Neuburg

„Wir bringen die Menschen wieder nach Hause“

Einhard Springer ist seit 25 Jahren im Geriatriezentrum Neuburg tätig und mittlerweile Chefarzt

20.05.2022 | Stand 23.09.2023, 0:58 Uhr

Schmuckes Haus mit viel Grün: Das Geriatrie-Zentrum ist seit 25 Jahren auf dem Areal des früheren Brüder-Krankenhauses in der Neuburger Bahnhofstraße untergebracht. Foto: Geriatriezentrum Neuburg

Herr Springer, wenn Sie die Arbeit des Geriatrie-Zentrums erklären: Was sagen Sie dann?

Einhard Springer: Die Geriatrie ist ein typisches Querschnittsfach, wie bei Hausärzten oder Internisten. Wir versuchen, ältere Patienten mit all ihren Krankheiten zu erfassen und diese Probleme zu lösen. Dazu haben wir durch unsere Einschätzungstests, die sogenannten Assessment-Tests, einen speziellen Zugang zum Patienten. Damit erfassen wir die Probleme, die wir in der Folge während der Reha weiter untersuchen. Diese Instrumente kann man auch als Verlaufskontrolle nehmen und so den Fortschritt messen.

Auf diese Weise sind Sie natürlich besonders auf ältere Patienten eingestellt.

Springer: Richtig, wir haben uns speziell auf alte Patienten eingerichtet. Wir kennen die typischen geriatrischen Symptome, die andere Ärzte nicht würdigen können. Beispielsweise die Gangsicherheit. Oftmals kommt ein Mensch nach einem Sturz ins Krankenhaus, dort wird er dann geröntgt. Wenn sich dabei nichts ergibt, wird er nach Hause geschickt. Er ist aber doch gestürzt. Das wird allerdings nicht abgeklärt. Ein Sturz weist aber darauf hin, dass man sich Gedanken machen müsste, wie man den nächsten verhindern kann.

Geriatrie ist aber nicht gleich Geriatrie.

Springer: Wir haben 1997 in Bayern einen Sonderweg beschritten und die Geriatrie komplett im Rehabereich angesiedelt, um eine unnötige Konkurrenz mit anderen Fachbereichen zu vermeiden. Es hat sich aber gezeigt, dass die Geriatrie schon beim Aufenthalt im Akut-Krankenhaus beginnen kann, um beispielsweise einen Liegeschaden zu vermeiden. Seit 2005 gibt es deshalb die Akutgeriatrie in Bayern, mit der wir sehr gute Erfolge haben.

Was bedeutet das genau?

Springer: Die Akutgeriatrie ist eine frühe Reha während der Akutbehandlung, um den Patienten mobil zu halten. Danach kann der Patient in eine stationäre geriatrische Reha wechseln, wie hier in Neuburg. Da bleibt der Patient in der Regel drei Wochen. In dieser Zeit schaffen wir im Schnitt 20 sogenannte Barthel-Punkte. Das ist der Fortschritt, den der Patient braucht, um nach Hause zu gehen und dort zurechtzukommen. Wir sind die typische Klinik, um einen Patienten nach Hause zu bekommen. Das schaffen wir in 90 Prozent der Fälle.

Darüber hinaus gibt es auch Angebote, die sozusagen zu den Menschen nach Hause kommen.

Springer: Es gibt Patienten mit einem postoperativen Durchgangssyndrom, die bei uns weglaufen würden, in der gewohnten häuslichen Umgebung aber gut führbar sind. Oder Patienten, die Problemkeime haben, weshalb sie bei uns in die Isolation müssten, was zu Hause nicht nötig ist. In solchen Fällen kommen wir zu den Menschen und machen dort die Reha. Das ist die mobile geriatrische Reha, die wir seit fast zwei Jahren anbieten. Und damit haben wir sehr gute Erfolge.

Also gibt es letztlich drei geriatrische Wege im Landkreis?

Springer: Ja, die Akutgeriatrie, die stationäre geriatrische Reha und die mobile geriatrische Reha. Was noch fehlt, ist die Tagesklinik. Das ist ein Modell, bei dem der Patient in der Früh geholt wird, dann im Krankenhaus Therapien bekommt und abends wieder nach Hause kommt. Eine solche Tagesklinik gilt es, hier aufzubauen. Die Kombination wäre sinnvoll, noch haben wir aber die Krankenkassen nicht auf unserer Seite.

Wäre das eine Aufgabe für die Zukunft?

Springer: Unser Geschäftsführer Holger Koch und ich haben genau das beide auf der Agenda.

