Hettenshausen

Bereit für den 100. Einsatz

Der 83-jährige Augenarzt Winfried Grasbon reist seit über 30 Jahren für OPs und Untersuchungen nach Afrika

12.07.2022 | Stand 22.09.2023, 7:01 Uhr

Dankbare Patienten: Allein in Ndanda hat Winfried Grasbon bei seiner ersten Reise in diesem Jahr 83 Patienten operiert. Fotos: Wojta

Von Claudia Wassermann

Hettenshausen – Der 100. Einsatz in Afrika steht an: Der Hettenshausener Augenarzt Winfried Grasbon will noch im Juli wieder nach Tansania, dann wird er auf seiner Liste dreistellig. Denn seit 1991 reist er vor allem nach Tansania, um dort Menschen mit kranken Augen zu helfen. Mehr als 15000 Untersuchungen hat er in seiner Bilanz stehen, fast 6500 Operationen schlagen zu Buche.

Gut, diese letzten Zahlen werden bei seiner nächsten Reise wohl nur bedingt steigen – denn vor allem reist Grasbon das nächste Mal wieder nach Afrika, um dort Mikroskope zu reparieren und einzubauen. Auch das gehört zu seiner ehrenamtlichen Arbeit: Er schleppt viel medizinisches Material oder Ersatzteile mit auf den Schwarzen Kontinent. Auch filigrane Gerätschaften – teils mehrere tausend Euro wert – bringt er auf seinen Reisen kurzerhand mit oder schickt sie per Spedition, um die Krankenhäuser entsprechend auszustatten. „Man muss sagen, wir haben recht viel Ausrüstung dagelassen“, sagt es Grasbon nüchtern. Im Dezember hatten sie OP-Mikroskope losgeschickt, die Fracht ist inzwischen angekommen – und die Geräte müssen nun bei der nächsten Reise montiert werden.

Mit Ersatzteilen auch aus Hettenshausen

Mit dabei ist dann auch wieder Hans Wojta. Der frühere Bürgermeister Hettenshausens ist Vorsitzender der Afrika-Blindenhilfe, der Verein unterstützt Grasbon bei seinem Engagement. Wojta reist seit ein paar Jahren als Helfer mit nach Tansania – und nimmt genau wie Grasbon so viel Material aus Deutschland mit, wie es nur geht. „Jeder packt seinen Koffer und dann wird gewogen“, sagt Wojta. „Was noch an Gewicht frei ist, wird aufgefüllt.“ Denn auch wenn sich seit Grasbons erster Reise vor gut 30 Jahren viel getan hat, vor allem das Krankenhaus in Ndanda sei inzwischen auf einem sehr guten Stand – alles, was direkt ans Auge kommt, will Grasbon aus Deutschland mitbringen. Wenn es auch heuer wieder nach Tansania geht, schleppen sie daher sechs große Gepäckstücke mit, teils als Sperrgepäck. Immer wieder greift Grasbon dazu auch auf seine alten Gerätschaften aus seiner früheren Praxis zurück, die übrige Ausstattung dient ihm immer wieder als Ersatzteillager.

Aber auch wenn die Anreise anstrengend ist, zwischendurch Hunderte Kilometer in klapprigen Geländewagen auf buckeligen Pisten zurückgelegt werden müssen und es auch mit dem Wasser vor Ort so eine Sache ist – selbst nach mehr als 50 Reisen nach Afrika denkt der Hettenshausener Augenarzt noch lange nicht ans Aufhören. „Das ist seit 1991 mein Hobby“, sagt der 83-Jährige. „Die Leute dort sind sehr dankbar, sie brauchen es wirklich. Und es ist auch immer ein Abenteuer.“

Da sind zum Beispiel die Momente, in denen Grasbon mit den riesigen Gepäckstücken auf die Einreise wartet und der zuständige Beamte sich querstellt, meist auch eine entsprechende Geldsumme zur Lösung des Problems fordert. Grasbon sagt dann einfach: „You have to call Mr. Pinda“, der Beamte solle den früheren Staatschef Mizengo Pinda anrufen. Dazu zeigt er ein Foto, das Grasbon mit dem Politiker zeigt – der passende Freifahrtschein. „Jetzt brauchen wir langsam ein Foto mit dem jetzigen Regierungschef“, sagt Wojta mit einem Lachen.

Wobei sich Grasbon nicht einfach über die Regeln hinwegsetzen will, aber manche Kniffe hat er bei 56 Reisen eben gelernt. „Ich habe ganz am Anfang einmal versucht, alles richtig zu machen. Habe alles an Gepäck angemeldet“, sagt er. Da wurde ihm in Afrika gesagt, er bekomme sein Gut erst, wenn er vier Stempel von vier verschiedenen Ministerien vorweisen kann. „Einen Tag lang bin ich hin- und hergerannt. Den Zettel wollte am Ende keiner sehen“, sagt er.

