Debatte um die Kammerspiele

Flammende Appelle und ein Knalleffekt

Disziplinierte Diskussion vor Schülerinnen und Schülern des Katharinen-Gymnasiums

05.07.2022 | Stand 22.09.2023, 21:35 Uhr

Mit ernsten Mienen auf dem Podium im Katharinen-Gymnasium: Die Debatte um die Kammerspiele wühlt viele auf. Von links: Peter Bachschuster, Gabriel Engert, Lara Pecjak, Rudolf Reuß, Michael Springl, Jürgen Uedelhoven und Knut Weber. Das Gespräch verlief harmonisch. Allerdings saß nur ein Projektkritiker auf der Bühne: Springl. Foto: Hammer

Von Christian Silvester

Ingolstadt – Bevor die 17-jährige Schülerin und die sechs älteren Herren auf dem Podium argumentativ in die Vollen gehen, bittet Matthias Schickel, Leiter des Katharinen-Gymnasiums und Moderator der Diskussion, die gut 250 Schülerinnen und Schüler in der Turnhalle um einen Spezialapplaus für Michael Springl. Was sofort geschieht. Denn er ist der Einzige in der Runde, der die Kammerspiele kritisch sieht – aber nur den geplanten Standort an der Schutterstraße, nicht das Projekt an sich, wie er betont.

Keine ideale Debattenkonstellation, zumal im Zeichen der großen Brisanz der Auseinandersetzung. Er habe wesentlich mehr Gegner der Kammerspiele und auch mehr Frauen eingeladen, erzählt Schickel später auf Nachfrage. Leider hätten viele keine Zeit gehabt; solche Schulveranstaltungen fänden nun mal vormittags statt. Damit lief es eben auf diese Besetzung hinaus. So oder so: Die Diskutantin und die Diskutanten erlebten nach der Aussprache gewiss eine Überraschung.

SIEBEN ANSICHTEN
Folgende Aussagen sind zum Teil aus mehreren Redebeiträgen zusammengesetzt:

Peter Bachschuster, Architekt und Stadtplaner, der 2019 einen vielbeachteten Entwurf für ein Theater am Nordufer der Donau vorgelegt hat:

„Wir haben einen Alternativvorschlag gemacht – aber nicht für oder gegen die Kammerspiele. Meine persönliche Meinung ist eine positive zu den Kammerspielen. Aber wir hätten uns eine andere Vorgehensweise gewünscht, nämlich dass man dieses Gebäude, das ja ein wesentliches Auslageelement für die Stadt Ingolstadt ist, dazu nutzt, um eine weiterführende, intensive Stadtentwicklung zu betreiben. Was mir fehlt, ist die Vision von Ingolstadt. Das heißt, es fehlt das big picture. Was will Ingolstadt in der Zukunft? Und wohin will Ingolstadt? Wir Stadtplaner müssen immer daran denken: Was passiert mit den Generationen 1 und 2 nach uns?“

Gabriel Engert, Kulturreferent seit 1994 und noch bis 2024 gewählt:

„Das neue Kleine Haus ist auch ein Projekt der Bildung. Kultur und Bildung sind zwei Seiten einer Medaille. Wenn die Gegner der Kammerspiele sagen, die Stadt solle zuerst die Schulen sanieren, so entsteht da ein völlig irreführender Eindruck. Beides hat nichts miteinander zu tun! Die Schulsanierungen sind keine Frage des Geldes, sondern von fehlendem Manpower in der Bauverwaltung. Es kam auch zu Kostensteigerungen in anderen Gebäuden, etwa in der Kongress-Tiefgarage. Und keinen Menschen interessiert es! Aber der Kultur wird so etwas immer vorgehalten.“

Lara Pecjac, 17, Schülerin des Katharinen-Gymnasiums. Sie ist Vize-Vorsitzende des Jugendparlaments, das sich einstimmig für die Kammerspiele ausgesprochen hat:

„Ich möchte diese grundlegende Frage unserer Stadt aus der Perspektive der Jugendlichen schildern, denn ich bin ja hier mit Abstand die Jüngste. Wir diskutieren heute über das Leben, das wir später führen werden. Wir werden die Kultur brauchen. Und deshalb brauchen wir die Kammerspiele!“

Rudolf Reuß, Vorsitzender des Elternbeirats des Katharinen-Gymnasiums. Er spielt seit vielen Jahren in der Audi-Bläserphilharmonie Klarinette:

„Viel Kultur in Ingolstadt bezahlt die Firma Audi. Warum macht sie das? Es geht um Kultur als Standortfaktor. Audi will die besten Mitarbeiter haben. Das Wichtigste an einem Standort sind die Menschen. Deshalb ist Kultur ein Standortfaktor. Und deshalb brauchen wir die Kammerspiele. Es geht nicht, dass das Stadttheater zugesperrt wird und während der Zeit der Sanierung kein Theater stattfindet!“

• Michael Springl, Unterstützer der Initiative gegen den Standort der Kammerspiele:

„Ich bin nicht gegen Kultur. Ich bin nicht gegen die Kammerspiele. Aber in der Stadtratssitzung vom 14. Dezember 2021 (da fasste der Stadtrat mit 38 zu 11 den Grundsatzbeschluss für das Kleine Haus, d. Red.) wurden meine schlimmsten Befürchtungen wahr: Eine eingewachsene Grünanlage in der Altstadt wird unwiederbringlich zerstört. Eine vor einigen Jahren sanierte Tiefgarage wird zerstört und wieder neu aufgebaut. Bei den Kosten sind wir jetzt bei 45,2 Millionen Euro – statt 30 Millionen – und auch die werden nicht zu halten sein. Wir werden in Zukunft auch die Ökologie mehr beachten müssen. Die Planungen an der Schutterstraße sind nicht alternativlos. Man muss sich den Klenzepark noch mal anschauen. Oder das Areal des früheren Hallenbads Mitte. Das ist jetzt eine Bauschuttdeponie.“

