Tanz am Abgrund

Großer Jubel: Stefan Eberle inszeniert „A Long Way Down“ im Studio

03.10.2022 | Stand 22.09.2023, 5:01 Uhr

Die Vier vom Dach: Sebastian Kremkow, Sarah Schulze-Tenberge, Matthias Zajgier und Victoria Voss spielen Selbstmordkandidaten in Nick Hornbys schwarzhumorigem „A Long Way Down“. Foto: Herbert

Von Anja Witzke

Ingolstadt – Vier Kisten. Eine leere Bühne. Und eine gute Geschichte. Mehr braucht Stefan Eberle nicht. Kisten, die sich in den Dachfirst des Hochhauses verwandeln, auf dem sich in der Silvesternacht vier Selbstmordkandidaten treffen. Oder in das Taxi, mit dem alle vier kurze Zeit später zu einer Party fahren. In eine Tanzfläche. In Martins Wohnung – mit weißen Hussen und konkreter Kunst. In Maureens Wohnung – wo die Hussen geblümt sind und ein Kreuz an der Wand hängt. Für das Fernsehstudio werden die Kisten sogar illuminiert. Wie Stefan Eberle aus der Not eine Tugend macht, und die kleine Studiobühne mit Witz, Fantasie und Schauspielkunst in immer neue Spielorte verwandelt, das ist wirklich höchst unterhaltsam.

„A Long Way Down“ von Nick Hornby hat der Regisseur aus Karlshuld für die kleine Bühne des Stadttheaters Ingolstadt bearbeitet und das 350 Seiten starke Buch auf eine Spielzeit von 80 Minuten konzentriert. In dieser Zeit lernen wir die vier Protagonisten gut kennen: den ehemaligen TV-Star Martin Sharp, der mit einer 15-Jährigen erwischt wurde, ins Gefängnis musste, Familie, Job, gesellschaftliches Ansehen verlor. Maureen, die seit 19 Jahren ihren Sohn pflegt und einfach nicht mehr kann. JJ, dessen Dasein nach der Trennung der Band keinen Sinn mehr hat. Und Jess, die verhaltensauffällige Politikertochter, deren Schwester vor Jahren verschwunden ist und die seither – vor Schmerz, vor Wut – ihr Leben nicht mehr in den Griff kriegt. Alle vier wollen Schluss machen. Aber dort oben auf dem Dach in dieser Silvesternacht nach all dem Gezeter und Geschrei verbünden sie sich. Und setzen sich eine neue Frist: Bis zum Valentinstag wollen sie es noch einmal probieren, das mit dem Leben. Und so lange aufeinander aufpassen.

Ein ernstes Thema, das bei Nick Hornby mit viel schwarzem Humor, pointierten Dialogen und noch mehr Situationskomik verhandelt wird. Stefan Eberle hat daraus eine kompakte Spielfassung destilliert. Und wenn auch der Beginn etwas zäh gerät, so gewinnt die Inszenierung doch mehr und mehr an Tempo. Im Zusammenspiel der Vier ergeben sich skurrile, berührende, todkomische, Momente. Matthias Zajgier, Victoria Voss, Sarah Schulze-Tenberge und Sebastian Kremkow bilden ein tolles Quartett: der smarte Promi, die fast unsichtbare Frau in mittleren Jahren, die Quasselstrippe ohne Impulskontrolle, der desillusionierte Pizzaausträger. Spannend ist es, wenn sie mitten in der Bewegung aus ihren Rollen fallen, um sich ans Publikum zu wenden. Spannender, wenn die unterschiedlichen Temperamente mit Blitz und Donner aufeinanderprallen. Zwerchfellerschütternd, wenn sie alle vier in desperaten Situationen gefangen sind – wie in dem TV-Studio, wo sie wechselseitig als sensationsgierige Moderatorin auftreten und gleichzeitig immer kleinlauter von ihrer „Engelsvision“ berichten.

Regisseur Stefan Eberle überzeugt mit einer schlanken Textfassung, die Raum für die emotionalen Dilemmata der Protagonisten lässt, setzt auf starke Schauspieler, deren Kampf gegen die eigenen Dämonen höchst facettenreich ausgetragen wird. Am Ende steht ein gemeinsames Ja zum (Über)Leben. Ein Hoffnungsschimmer. Genau das Richtige in Zeiten wie diesen. Langer Applaus!

DK




ZUR PRODUKTION

Theater:

Studio im Herzogskasten

Regie:

Stefan Eberle

Ausstattung:
Lilian Tschischkale

Vorstellungen:

bis auf den 22. Oktober sind

alle Termine ausverkauft

Kartentelefon:

(0841) 30547200

URL: https://www.donaukurier.de/nachrichten/kultur/tanz-am-abgrund-6675105
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