reichen. Deswegen sei Amenda in Kontakt mit dem Wasserstofftechnologie-Anwenderzentrum (WTAZ) in Pfeffenhausen. Am Standort Langenbruck könnte eine Wasserstofftankstelle samt Servicestützpunkt entstehen.

„Momentan“, räumt Sebastian Amenda ein, „ist Wasserstoff, realistisch betrachtet, nicht zu bezahlen.“ Er spricht von „einigen Hunderttausend Euro“, die man pro Fahrzeug investieren müsste. Auch der Treibstoff sei noch viel teurer als Diesel. Reichweiten von 800 bis 1200 Kilometern seien aber mit einer Tankfüllung drin. Und sicherlich wären Kunden auch bereit, mehr für eine Fracht im Wasserstoff-Lkw zu bezahlen, weil sie klimaneutral sei.

Aber wieder mal ist es die Politik, die den Umstieg erschwert. Amenda denkt zurück an die Zeit, als Biodiesel gefördert wurde. Seine Firma stieg damals ein – und dann bald wieder aus, als die Förderung plötzlich passé war. Ein Hindernis beim Wasserstoff-Lkw sei, dass damit derzeit keine Gefahrgüter transportiert werden dürften. Und damit die Fracht als Gefahrgut eingestuft werde, reiche oft schon eine Palette mit handelsüblichen Putzmitteln. Hier müsse die Politik umdenken, sagt Amenda, sonst mache es keinen Sinn, in Wasserstoff-Lkw zu investieren. Doch Sebastian Amenda bleibt dran – und will mit Wasserstoff fahren, sobald das wirtschaftlich möglich ist. Denn: „Lieber bei den ersten dabei sein als hinterherzulaufen.“

bdh



SZ



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