Mozart und die Moderne

Gelungener Auftakt des neuen Formats Artmosphere in Ingolstadt

17.07.2022 | Stand 22.09.2023, 21:08 Uhr

Lieder von Liebe und Eifersucht: Josefin Bölz ist Star des Abends. Foto: Luff

Von Robert Luff

Ingolstadt – Die elfgrad° Event Location in der Stauffenbergstraße ist weder Opernhaus noch Konzertsaal. Und doch zauberten hier die Sopranistin Josefin Bölz, der klassische Pianist Vladimir Valdivia, die Tänzerin Jessica Grau und der Jazz-Pianist Pieter de Graaf eine warme und überzeugende Performance in den kühlen Charme einer Fabrikhalle, die den Bogen von der Klassik zur Moderne spannte. Am Samstagabend wurde in Ingolstadt ein neues Format geboren, das die Genregrenzen zwischen klassischer Musik, Tanz, Jazz und elektronischen Beats überwindet und für das Publikum neue Wahrnehmungsmöglichkeiten von Kunst und Musik öffnet. Durch den Abend moderierten Amira Mirvic und Julius von Ingelheim.

Ganz entspannt mit einem Glas Wein in der Hand standen und saßen die etwa 100 Gäste gruppenweise verteilt im riesigen „Wohnzimmer“ der Agentur Achtzig20 und lauschten den Mozart-Arien und Schubert-Lieder mit Klavierbegleitung ebenso wie den gewaltigen Klanglandschaften, die der niederländische Komponist und Jazzpianist Pieter de Graaf kreierte. Dazwischen bot Jessica Grau einen ekstatischen, teils choreographierten, teils improvisierten Körpertanz, der um Nähe und zwischenmenschliche Beziehungen kreiste. Auch die perfekte Akustik und eine treffsichere Lichtregie trugen zu diesem synästhetischen Kunstgenuss mit allen Sinnen bei.

„Wir möchten einen Space schaffen, wo alle sich ausleben können“, kündigten die beiden jungen Moderatoren an und tatsächlich bot der Ort ganz neue künstlerische Möglichkeiten des Auftritts und der Rezeption. Eine eigentliche Bühne gab es gar nicht und man saß auf dem Stuhl, der Ledercouch oder im Hängesessel um einen zentralen freien Raum herum, auf dem sich das Geschehen abspielte. Im ersten klassischen Teil intonierte die junge Sopranistin Josefin Bölz mehrere Arien von Wolfgang Amadeus Mozart, Lieder von Franz Schubert und Arietten aus Operetten von Albert Lortzing und Franz Lehár.

Unaufdringlich und doch präsent begleitete sie der peruanische Pianist Vladimir Valdivia, der auch mehrere überzeugende Solostücke bot. Dabei entführte er das Publikum mit Enrique Granados‘ „Romanza andaluza“ nicht nur in den maurischen Süden Spaniens, sondern entwarf auch mit Opus 9, Nr. 2 von Frédéric Chopins „Nocturnes“ ein melancholisch-vielschichtiges Nachtgebilde in filigranen Tönen. Virtuos und dynamisch zauberte Valdivia dann auch die Zarzuela „El condor pasa“ seines Landsmannes Daniel Robles in den Raum.

Die Arien und Lieder, die Josefin Bölz, eine noch junge, aber vielversprechende Sopranistin, anstimmte, bewegten sich thematisch um die großen und uralten Emotionen Liebe und Eifersucht. Der Reigen reichte von Mozarts „Veilchen“, dessen Text von Goethe stammt, über die Arie „Durch Zärtlichkeit und Schmeicheln“ aus der Mozart-Oper „Die Entführung aus dem Serail“ und das Schubert-Lied „Seligkeit“ bis zu den Arietten „Die Eifersucht ist eine Plage“ und „Meine Lippen, sie küssen so heiß“ aus den Operetten „Der Zar und der Zimmermann“ von Albert Lortzing und „Giuditta“ von Franz Lehár. Bölz verstand es, diese Gefühle durch ihren kraftvollen und ausdrucksstarken Sopran mit warmem Timbre und beachtlicher Koloratur authentisch wiederzugeben.

Für viele im Publikum wurde dann der zweite, moderne Teil des Abends, den Pieter de Graaf gestaltete, zum Höhepunkt. Der niederländische Jazzmusiker, Komponist und Arrangeur wird in der Kritik nach dem Erfolg seiner Alben „Fermata“ und „Equinox“ schon als neuer Stern am Musikhimmel gefeiert. Und was er in der Elfgrad° Location bot, war wirklich musikalische Extraklasse. In drei umfangreichen Solostücken und einer vom Publikum geforderten Zugabe inszenierte er eine Ein-Mann-Show in Perfektion: Er improvisierte am Piano, bediente gleichzeitig immer wieder das Basspedal und mehrere Midi-Keyboards und behielt auch den Laptop für die Loops und Synthesizer-Effekte im Hintergrund im Auge. So entstanden komplexe, aber harmonische neoklassische Klangteppiche, die den Zuhörer auf unendliche Reisen in eine optimistische Zukunft mitnehmen und zugleich seiner Seele schmeicheln. Man kann de Graafs akustische Landschaften kaum beschreiben, man muss sie erleben. Als der Jazzpianist dann zusammen mit Josefine Bölz aus Mozarts Requiem „Lacrimosa“ klanggewaltig in den Raum warf, war die Symbiose von Klassik und Moderne endgültig gelungen. Fazit: Das neue Format Artmosphere ist eine Bereicherung für die Ingolstädter Musiklandschaft. Fortsetzung erwünscht.

DK



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