Im Interview

Missio-Gast Charles Sendegeya aus Kenia spricht über Fluchtgründe und Klimawandel

08.11.2022 | Stand 22.09.2023, 3:36 Uhr

Der Koordinator der Flüchtlingshilfeorgansiation Tusa in Nairobi,Charles Sendegeya, berichtete in Eichstätt über das Thema Klimaflucht in Kenia. Foto: Kusche

Eichstätt – Mit einem Vortrag des Kenianers Charles Sendegeya, der zum Weltmissionsmonat im Bistum Eichstätt zu Gast war, endete die Ausstellung „Klimaflucht“, die das Referat Schöpfung und Klimaschutz in Kooperation mit weiteren Partnern in die Diözese geholt hatte. Sendegeya, selbst ein Geflüchteter aus Ruanda, ist Leiter des Flüchtlingsprojektes Tushirikiane Afrika (Tusa) in Nairobi/Kenia und ein langjähriger Partner von Missio München. In seinem Vortrag mit dem Titel „Klimawandel als Fluchtursache“ beleuchtete er die Beweggründe von Flüchtlingen in Zentralafrika, ihre Heimat zu verlassen und gab einen Einblick in die Flüchtlingssituation in Kenia, das rund 555000 Flüchtlinge beherbergt.

Herr Sendegeya, Sie sind selbst Flüchtling gewesen. Welches ist ihre eindrücklichste Erinnerung an diese Flucht?
Charles Sendegeya: Ich landete Ende der 1990er-Jahre als junger Mann mit 27 aus Ruanda fliehend in einem mir völlig unbekannten Stadtviertel in der Millionenmetropole Nairobi. Man riet mir, zu einer Kirche zu gehen. Ich irrte stundenlang durch die Stadt. Damals hatte ich das Glück, von der Organisation Tushirikiane Afrika (Tusa) aufgenommen zu werden und beim Start in mein neues Leben in Kenia umfassende Hilfe zu bekommen.

Sie sind heute Leiter des Flüchtlingsprojekts Tusa in Nairobi. Welche Hilfen bieten Sie Flüchtlingen an?
Sendegeya: Die Organisation Tusa, deren Name in Swaheli „Solidarität und gegenseitige Unterstützung“ bedeutet, wurde 1996 initiiert, um Geflüchtete aus dem Gebiet der Großen Seen, die in Nairobi Zuflucht suchen, pastoral zu betreuen. Heute geht es vor allem um die Vernetzung der Geflüchteten untereinander und um Hilfen bei alltäglichen Fragen, wie beispielsweise der Registrierung oder der Suche einer Unterkunft. Wir haben betreute Selbsthilfegruppen, die sich regelmäßig treffen, um sich über oftmals ganz einfache Fragen auszutauschen und sich gegenseitig zu helfen: Wo finde ich Arbeit? Wo ist ein Arzt oder Krankenhaus? Wir kümmern uns darum, dass die Kinder in die Schule gehen und junge Menschen ein Handwerk erlernen. Aus vielen unserer verängstigten und traumatisierten Flüchtlinge sind dank Tusa heute gestandene Persönlichkeiten geworden.

Welches sind die herausragenden Gründe für die Menschen, zu fliehen?
Sendegeya: Die Gründe sind vielfältig. Kenia grenzt im Nordwesten an den Südsudan, im Norden an Äthiopien und im Osten an Somalia. Auch die Region der Großen Seen mit Burundi, der Demokratischen Republik Kongo und Ruanda ist nicht weit – allesamt instabile Staaten, in denen Gewalt, Elend und Hunger herrschen, auch als Konsequenz der Dürren und des Klimawandels allgemein. Von den 555000 Flüchtlingen kommen über die Hälfte aus Somalia, ein Viertel aus dem Südsudan. Doch es sind auch Kenianer im eigenen Land auf der Flucht: Infolge von Unruhen, Kämpfen und Extremwetterereignissen wie Dürren und Überschwemmungen schätzt man die Zahl der Binnenvertriebenen Ende 2021 auf etwa 190000.

Welche konkrete Rolle spielt der Klimawandel dabei?
Sendegeya: Zum einen übersteigen wiederkehrende Dürren die lokalen Anpassungsfähigkeiten der Menschen im Norden Kenias, die ohnehin zu den am stärksten ins Abseits gedrängten Bevölkerungsgruppen gehören. Sie leiden unter extremem Wassermangel, weshalb Landwirtschaft nahezu unmöglich wird. Zum anderen fehlt aber auch das Bewusstsein für die nachhaltige Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen, was die unkontrollierte Abholzung und Überweidung zur Folge hat. Dadurch wird das ohnehin fragile Ökosystem stark gefährdet. Dies trifft insbesondere auf die gigantisch anwachsenden Flüchtlingslager Kenias zu, deren Bewohner sich selbst mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen versorgen müssen. Weitere Umweltprobleme sind Wassermangel und -verschmutzung, Überweidung und daraus entstehende Konflikte mit den dort ansässigen Bewohnern, die in direkter Nachbarschaft mit Hunderttausenden von Flüchtlingen leben – ein Teufelskreis der Konflikte, der Armut und der Umweltzerstörung.

Welche Ziele haben die Geflüchteten?
Sendegeya: Neun von zehn Geflüchteten wollen in ihrer Heimat, zumindest in den Anrainerstaaten ihrer Herkunftsländer, bleiben. Viele von ihnen bleiben aber über Jahre in den Flüchtlingslagern oder versuchen, in Städte wie Nairobi zu kommen. Durch Bildung und Ausbildung in den Herkunftsländern müssen wir ihnen gute Perspektiven schaffen und dadurch Fluchtursachen wirksam bekämpfen – das ist die große, gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Jesuitenpater Jörg Alt, der unlängst in Eichstätt sprach, fordert massive Unterstützung der Staaten des Südens durch den Norden, der die Hauptverantwortung für die nicht sozialverträgliche Globalisierung und den Klimawandel trage. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Sendegeya: Das ist sicher richtig. Es wäre wichtig, dass der globale Norden afrikanische Länder dabei unterstützt, in grüne Energie zu investieren, denn fossile Energie kann nicht die Zukunft sein. Doch es ist auch an unseren Bürgern, dass es gelingt, transparente und korrekte Wahlen durchzuführen und die Führungseliten einer Vielzahl von Nachbarländern, deren Flüchtlinge zu uns kommen, zu entthronen. Sie sind es, die in ihre Taschen wirtschaften, Menschen ausbeuten und sich in Politik und Wirtschaft an der Macht halten. Wir müssen die Menschen durch Bildung und Wissen befähigen, diese Eliten abzuwählen.

EK

Das Interview führte Dagmar Kusche

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