Respekt vor der „Weiberschlauheit“

Überzeugende Premiere der witzigen Eigenproduktion „Holmes & Watson“ im Ingolstädter Altstadttheater

02.11.2022 | Stand 22.09.2023, 3:50 Uhr

Köstliche Situationskomik: Szene mit Adelheid Bräu und Thomas Weber im Altstadttheater. Foto: Blome

Von Robert Luff

Ingolstadt – Am Ende muss er doch den Hut ziehen vor der weiblichen Intelligenz, die ihn, den scharfsinnigsten aller Detektive, überlistet hat: Sherlock Holmes ermittelt in der ersten veröffentlichten Kurzgeschichte von Sir Arthur Conan Doyle, „Ein Skandal in Böhmen“, zusammen mit seinem Freund und Kompagnon Doktor Watson auf höchster gesellschaftlicher Ebene. Es geht um einen drohenden Eklat durch ein unheilvolles Foto. Thomas Weber zeigt dabei einen großartigen Holmes aus Fleisch und Blut, mit Ecken und Kanten, einen schwierigen Charakter mit genialer Auffassungsgabe. Kongenial ergänzt wird er durch Adelheid Bräu, die nicht nur den gestressten Watson mimt, sondern auch alle weiteren Hauptrollen übernimmt – einschließlich der Erzählerin von Doyles zeitlosen Texten. Falco Blome ist mit diesem Stück eine spritzige, witzig-skurrile Krimikomödie gelungen. Und ein Schuss britischer Humor ist auch dabei.

Der berühmteste Detektiv aller Zeiten wohnt bekanntlich in der Londoner Baker Street 221b. Dort stehen eigentlich nur zwei überdimensionale Sessel mit Union-Jack-Decken und mehrere rosa Vorhänge dienen der Enthüllung und Verschleierung von mysteriösen Vorgängen, die sich in der britischen Hauptstadt abspielen. Dr. Watson ist seit seiner Heirat nur noch selten zu Gast und praktiziert wieder als Arzt. Eines Tages aber verschlägt es ihn aus Nostalgie wieder in die Baker Street und er klingelt einfach mal. Sofort wird er in den Strudel der Ereignisse und in den aktuellen Fall des Meisterdetektivs hineingezogen, denn ein Brief kündigt einen geheimnisvollen Fremden an.

Der Plot der ersten Kurzgeschichte, die Doyle berühmt machte, führt in die Untiefen des europäischen Hochadels gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Wilhelm Gottsreich Sigismund von Ormstein ist böhmischer Erbprinz und steht kurz vor seiner Vermählung mit Clothilde Lothmann von Sachsen-Meningen, als ihn eine Jugendsünde einholt: die Liaison mit der bildhübschen Abenteuerin Irene Adler, einem Vamp, deren Reizen jeder Mann erliegt. Leider existiert eine Fotografie von dieser Verbindung, und der künftige König hat Angst, erpresst zu werden. Daher muss Sherlock Holmes das Foto unter allen Umständen und tatkräftiger Unterstützung durch Watson in seine Hände bekommen.

Die Opernsängerin Irene Adler, deren Nähe Holmes in der genialen Verkleidung als trunksüchtiger Stallknecht sucht, zeigt dem Detektiv seine Grenzen auf und wird für den bislang so emotionslosen, nur vom rationalen Kalkül beherrschten Mann zur Frau schlechthin, zur Überfrau, der er auch intellektuell Respekt zollen muss. Sie durchschaut seinen Plan, durch einen fingierten Wohnungsbrand das geheime Versteck der Fotografie zu finden, flieht mit ihrem frischvermählten Gatten Godfrey Norton und dem Foto auf den Kontinent und lässt dem verdutzten Holmes einen Brief und eine Art Autogrammkarte zurück, die er verzückt betrachtet.

Was Thomas Weber und Adelheid Bräu aus dieser Geschichte machen, ist faszinierend: Sie agieren auf, vor und hinter der Bühne, rennen durch den Zuschauerraum, halten inne, berichten – ganz im Sinne einer Teichoskopie – von Vorgängen, die das Publikum nicht sehen kann, und rezitieren immer wieder ganze Passagen aus Doyles Text, der auch in deutscher Übersetzung mit zu den schönsten Werken der englischen Literatur zählt. Die beiden Schauspieler hauchen so dem komplexen Charakter von Sherlock Holmes Leben ein und zeigen, dass es trotz seiner analytischen Brillanz auch manchmal bei ihm menschelt.

Die schlagfertigen Dialoge, die minimalen Verkleidungen und Gesten Adelheid Bräus, mit denen sie in eine neue Rolle schlüpft, die Situationskomik, die sich oft durch die Diskrepanz zwischen dem narrativ Berichteten und der Mimik der Handelnden ergibt, die ausgeklügelte Lichtregie und die stets passende musikalische Umrahmung, zu der sich manchmal sogar slapstickreife Einlagen gesellen – all dies macht „Holmes & Watson“ zu einem kleinen Juwel in der Ingolstädter Theaterszene dieses Herbstes. Wer köstliche Unterhaltung mit spannender Handlung sucht, ist mit diesem Stück bestens beraten.

DK




ZUR PRODUKTION

Theater:

Altstadttheater Ingolstadt

Regie:

Falco Blome

Vorstellungen:

3., 5. November; 22., 29., 31. Dezember

Kartentelefon:

(0176) 32607265

URL: https://www.donaukurier.de/nachrichten/kultur/respekt-vor-der-weiberschlauheit-6768281
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