Barock meets Tango Nuevo

Leticia Moreno und das GKO begeistern auf der Donaubühne

26.06.2022 | Stand 22.09.2023, 21:52 Uhr

Stimmungsvolle Kulisse: Die spanische Geigerin Leticia Moreno und das Georgische Kammerorchester spielten an der Donau – für das Publikum mit Blick auf das Neue Schloss. Foto: Schaffer

Von Heike Haberl

Ingolstadt – Wenn eine leichte, kaum merkliche Abendbrise am Flussufer entlangstreicht und die Sonne allmählich golden hinter den Baumkronen verschwindet, passt der „Frühling“ aus Vivaldis „Die vier Jahreszeiten“ einfach perfekt. Vor der malerischen Kulisse des Neuen Schlosses lauscht man verzückt dem Beginn der vogelzwitschernden, filigran gesponnenen Lautmalereien und vermag sich kaum vorzustellen, dass diese unbeschwerte Idylle jemals umschlagen könnte.

Doch die wunderbare Violinistin Leticia Moreno und das Georgische Kammerorchester Ingolstadt (GKO) verstehen es ebenso eindrücklich, heftige Gewitterstürme zu entfesseln oder unter imitiertem Zähneklappern in einer imaginären, musikalisch phänomenal geschilderten Winterkälte zu zittern. Vor allem die lebhaften Ecksätze gestaltet die temperamentvolle Geigerin mit aufregend-zugkräftiger Vitalität, energetisch aufgeladener Inspiration, voll feinster dynamischer Abstufungen und Kontraste.

Ihre mitreißende, ansteckende Spielfreude zeichnet sich sowohl auf ihrem Instrument – einer Violine von Nicolò Gagliano aus dem Jahr 1762 – als auch auf ihrem Gesicht deutlich ab, überträgt sich fast wie von selbst auf das Orchester – das sie an diesem Abend nicht nur zugleich auch leitet, sondern mit dem sie vom ersten Ton an in einen direkten, intensiv-lebendigen Interaktionsaustausch tritt. Durchgehend wählt sie flüssige, zügige Tempi, was den Gesamtklang äußerst bereichert und ihm eine erfrischend luftige, helle, schwebende Nuance verleiht. In den langsameren Mittelsätzen besticht die Spanierin besonders durch ihre zarten, bezaubernd gefühlvollen, bisweilen von empfindsamen Vibrato-Schattierungen gefärbten Ausdrucksnuancen. Das GKO greift solche atmosphärischen Stimmungsbilder in beweglicher Elastizität und einfühlsam illustrierend auf.

Beinahe noch mehr entsprechen Morenos südländischem Naturell und ihrer betörenden Ausstrahlung in der Gegenüberstellung Astor Piazzollas „Die vier Jahreszeiten von Buenos Aires“. Obwohl der argentinische Komponist darin explizit auf Vivaldi Bezug nimmt, schildert er hier keine Naturimpressionen und -phänomene, führt die Zuhörer stattdessen jedoch vielmehr mitten hinein in das urbane, pulsierende Großstadtleben der südamerikanischen Metropole. Mit welcher Leidenschaft und Verve sich die Solistin da mit Haut und Haaren in die Tango-Lust hineinstürzt, wie sie ihre Musikerinnen und Musiker wirkungsvoll anspornt, es ihr gleichzutun, ist grandios.

Ein fantastisches Zusammenspiel aus emotionaler Explosivität, brodelnd-eruptiver Erotik, aus sich reibender Verruchtheit mit all ihren Ecken und Kanten, aus quietschenden Glissandi, markanten Rhythmus- und Klangeffekten, aber auch aus in sich gekehrter, anrührender melancholischer Sinnlichkeit. Großartig!

Bei der Zugabe „Oblivion“, einem der bekanntesten Tangos von Piazzolla, entfaltet sich nochmals jene einzigartige, unverkennbare Magie, in der sich Mystik und Sünde, Verführung und Zurückweisung, Anziehung und Verletzung, Selbstvergessenheit und Sehnsucht so faszinierend miteinander vereinen. Gänsehaut pur.

DK


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