Mehr Fragen als Antworten

Uraufführung: Marcus Everdings Stück über den „Studiosus Simon Mayr“

31.07.2022 | Stand 22.09.2023, 20:28 Uhr

Die Musik (Katrin Wunderlich) hat den Komponisten Simon Mayr (David Endreß) bereits fest im Griff. Foto: Schulze-Reimpell

Von Jesko Schulze-Reimpell

Ingolstadt – „Der Hauptfehler steckt darin, dass die Universität in Ingolstadt ist. Der Ort ist klein, arm, nicht sehr gesund, ohne Ruf, ohne Noblesse, sogar ohne Theater“, sagt der Erzähler in dem Theaterstück „Die Wandlung – Studiosus Simon Mayr“ von Marcus Everding, das am Samstag im Großen Haus des Stadttheaters Ingolstadt uraufgeführt wurde. Er versucht das geistige Umfeld auszuleuchten, in dem der junge Simon Mayr, noch bevor er sich dazu entschieden hat, Musiker zu werden, in Ingolstadt als Student aufgewachsen ist. Die erläuternden Sätze verraten bereits, warum aus den Studien nichts werden konnte, es Mayr bald woanders hinzog und er kaum je wieder zurückkehrte.

Auch bei Everdings Stück, das als Produktion der Internationalen Simon-Mayr-Gesellschaft auf die Bühne gebracht wurde, und bei dem er auch die Regie übernahm, möchte man einen Hauptfehler suchen. Er ist schnell gefunden und liegt darin, dass es vom jungen Simon Mayr handelt – einer historischen Figur, von der man offenbar so gut wie nichts weiß und der dementsprechend auch ein so guter Dialogschreiber wie Everding kein Leben einhauchen konnte.

Der Informationsgehalt, den Everding in seinem rund eine Stunde dauernden Werk vermittelt, ist so dürftig, dass es noch nicht einmal für den Schulfunk taugen würde.

Über Mayr erfahren wir kaum mehr, als ohnehin bei Wikipedia nachgelesen werden kann: dass er ein paar Jahre in Ingolstadt unter anderem Theologie, Medizin und Jura studierte und nebenbei eher unauffällig als Kirchenorganist gearbeitet hat. Ansonsten war er offenbar total unauffällig. Hatte er Liebschaften? Everding deutet es an, ohne sich festzulegen. War er fleißig? Der Autor vermutet eher nicht, sonst wäre er doch bei den Studien geblieben. War er von Musik begeistert? Wir wissen es nicht, aber Everding unterstellt ihm, dass er früh aufstand, um den Gottesdienst zu begleiten. Hatte er Freunde? Bei Everding nicht. Dafür war er umgeben von Wirtinnen, die alle irgendwie in dem scheinheiligen Grenzbereich zwischen frömmelnd und verrucht die Studenten mit mehr oder weniger lebenswichtigen Gütern versorgten.

Die bedeutendste historische Figur der Zeit war der Baron de Bassus – da allerdings verzichtet Everding, ihn auftreten zu lassen.

Was wir definitiv vermuten können, ist, dass Mayr in diesen Jahren allmählich zur Musik gefunden hat. Diesen Prozess der Identitätsfindung macht Everding zum Thema seines Stücks. So lässt er Mayrs Musik als Person auftreten, die ihn gleich am Anfang verteidigt und ihn vor dem Vergessen retten möchte. In einer Szene verfolgt Die Musik den jungen Studenten, er weicht aus, fühlt sich belästigt. Es kommt zu einem ersten Gespräch, ein Flirt ist das allerdings nicht zwischen den beiden fast gleich gekleideten Personen. Sondern so etwas wie ein handfester Streit. Denn Mayr will zunächst nicht Musiker werden, die allegorische Figur muss ihn erst massiv an sein großes Talent erinnern, das ihn zur Berufung wird.

Am Ende des Stücks treten die Allegorien der verschiedenen Studienfächer wie in einer TV-Show gegeneinander an, kratzen sich in ihrem Bemühen um den Studiosus Mayr fast die Augen aus. Der aber entscheidet sich für die Musik, sitzt nun am Cembalo und starrt vielsagend in die Ferne, die die großartige Zukunft bedeutet.

Das alles ist gut gespielt und gesprochen: Sascha Römisch als Erzähler verleiht dem Text einen ironischen Unterton, Katrin Wunderlich als Die Musik ist die vielleicht umtriebigste und aktivste Figur, mit Witz und Charme spielen auch Lily Schuster, Elisabeth Nekola und Julia Stang mal die Wirte und Kirchgänger, dann die Allegorien verschiedener Wissenschaften, während David Endreß als Mayr eher blass und unentschieden bleibt. Er ist kaum je initiativ, dafür wird er von den anderen Figuren durch die dünne Geschichte getrieben. Freundlicher Beifall nach einer Stunde für ein Stück, dass mehr Fragen hinterlässt als Antworten gibt.

DK

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