Ingolstadt

Bis zur Schanz und keinen Schritt weiter

Maximilian Schuster, Vorsitzender des Festungsvereins, über feindliche Preußen und Frieden stiftende Mauern

07.07.2022 | Stand 22.09.2023, 21:28 Uhr

Echter Schanzer: Maximilian Schuster auf dem Reduit Tilly, einem der ältesten und prächtigsten Werke der Landesfestung. Fotos: Silvester

Der Vorsitzende des Ingolstädter Festungsvereins schlägt für das Gespräch mit dem DK eines der außergewöhnlichsten und idyllischsten Vereinsheime der Republik vor: das der Wasserrose in der Fronte Rechberg. Von fast zehn Meter hohen Ziegelmauern umgeben fiepen Vögel in Volieren, ein Bach plätschert durch die einladend bepflanzte Anlage. In der Festungszeit sollte er den Graben fluten, um Feinde auf Distanz zu halten. Der lauschige Biergarten liegt im Visier von Schießscharten. „Was hier so mächtig erhalten ist, war nur ein kleiner Teil der einstigen Landesfestung“, sagt Maximilian Schuster (40), Vorsitzender seit 2021, von Beruf Realschullehrer für Geschichte und Englisch. Anlass des Treffens: „50 Jahre Bayerisches Armeemuseum in Ingolstadt.“ Da kommt man an der Festung Ingolstadt natürlich nicht vorbei.

An der Ingolstädter Festung des 19. Jahrhunderts ist kein einziger Schuss gefallen – spricht das jetzt für oder gegen deren historische Bedeutung?

Maximilian Schuster: Es spricht auf alle Fälle für die Bedeutung dieser Festung, denn sie war in ihrer Dimension so gewaltig, dass eine Erstürmung sehr viele Soldaten und viel Material benötigt hätte. Das hätte sich ein Gegner wie Preußen ja gar nicht leisten können. Im Krieg 1866 sind die Preußen, die damals gegen Österreich und Bayern gekämpft haben, sicher auch wegen dieser Festung nicht auf Ingolstadt vorgerückt. Dass hier kein Schuss gefallen ist, liegt auch daran, dass die Schanzer friedfertige Leute sind. Es sei denn, es geht um den Bau der Kammerspiele. Im Ernst: Tatsächlich ist die historische Bedeutung gegeben. Ohne die Festung wäre die Ansiedelung von Audi nicht gekommen. Die Auto Union hat in den unzerstörten Festungsbauten ihre Produktion aufgebaut. Ohne Audi hätte Ingolstadt heute die Bedeutung einer Provinzstadt wie Eichstätt.

Die Eichstätter rollen sofort ihre Haubitzen aus dem Depot, wenn sie das lesen!

Schuster: Nein, denn die sind nicht mehr da. Die sind alle im Bayerischen Armeemuseum.

Wie darf man sich die Zusammenarbeit des Festungsvereins mit dem Bayerischen Armeemuseum vorstellen?

Schuster: Ich habe da ein passendes Bild: Es ist wie mit Eltern, die mit ihren Kindern im Auto auf einer Reise sind und im Stau stehen. Die Eltern behalten einen kühlen Kopf, wissen, was passiert. Das ist das Armeemuseum. Und im Förderverein der Bayerischen Landesfestung, den es seit 2004 gibt, könnte man die Kinder sehen, da kommen Nachfragen jeglicher Art: Kann man da was machen? Können wir diesen Raum nutzen? Das Armeemuseum ist die Institution in Ingolstadt für uns! Ein verlässlicher Ansprechpartner. Auf diese Unterstützung sind wir als kleiner Verein angewiesen.

Bedauern es manche Festungsfans eigentlich, dass sich diese Bastion nie bewähren musste?

Schuster: Man muss froh sein, dass die Festung nie zeigen musste, wofür sie eigentlich gebaut wurde, denn das hätte bedeutet: Krieg, Belagerung, Vernichtung, Tod.

Die Festungstechnik stand immer im Wettstreit mit der Entwicklung der Artillerie, bis diese letztlich obsiegte. Wie kam es dazu, dass die Festung Ingolstadt aufgegeben wurde?

