„Werde Licht“

Die Audi-Jugendchorakademie singt Mendelssohns Oratorium „Paulus“ bei den Sommerkonzerten

03.07.2022 | Stand 22.09.2023, 21:37 Uhr

Stimmige Darstellung: Martin Steidler dirigiert, Matthias Winckhler singt Mendelssohn. Foto: Audi

Von Jesko Schulze-Reimpell

Ingolstadt – Es fällt schwer, an einem sonnigen Samstagabend bereits um 19 Uhr, wenn gerade die schönste Zeit des Tages, die blaue Stunde, heranbricht, sich in den dunklen Festsaal zu begeben, um ein Oratorium zu hören. Aber: Man lässt die lichtdurchfluteten Plätze und Gärten hinter sich – und findet doch wieder Licht. In der zentralen Passage des Oratoriums „Paulus“ von Mendelssohn Bartholdy singt der Chor: „Mach dich auf! Werde Licht! Denn Dein Licht kommt.“

Das metaphorische Licht passt zu diesem Tag und zu dieser Aufführung. Denn sie überstrahlt vieles, auch den leichten Unmut, einen sonnigen Abend im Garten zu verpassen.

Tatsächlich gelingen Dirigent Martin Steidler, den vier Solisten, der Audi-Jugendchorakademie und der Akademie für Alte Musik eine fulminante Darstellung des Oratoriums aus dem Jahr 1836. An diesem Abend stimmt künstlerisch eigentlich (fast) alles, der Jubel nachdem die letzten Töne verklungen sind, ist riesig. Bedauerlich ist es da, dass im Ingolstädter Festsaal bei diesem Ereignis so viele Plätze im Saal frei blieben.

Wenn irgendetwas bei dem Konzert nicht so gut gelungen sein sollte, dann betrifft es den Beginn der Ouvertüre. Anstatt die leise Melodie hymnisch auszusingen, agieren die Bratschen unter der Leitung von Martin Steidler allzu wackelig und undeutlich, ein großer musikalischer Bogen will sich nicht entwickeln. Aber bereits in der Fuge gewinnt die Akademie für Alte Musik an Sicherheit und Überzeugungskraft.

Umso packender singt von Anfang an der Audi-Chor, den Steidler 2008 mitgegründet hat. Der Chor scheint immer noch an Qualität zu gewinnen und besitzt inzwischen eine Schlagkraft und Agilität wie man sie selbst bei Profi-Chören nur selten vorfindet. Wenn die rund 60 jungen Sänger „Steinigt ihn“ intonieren, dann bebt der Saal, dann ist die Klangfülle für diese Orchesterbesetzung fast schon zu gewaltig. Aber nicht nur die gewaltige Dynamik dieses Chores ist faszinierend, sondern auch seine unfassbare Prägnanz, Wendigkeit und Textverständlichkeit. Messerscharf akkurat ist jede Passage geformt, wie eine riesige Macht tritt dieser Chor einem entgegen. Und dabei ist sein ursprünglicher Charakter erhalten geblieben, der klare Klang mit nur sehr wenig Vibrato. Magisch klingt die Passage, wenn Jesus das Wort ergreift, umspielt von fast unwirklichen Holzbläserklängen.

Zu diesem runden Klangbild passen die vier Solisten hervorragend. Drei von ihnen sind längst internationale Stars, lediglich die Altistin Carmen Artaza steht noch am Beginn einer großen Karriere – aber ihre Partie im „Paulus“ ist auch eher klein.

Vorzüglich singen alle. Christiane Karg, die mehrfach in Ingolstadt als Liedsängerin gastierte, singt die Sopranpartie mit einer Fülle von feinsten Nuancen. Aber sie vermag es auch in opernhafter Weise in den Saal zu schmettern. Dabei singt sie stets mit erstaunlicher Textverständlichkeit. Matthias Winckhler ist als Bassbariton eine Urgewalt. Weniger die Feinarbeit überzeugt, als die ungeheure Wucht seiner Töne, die Geradlinigkeit und die jugendliche Reinheit seiner Stimme.

Werner Güra dagegen ist längst einer der erfahrensten Tenöre Deutschlands. Für den Oratoriengesang ist er prädestiniert, weil er so deutlich deklamiert, seine Stimme so rein ist und er so souverän mit ihr umgehen kann.

Als um fast 22 Uhr die letzten himmelsjubelnden Töne des Oratoriums verklungen sind, ist die Sonne längst untergegangen. Aber über das Wetter denkt nach diesem fulminanten musikalischen Ereignis niemand mehr nach.

DK


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