Jürgen Uedelhoven, Unternehmer. Seine Gaimersheimer Firma baut weltweit Automobil-Prototypen und Showcars:

„Ingolstadt muss es auch ohne Audi schaffen, attraktiv zu sein. Ingolstadt muss auch attraktiv sein für Arbeitgeber, die nicht in der Automobilindustrie tätig sind. Dann würde es einen weiteren Umschwung geben und ganz neue Geschäftsmodelle! Wir müssen deshalb für Kultur kämpfen, denn das ist die Zukunft der Stadt. Man darf auch den Wirtschaftsfaktor der Kultur nicht vergessen. Die Theaterbesucher gehen davor zum Einkaufen und danach zum Essen. Wenn die Inszenierungen gut sind, bringt das Theater auch Leute aus der Region und von weiter her zu uns. Kultur ist ein Magnet für Menschen!“

Knut Weber, Intendant des Stadttheaters seit 2011:

„Die Gegner haben eine populistische Kampagne gestartet, in der auf Plakaten Kapuzenjugendliche zu sehen sind und dazu der Text: ,Jugend auf der Straße – Theater im Palast.’ Das ist ziemlich unangenehm, weil damit gespielt wird, als seien Kunst und Kultur ein Elitenprojekt – was aber überhaupt nicht stimmt! Wir haben ein Junges Theater mit 50000 Zuschauern pro Spielzeit und ein super Ensemble, das insgesamt 150000 Besucherinnen und Besucher pro Spielzeit anzieht.“

SCHLUSSRUNDE
Schickel fordert alle auf, eine Frage mit nur einem Satz zu beantworten. Sie lautet: „Wenn die Bürgerbegehren am 24. Juli gegen die Schule am Augraben und gegen die Kammerspiele ein Erfolg werden, was bedeutet das für Ingolstadt?“

Peter Bachschuster: Sicherlich einen negativen Beitrag zur weiteren Stadtentwicklung.

Gabriel Engert: Es wäre eine katastrophale Entscheidung für die Entwicklung der Stadt.

Lara Pecjak: Es wäre eine Katastrohe, auch für die Jugend. Und die Stadt wird gespalten.

Rudolf Reuß: Wenn es abgelehnt wird, gibt es eine verheerende Außenwirkung – die umliegenden Städte lachen dann über Ingolstadt und sagen: Ned amal des bekommen’s hin!

Michael Springl: Nach 42 Jahren bei der Feuerwehr sind Katastrophen für mich etwas anderes. Wir müssen am Tag danach zusammenarbeiten, damit für Ingolstadt etwas Sinnvolles herauskommt.

Jürgen Uedelhoven: Ich finde ebenfalls, dass eine Ablehnung der Kammerspiele eine Katastrophe wäre – auch für die Ingolstädter Außenwirkung.

Knut Weber: Die Stadtgesellschaft würde gespalten – und wo die Richtung hinführt, sieht man an der Kampagne der Gegner. Die ist ein Desaster für das Miteinander in einer Stadt.

SCHÜLERVOTUM
Im Anschluss schreiten 170 Schülerinnen und Schüler zur Abstimmung. Sie lehnen beide Projekte mit knapper Mehrheit ab: die Kammerspiele ebenso wie die Schule am Augraben. Siehe den Artikel weiter unten.

DK



ABSTIMMUNG: KAMMERSPIELE SCHEITERN IM KATHERL
Ingolstadt – Die Entscheidungen dürften in der hitzigen kommunalpolitischen Situation dieser Tage in Ingolstadt einige Beachtung finden: 170 Schülerinnen und Schüler des Katharinen-Gymnasiums aus den Jahrgangsstufen 10 und 11 haben am Donnerstag in ihrer Schule über den Bau der Kammerspiele sowie der Mittelschule Nordost am Augraben (im Grünring) abgestimmt. Ergebnis: Eine knappe Mehrheit lehnt beide Projekte ab.

Schulleiter Matthias Schickel gab die Zahlen kurz nach dem Urnengang bekannt. Für den Bau der Kammerspiele stimmten 76 Jugendliche, dagegen 90; vier Stimmzettel waren ungültig. Den Bau der Schule wollen 78 Jugendliche, anderer Meinung sind 82; hier gab es 10 ungültige Stimmen.

Die Abstimmung fand nach der Diskussion im Katherl über die Kammerspiele statt. Schickel bewertete das Ergebnis auf Anfrage so: „Die von einem fairen Miteinander der Diskussionsteilnehmer geprägte Veranstaltung brachte schließlich ein wohl für alle durchaus überraschendes Abstimmungsergebnis. Die knappe Ablehnung der Kammerspiele und der Mittelschule am Augraben lässt sich vielleicht auch dadurch erklären, dass die fast durchwegs etwas älteren Herren auf dem Podium zwar gute Argumente für ihre Anliegen vorbrachten, doch damit letztlich nicht die Herzen der 15- bis 17-Jährigen erreichten. Und eine gewisse jugendliche Protesthaltung mag vielleicht ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Es ist jedenfalls ein interessantes Stimmungsbild, das zeigt, dass es eine enge Entscheidung werden wird – hoffen wir, dass in den nächsten drei Wochen die Diskussion zur Sachlichkeit zurückkehrt.“

sic



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