Bayreuth is calling

Dirigent Markus Poschner dirigiert die Festspiel-Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“

21.07.2022 | Stand 22.09.2023, 20:55 Uhr
Sabine Busch-Frank

Von Sabine Busch-Frank

Bayreuth – Irgendwo in Griechenland, ein paar Tage Urlaub mit der Familie und dann klingelt das Telefon. Am Tag vor der Orchesterhauptprobe „Tristan“ passierte das dem Dirigenten Markus Poschner, dessen steile Karriere vor vielen Jahren mit dem Georgischen Kammerorchester begonnen hatte. Derzeit hat er als Chefdirigent des Bruckner Orchesters Linz auch am modernsten Opernhaus Österreichs zu dirigieren. Für seinen dortigen „Tristan“ erhielt er 2018 den Österreichischen Musiktheaterpreis für die „Beste musikalische Leitung“.

Wenige Stunden nach dem Anruf aus Franken saß Poschner im Flugzeug, um das Dirigat der Eröffnungspremiere und der Folgevorstellungen zu übernehmen. Die Festspielleitung war durch die Erkrankung des „Ring“-Dirigenten Pietari Inkinen in die Bredouille geraten, Cornelius Meister sprang ein, den wiederum Poschner nun ersetzt. Wo eine Krise die andere Krise jagt, muss man elastisch bleiben. „Wir müssen uns umso mehr an dem festhalten, was als Gegengift wirkt: Kultur ist kein Luxusartikel für gute Zeiten, sondern der Klebstoff unserer Gesellschaft, sie macht uns doch eigentlich erst zu Menschen!“ findet Poschner.

Auf die Frage, ob man da im Flugzeug schnell noch mal eine Aufnahme anhört, muss er lachen. „Nein, aber ich brauche jedes Mal einen emotionalen Zugang zu der Welt hinter der Notenschrift. Das ist, wie wenn man sich an die eigene Kindheit erinnert, man muss sich hineinfühlen, den ganz persönlichen Schlüssel finden.“

Auch wenn Poschner den „Tristan“ schon oft dirigiert hat, ist so ein Einspringen natürlich keine Traumlösung. Er kennt zwar den Bühnenbildner Piero Vinciguerra aus Münchner Zeiten, aber mit dem Regisseur Roland Schwab konnte er im Vorfeld bisher nur kurz sprechen. „Normalerweise nimmt man dafür einen Anlauf von Jahren. Aber wir kennen beide das Stück sehr gut, und er hat Text und Partitur auch nicht verändert“, so Poschner.

Poschner, der sich als Archäologe der Partitur begreift, ist weitab davon, den „Tristan“ routiniert runterzupinseln. „Dieses Werk ist absolut, eine Allegorie des ewig Menschlichen. Dazu eine Musik wie ein Strudel, eine Droge, die direkt ins Unbewusste zielt. Für ausführende Künstler durchaus gefährlich, das ergreift einen und droht, einen wegzuheben. Aber am Ende muss das Publikum die Tränen in den Augen haben, nicht das Orchester Rotz und Wasser heulen. Wir müssen sehr professionell damit umgehen, haben eine verantwortungsvolle Aufgabe mit der Partitur. Man muss sich auch die Kräfte gut einteilen. Das betrifft aber alle, Musiker, Sänger, mich. Das ist wie ein Marathon, man muss wissen, wie weit die Strecke ist. Nicht zufällig hat man viele Sänger, die fantastische Leistungen im ersten Akt abgegeben haben, hier am Ende scheitern hören.“

Die Architektur des Festspielhauses in Bayreuth, wo das Orchester unsichtbar unter der Bühne platziert ist und der legendäre Mischklang auch große Verzögerung zwischen dem gespielten und dem gehörten Ton hervorruft, ist eine weitere Herausforderung. „Ich war oft dort, auch im Graben“, erzählt Poschner, „aber das dort selbst auszuführen, ist schon noch mal etwas ganz anderes. Das Großartige ist, dass man durch diese Architektur das Kunstwerk ganzheitlich herstellt, man schwebt. Eine Magie, die man woanders so nicht erleben kann. Dazu kommt natürlich auch noch die nahtlose Rezeptionsgeschichte seit 1876. Da gibt es ja immer viele Erkenntnisse und Lesarten, die nirgends notiert und aufgeschrieben wurden, sondern die als Wissen weitergegeben werden.“

Poschner hatte noch mal ein paar Tage mit der Familie in Griechenland, während in Bayreuth am „Ring“ geprobt wurde, inzwischen ist er wieder dort. „Tristan“ kommt wieder zur Generalprobe an diesem Freitag aufs Pult.

Dass die Eröffnungspremiere auch immer ein Boulevard Ereignis ist, zu dem der Prominenz ein roter Teppich ausgerollt wird und nach dem ein Staatsempfang stattfindet, weiß Poschner zwar, aber er schiebt den Gedanken weg. „Natürlich bin ich realistisch genug, dass ich weiß, dass das eine moderne Heilige Messe ist, ein großes gesellschaftliches Ereignis. Ich mag auch diese gewisse Haltung, dass man hier die Kunst über alles stellt. Aber wir müssen uns auf unsere Aufgabe konzentrieren, in die muss ich mich versenken und vertiefen dürfen.“

DK

 
Die Premiere von „Tristan und Isolde wird am Donnerstag, 25. Juli, ab 15.57 Uhr durch den Bayerischen Rundfunk in Surround über Satellit und im digitalen Kabel live aus dem Bayreuther Festspielhaus übertragen.

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