Schuster: Aufgegeben wurde die Festungseigenschaft der Stadt Ende der 1930er, weil die Festungswerke vollkommen veraltet waren. Sie haben aber vorher schon nicht mehr ihren Zweck erfüllt. Das war schon im Ersten Weltkrieg so, als sie als Unterkünfte für Kriegsgefangene dienten.

Warum haben viele deutsche Festungstypen französische Namen – Caponniere, Reduit, Kavalier –, obwohl sie gegen die Franzosen gerichtet waren?

Schuster: Die Ingolstädter hatten immer schon Stil, und Französisch ist eleganter als Deutsch. Das deutsche Wort für Caponniere (in einer davon residiert heute das Kulturzentrum Kap94, d. Red.) wäre Grabenkoffer oder Grabenwerk. Deshalb ist es klar, warum hier französische Begriffe zu finden sind. Tatsächlich war der Gründervater der polygonalen (vieleckigen, d. Red.) Festung, wie die in Ingolstadt, ein französischer Festungsingenieur: Marquis de Montalembert. Der hat das Grundschema des Polygonalsystems eingeführt.

Wo kommt der Fachbegriff Kavalier her? Das Kavalier wohlgemerkt – nicht der Kavalier.

Schuster: Ein Kavalier überragt die anderen Festungsbauten in der Umgebung, so dass es das Vorfeld beherrschen kann. Die Kavaliere kommen schon elegant daher mit den abgeknickten Ohren an der Seite.

Was halten Sie vom eben fertig sanierten Kavalier Dalwigk?

Schuster: Ich bin froh, dass das Dalwigk saniert wurde und dass es eine sinnvolle Nutzung ist. Aber das Umfeld des Kavaliers (das alte Gießereigelände, d. Red.) .. . Als ich die Rohbauten in die Höhe wachsen sah, war mein erster Gedanke: Da werden Teile der Festung wieder errichtet! Es gibt sogar einen Flak-Turm (er meint den bald vollendeten Neubau neben dem Dalwigk, d. Red.). Ich habe dazu mal einen Leserbrief für den DK geschrieben mit der Überschrift „Wettbewerb des schlechten Geschmacks“. Das Filetgrundstück der Stadt wurde zu Hackfleisch verarbeitet.

Die meisten Festungsrelikte sind öffentlich genutzt und damit sehr gegenwärtig. Was können wir in diesen alten Mauern unserer Stadt dennoch über die Geschichte des Krieges lernen?

Schuster: Die Landesfestung Ingolstadt zeigt typisch, dass sich die Bedeutung und die Wahrnehmung von Krieg verändert hat. Und auch, dass sich Herrschaftsformen verändert haben. Früher haben Herrschende ihren Willen durchgesetzt. Da wurde ein Bauprojekt wie diese gewaltige Landefestung einfach durchgezogen – koste es, was es wolle und egal, ob es die Bevölkerung will oder nicht. Das waren ja gigantische Gürtel, die für die Bevölkerung nicht nutzbar oder begehbar waren. Das war für Kriege gedacht, die selbstverständlich waren. Doch die Wahrnehmung hat sich geändert – und auch die Nutzung der Gebäude. Man kann Festungen Gott sei Dank kreativ nutzen: für Behörden, für Museen, für Künstler, für Vereine, für das Stadtarchiv. Festungen sind heute Orte des Wissens und der Kultur. Das macht Hoffnung.

Das Gespräch führte Christian Silvester.

Epochale Festungsgeschichte

Gut möglich, dass der Kämmerer Ludwigs I. weinte, als ihm der König seine große Strukturfördermaßnahme für die traurige Stadt Ingolstadt darlegte: Der Bau der Landesfestung, begonnen 1828, war das teuerste Projekt Bayerns. Sie kostete, in Euro unserer Tage umgerechnet, etwa so viel wie der Berliner Flughafen, hat Maximilian Schuster herausgefunden: sechs Milliarden.

Die Ingolstädter Festungsgeschichte ist wahrlich epochal. Schuster zählt auf: Die Stadtmauer des 13. Jahrhunderts, das Neue Schloss (eine Burg), die Landesfestungen des 16., 17. und 19. Jahrhunderts. Nicht zu vergessen im 20. Jahrhundert die Tiefgaragen Theater Ost und Tilly, die als Atombunker gebaut wurden. „Welche Stadt hat so ei-ne lange Festungstradition?“ Viele sind es sicher nicht.

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