Umwelt und Psyche

Krisen- und Klimaangst: Wie wir in der Sorge Stärke finden

20.10.2022 | Stand 20.10.2022, 11:39 Uhr

Krisen- und Klimaangst: Wie wir in der Sorge Stärke finden - Ein bisschen Friede für alle: Kriege empfinden viele als Bedrohung. - Foto: Frank Hammerschmidt/dpa/dpa-tmn

Klimawandel, Krieg und Corona stellen die Psyche auf die Probe - viele Menschen schauen sorgenvoll in die Zukunft. Immer häufiger ist von Krisen- oder Klimaangst die Rede. Wie gehen wir damit um?

Der Klimawandel betrifft uns alle. Auch Corona empfinden viele als Bedrohung, genauso wie die Kriege auf der Welt. Und doch gehen Menschen verschieden damit um. Während viele ihre Sorgen verdrängen und sich wenig eingeschränkt fühlen, sind andere verängstigt, wütend oder verzweifelt.

Immer häufiger fällt der Begriff «Krisenangst». Das klingt nach Krankheit - nach einer Störung, die es zu überwinden gilt. Wie die Scheu vor Spinnen oder die Angst davor, in einen Fahrstuhl zu steigen. Ist das so?

Krisenangst ist keine Diagnose

Nein, sagt Kathrin Macha, Psychologin an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. «Der Klimawandel ist beispielsweise eine reale Bedrohung. Die Angst davor ist begründet.»

Eine eigenständige Diagnose ist Krisenangst allerdings nicht. Kathrin Macha hält das zum jetzigen Zeitpunkt für richtig: «Attestieren wir jemandem eine individuelle Krisenangst, die wir mit einer Behandlung heilen können, besteht die Gefahr, die Bedeutung der Krisen zu verharmlosen.»

Macha engagiert sich bei den «Psychologists for Future» - einem Zusammenschluss von Psychologen und Psychotherapeuten, die sich für einen gesunden und konstruktiven Umgang mit der Klimakrise einsetzen. Sie sagt: «Wir müssen darauf achten, Krisenängste nicht zum Problem des Einzelnen zu machen. Studien zeigen, dass sich rund 80 Prozent der Menschen um das Klima sorgen. Wir sind also viele.»

Wie aus Krisenängsten eine Störung werden kann

Auch Psychiater Sandeep Rout sieht derzeit keine Notwendigkeit, Krisenängste pauschal zu pathologisieren, also als krankhaft zu bewerten. Er ist Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Vivantes Klinikums Neukölln in Berlin.

Führt Krisenangst hingegen zu tiefer Verzweiflung, Arbeitsunfähigkeit oder Isolation, kann sich eine Angststörung entwickeln, erklärt er. Für eine solche Angststörung kann es viele Auslöser geben.

Sucht sich die Angst tatsächlich den Klimawandel als Ventil, ist es häufig schwierig, von außen zu helfen, sagt Amelie Schomburg, Psychologin und Autorin des Buches «Klimaangst: Wenn die Klimakrise auf die Psyche schlägt».

«Viele legen die Last der Verantwortung dann vollkommen auf die eigenen Schultern und driften beispielsweise ab in einen ungesunden Aktionismus, der ihnen nicht gut tut und zum Burnout führen kann.»

Wenn Angehörige helfen wollen, aber nicht können

Doch einen Leidensdruck spüren Betroffene nicht immer. «Vor allem Klimaangst hat eine Besonderheit: Sie ist gesellschaftlich akzeptiert und angesehen», erklärt Psychiater Sandeep Rout. «Damit unterscheidet sie sich von vielen anderen Ängsten, die häufig schambehaftet sind und eher versteckt werden.»

Das Problem dabei: Wegen «der guten Sache» sei es häufig schwer für Angehörige und Freunde, Sorgen zu äußern. «Menschen mit sehr starker Klimaangst können es anderen auch zum Vorwurf machen, sich selbst nicht genug zu engagieren», sagt Amelie Schomburg. So könnten sich schnell zwei Fronten entwickeln, die schwer zueinanderfinden.

Mit Verständnis und Wertschätzung

Psychiater Sandeep Rout hat eine weitere Besonderheit der Klimaangst ausgemacht: Sie ist stark identitätsstiftend.

«Die Identitätssuche ist ein wichtiger Teil in der Entwicklung zum Erwachsenen», sagt er. «Stellen wir also aus Sorge gerade bei jungen Menschen diese Identität in irgendeiner Form in Frage, können sie sich in ihrer gesamten Persönlichkeit angegriffen fühlen.»

Um das zu verhindern, sei es für Außenstehende wichtig, Verständnis zu signalisieren und in Kontakt zu bleiben. Vorwürfe sind fehl am Platz. Und: Wichtig ist auch, das Engagement für «die gute Sache» wertzuschätzen.

Energie für Engagement ziehen

Wer spürt, dass die eigenen Krisenängste überhandnehmen, sollte sich genügend Pausen zugestehen, empfiehlt Psychologin Kathrin Macha. Auch sollte Raum für andere Themen bleiben, genauso wie für Familie und Freundschaften. Sie rät auch, Entspannungsmethoden auszuprobieren.

«Indem wir uns einen Ausgleich schaffen, können wir neue Energien für unser gesellschaftliches Engagement gewinnen. Das ist das beste Mittel gegen Krisenangst», sagt Kathrin Macha.

Wer sich dennoch überfordert fühlt mit seinen Sorgen und Ängsten, kann sich kostenlos von einem Expertenteam der «Psychologists for Future» beraten lassen. Wird eine echte Angststörung diagnostiziert, ist beispielsweise eine Psychotherapie eine Behandlungsmöglichkeit. Sie kann aus den dunklen Gedanken heraushelfen, sagt Psychiater Sandeep Rout.

Nicht jeder sorgt sich

Was aber, wenn die Krisenangst fehlt? Viele Menschen empfinden das Klima, Corona oder Kriege nicht als persönliche Bedrohung. Was hat das zu bedeuten? «Manche Menschen verfügen über starke Abwehrmechanismen, die dafür sorgen, Ängste zu verdrängen oder nicht wahrzunehmen», erklärt Psychiater Sandeep Rout.

Das sei zwar in gewisser Weise gesund und schütze die Psyche. Im Hinblick auf die Klimakatastrophe sind zu starke Abwehrmechanismen jedoch kontraproduktiv, sagt Psychologin Kathrin Macha. «Gerade bei der Klimaangst ist es so, dass uns diese Angst auch etwas mitteilen will. Sie soll uns ins Handeln bringen, hier ist Verdrängung fehl am Platz.»

Wichtig sei aber, beim Erspüren der eigenen Ängste die gesamtgesellschaftliche Verantwortung zu sehen, um nicht unter der Last der eigenen Verpflichtungen zusammenzubrechen.

Angst in Stärke verwandeln

Die Sorgen auf vielen Schultern verteilen und dann daraus Stärke ziehen - das ist laut Amelie Schomburg der beste Weg, um mit Krisenängsten umzugehen.

Psychologin Kathrin Macha: Wer seine Ängste ernstnehmen und ihnen nicht unterlegen sein möchte, kann sich engagieren, Aktivistengruppen unterstützen oder sich mit Gleichgesinnten austauschen. «So erlangen wir die Kontrolle über unsere Gefühle zurück, die Ohnmacht schwindet und wir tun dabei auch noch etwas Gutes», sagt sie.

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