Neuburg

Dramatische Verschlechterung

Bilanz nach drei Jahren Volksbegehren „Rettet die Bienen“ fällt düster aus

22.09.2022 | Stand 22.09.2023, 5:25 Uhr
Rainer Hamp

Sie hatten zur Diskussion geladen, zahlreiche Interessierte waren dabei: Drei Jahre nach dem Volksbegehren zogen Stadtrat Peter Ziegler (von links), Stephan Kroppold, Norbert Schäffer, Stadtrat Norbert mages und Birgit Bayer-Kroneisl Bilanz. Fotos: Hamp

Von Rainer Hamp

Neuburg – Vor drei Jahren hat es in Bayern das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ gegeben. Es war das erfolgreichste Begehren in der Geschichte Bayerns. Dabei ging es nicht nur um Bienen, sondern um den Artenschutz generell. Damit wollte man das Bayerische Naturschutzgesetz so ändern, dass die Entwicklung der Artenvielfalt in Flora und Fauna, also von Pflanzen und Tieren, gesichert und verbessert wird. Entsprechend wurde dann auch vom Landtag ein Gesetzespaket verabschiedet. Eine Diskussion dazu, nach nun drei Jahren, hatte die Stabsstelle Umwelt und Agenda 21 der Stadt Neuburg am vergangenen Dienstag im Theaterfoyer veranstaltet. Die Leiterin der Stabsstelle Birgit Beyer-Kroneisl sowie die beiden Stadträte Norbert Mages (Grüne) und Peter Ziegler (CSU) konnten zahlreiche Gäste begrüßen.

Jedes Jahr verliere man 100000 Bäume

„Die Situation ist dramatisch“, so eröffnete der Vorsitzende des Landesbundes für Vogelschutz (LBV), Norbert Schäffer, sein mit vielen Bildern angereichertes Referat. „Der Klimawandel beginnt erst und die Artenvielfalt hat auch in Bayern gewaltig abgenommen.“ So ist etwa die Zahl der Wildvögel seit 1980 auf weniger als die Hälfte geschrumpft. Von den Kibitzen gebe es sogar 99 Prozent weniger . Ehemals häufige Vogelarten seien drastisch zurückgegangen. Vielerorts könne man schon von einem „stummen Frühling“ sprechen.

Ursachen dafür seien ausgeräumte Landschaften ohne Hecken und Feldraine und mit nur einer Sorte Pflanzen, etwa Mais, bewachsen, aber auch der Einsatz von Spritzmitteln, Pestiziden und Wasserdrainagen sei schuld daran. Dadurch gebe es viel zu wenig Brut- und Rückzugsräume für Vögel, andere Tiere und Pflanzen und vor allem auch für Insekten.

Innerhalb der vergangenen 27 Jahre sei der Bestand an Insekten, von denen viele Vögel und andere Tierarten leben, um 75 Prozent zurückgegangen. Das könne jeder an seiner fast insektenfreien Autoscheibe ablesen, wenn er eine längere Fahrt gemacht habe. In China müsse man bei den Obstbäumen schon jede Blüte mit der Hand befruchten.

Die Bilanz, drei Jahre nach dem Volksbegehren, lese sich durchwachsen, sagte Schäffer. Von den neuen Richtlinien seien zwar die Landwirte betroffen, aber nicht so dramatisch, wie anfangs befürchtet. Auch könne man in vielen Bereichen die Landwirtschaft nicht verpflichten, der Staat müsse Anreize bieten, etwa, wenn vorhandene Biotope gesichert, ausgeweitet und vernetzt werden müssten oder wieder mehr Grünland, also naturbelassene Wiesen, entstehen sollen.

Vier Prozent buntes Brachland würden schon viel helfen. Oder auch wenn die Bauern auf Ökolandbau umsteigen sollen. Der soll nach den Gesetzen bis 2030 bei 30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche liegen. Da hapere es noch, derzeit seien es gerade mal 13 Prozent. Freilich könnten auch die Gemeinden auf ihren Flächen mehr tun und private Gartenbesitzer mehr „Mut zur Unordnung“ zeigen; statt glattem Rasen mal eine Wiese blühen lassen. „Der Umweltschutz ist heute genauso wichtig wie vor der Pandemie und vor dem Ukrainekrieg“, betonte Schäffer.

Ein Erfolg sei aber der Ausbau der für den Artenschutz so wichtigen Streuobstbäume, wovon eine Millionen neu gepflanzt werden sollen. Allerdings würde man pro Jahr auch 100000 Bäume wegen Überalterung verlieren.

Jeder kann etwas tun

Senior-Biobauer und Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) Stephan Kreppold berichtete von anfangs gereizten Bauern, die auf andere Verursacher deuteten, wie unter anderem den Landfraß durch Bauten, Straßen, Mähroboter oder Funkstrahlen. Aber, so Kreppold, „50 Prozent der freien Landfläche in Bayern gehören den Bauern“. Deren Bewirtschaftung habe die stärksten Auswirkungen. So müsse der Einsatz chemischer Mittel drastisch reduziert werden. Der Staat müsse handeln.

Dabei rügte er vor allem die Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU), die 2019 noch das Volksbegehren als kommunistische Machenschaft bezeichnet habe, jetzt aber, genauso wie Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und sein Vize Hubert Aiwanger (FW), nach dem Erfolg des Begehrens um 180 Grad umgeschwenkt sei. Viele der Politiker hätten im Landtag den neuen Gesetzen wohl nur mit der „Faust in der Tasche“ zugestimmt. Die Einsicht sei bei den Bauern gewachsen, sie hätten aber auch ein hohes Maß an Verantwortung für Wasser, Luft und Boden und für eine vielfältige Landschaft. „Eigentum verpflichtet“, meinte Kreppold. Die ausgeräumten Landschaften, zum Beispiel im Lechraum oder im niederbayrischen Donaugebiet, bezeichnete er als Notstandsgebiete. Die bäuerlichen Verluste bei einer Umstellung müssten aber auch durch die gesamte Gesellschaft ausgeglichen werden.

Freilich könnten auch die Verbraucher einen Beitrag leisten: weniger Lebensmittel wegwerfen – etwa ein Drittel würde in die Mülltonne wandern – oder auch weniger Fleisch essen. Für die Ernährung von Rindern und Schweinen brauche man zehnmal mehr Fläche als für den Getreideanbau. Auch solle man auf Äpfel aus Neuseeland lieber verzichten und regionale Produkte kaufen, schloss er seine Rede, an die sich noch eine lebhafte Diskussion anschloss.

DK

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