Wenn er dann in den Kliniken ist, beispielsweise im St. Benedict Ndanda Referral Hospital im Süden Tansanias, geht es nicht mehr um Bürokratie. Dann steht Grasbon tagelang nur am OP-Tisch, heilt beispielsweise Patienten, die am grauen Star erkrankt sind. „Es gibt Leute, die warten zum Teil viele Jahre auf eine OP“, sagt der Augenarzt. Einmal habe er einen Mann operiert, der 22 Jahre lang blind war. Erst als auch die Frau nicht mehr richtig sehen konnte, kam das Paar zu ihm. „Der Mann hat seine Frau in Erinnerung gehabt, wie er sie kennengelernt hatte – eben 22 Jahre jünger“, sagt Grasbon und fügt mit einem Lachen an: „Da war die Überraschung groß.“ Zahlreichen Menschen konnte er in den vergangenen drei Jahrzehnten helfen, darunter auch eine Frau, die von ihren Töchtern begleitet worden ist. „Sie hat ihre eigenen Kinder nicht erkannt nach der OP, erst dann an der Stimme“, sagt Grasbon. „So lange hat sie die Töchter nicht gesehen.“

Der jüngste Patient war fünf Monate alt

Besonders ergreifend sind für den Mediziner noch immer die Geschichten mit Kindern. „Ein Dreijähriger hat nach der OP einfach die Augen nicht aufgemacht, wir wussten also lange nicht, ob es geklappt hat“, erinnert sich Grasbon. Dann war das Team schon kurz vor der Abreise, als es draußen ein wenig lauter wurde – da spielte dieses Kind begeistert mit einer Pflasterschachtel Fußball und lief mit offenen Augen hin und her. Oder ein anderes kleines Kind, das mit den Eltern bis aus Mosambik gekommen war, samt einer gefährlichen Flussüberquerung. „Das Auge war eigentlich schon verloren“, sagt Grasbon, aber er konnte es noch retten. „Die kleinen Wutzel sind die liebsten.“ Sein jüngster Patient war gerade einmal fünf Monate alt.

Aber auch für das „nichtmedizinische Personal“ wie Wojta gibt es Unmengen zu tun. „Ich bin der Handlanger“, sagt er selbst. Beispielsweise waren im Krankenhaus in Mbinga im Südwesten Tansanias einige Steckdosen durchgeschmort – da wurde der frühere Bürgermeister kurzerhand zum Elektriker. Außerdem fällt immer wieder der Strom aus, auch im Krankenhaus. „In einer Stunde hatten wir mal zwölf Stromausfälle“, erinnert sich Grasbon. Wenn gerade ein Patient mit offenem Auge auf dem Tisch liegt, ist das eine schwierige Situation. Manchmal funktioniere alles nach wenigen Minuten wieder, manchmal dauere es auch eine Stunde. Die nichtmedizinischen Helfer versuchen dann so schnell wie möglich, die Notstromaggregate zum Laufen zu bringen – und notfalls auch schnell, schnell den nötigen Diesel heranzuschaffen.

Auch wenn der 83-jährige Grasbon noch lange nicht ans Aufhören denkt: Momentan sieht es so aus, dass er passende Mediziner im Land gefunden hat, die das Vorhaben der Afrika-Blindenhilfe weiter unterstützen. Drei Ärzte in der Ausbildung begleiteten ihn bei seinen letzten Einsätzen in Ndanda und Mbinga. „Die haben beim Doktor quasi Praktikum gemacht“, sagt Wojta. „Zum Abschluss haben sie auch ihr Berichtsheft vorgelegt, das musste der Chef dann abzeichnen.“ Mit Hilfe der drei jungen Mediziner wurde teils an zwei Tischen gleichzeitig operiert. Grasbon zeigte ihnen einige Kniffe – und hofft nun, sie auch bei späteren Einsätzen mit einplanen zu können.

PK



Die vergangene Reise

Im April und Mai 2022 waren Winfried Grasbon und Hans Wojta vier Wochen lang in Tansania – 137 Operationen absolvierte Grasbon in dieser Zeit. Eigentlich fliegt er mehrmals im Jahr nach Afrika, Corona hatte ihn nun seit Februar 2020 ausgebremst. „Es war an der Zeit, es war wirklich notwendig“, sagt der Augenarzt. Es war für ihn die 56. Reise.

Seinen ersten Einsatz – noch unter dem Dach der Christoffel-Blindenmission – erlebte er 1991 in Ruanda. Auf die Idee gebracht hatte ihn ein Patient in Deutschland, der ein sogenanntes Flügelfell im Auge hatte. „Der hat mich nach Togo eingeladen – und ich hatte sozusagen meinen ersten zufriedenen Kunden aus der Gegend“, sagt Grasbon.

Es hatte allerdings noch 20 Jahre gedauert, bis er 1991 erstmals in Afrika war. Schnell sei ihm dabei auch klar geworden, dass er solche Einsätze eigenständig besser organisieren könne. In der Heimat unterstützt ihn seit 1995 der Hettenshausener Verein der Afrika-Blindenhilfe. Der ehrenamtliche Einsatz wird über Spenden finanziert. Diese sind möglich auf das Konto der Afrika-Blindenhilfe Hettenshausen bei der Sparkasse Pfaffenhofen, Iban DE28721516500000 011908, Bic BYLADEM1PAF.

PK

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