Hat es solche weitreichenden Änderungen auch in den vergangenen 25 Jahren in der Arbeit der Geriatriegegeben?
Springer: Wir hatten vor 25 Jahren definitiv einfachere Patienten. Beispielsweise einen Schenkelhalsbruch zum Mobilisieren, dazu ein bis zwei Begleitkrankheiten und das war's. Heute kommen Patienten, die multimorbide sind, mit einer Liste von Diagnosen, die Sie behandeln müssen. Man muss auf so viele Kriterien aufpassen, so dass die Arbeit in der Geriatrie mit den Jahren sehr viel schwerer geworden ist.

Man muss in der Geriatrie also eigentlich alles abdecken.
Springer: Wir machen noch keinen Herzkatheter (lacht). Aber wir müssen beispielsweise wissen, was bei einer Herzinsuffizienz passieren muss.

Wie wird sich die Geriatrie-Landschaft in der Region in weiteren 25 Jahren, also bis 2047, verändern?

Springer: Ich glaube, dass das Geriatrie-Zentrum dann zwar im Landkreis möglicherweise noch die einzige solche Klinik sein wird, in der Region aber sicher nicht. Ingolstadt und Pfaffenhofen haben schon jetzt beide eine Akutgeriatrie. Das ist auch gut so, da wir auf diese Weise nah dran sind an den Patienten. Mittlerweile gibt es in Bayern 93 Akutgeriatrien und 60 Reha-Geriatrien, so dass wir im großflächigen Freistaat sehr gut dastehen.

Wie sieht es da heute im weiteren Umkreis aus?

Springer: Die nächsten Reha-Geriatrien sind in Oettingen im Kreis Donau-Ries, in Markt Indersdorf, also im Landkreis Dachau, sowie in Bad Gögging im Landkreis Kelheim. Dazu kommt im Norden Berching im Kreis Neumarkt. Wir sehen da aber keinerlei Konkurrenz, da wir alle genug Arbeit haben.

Wie oft müssen Sie Aufgabe und Arbeit der Geriatrie eigentlich erklären?

Springer: Die Geriatrie hat ein Problem: Entweder man ist jung, dann ist das Thema weit weg und man interessiert sich nicht dafür. Oder aber man ist alt und betroffen. Dann hat man aber keine Lobby. Unsere Aufgabe ist daher, den geriatrischen Gedanken weiter in die Gesellschaft zu tragen.

Und wie kann das klappen?

Springer: Beispielsweise beim Tag der offenen Tür. Da kommen Leute, die ältere Eltern haben und sich das Haus für den Fall der Fälle anschauen. Es kommen aber auch rüstige Rentner. Das gibt uns die Gelegenheit, unsere Berufsgruppen vorzustellen.

Dazu gehört die Erklärung, wie eigentlich der Alltag für einen Patienten aussieht.

Springer: Wir haben das Konzept der aktivierenden therapeutischen Pflege. Der Patient wird dabei morgens geweckt und ans Waschbecken gesetzt. Das Personal entscheidet dann, was der Patient kann und was nicht. Bei dem, was er sicher selbst kann, versuchen wir, ihn zu überzeugen, das zu machen. Den Rest übernimmt die Pflege. Es folgen über den Tag verteilt verschiedene Therapie-Einheiten.

Der Tag ist also durchaus vergleichbar mit der Reha für einen jüngeren Menschen.

Springer: Richtig. Die Patienten bei uns brauchen aber mehr Hilfe, beispielsweise beim Ankleiden oder beim Essen. Dass wir ihm bei der aktivierenden therapeutischen Pflege nicht alles abnehmen, stößt manchmal auf das Unverständnis der Angehörigen. Dieses Verständnis müssen wir oftmals mühsam schaffen. Viele haben das Prinzip „Sauber und satt“ in Erinnerung. Das war aber früher, damit würden wir in der Geriatrie nicht weit kommen. Denn wir wollen die Patienten wieder fit für zu Hause machen.

Was bedeutet diese Herausforderung für das Personal?

Springer: Die Herausforderung ist dadurch für alle Berufsgruppen sehr hoch. Unsere Patienten haben ja Ecken und Kanten, die haben ein ganzes Leben hinter sich. Daher müssen wir uns auf jeden einzeln einstellen und schauen, was er kann und was nicht. Das ist nicht einfach, das erfordert Geduld und Fingerspitzengefühl.

Wie schwierig ist es angesichts dieser Herausforderungen, neues Fachpersonal zu finden?

Springer: Das ist ein großes Problem. Der Fachkräftemangel trifft ja nicht nur die Geriatrie, sondern alle Krankenhäuser. Wir haben hier eine relativ geringe Fluktuation. Es gibt Mitarbeiter, die mit mir seit dem ersten Tag dabei sind. Wir konnten also vermitteln, dass wir ein Team sind und dass es Spaß macht. Diesen Gedanken muss man in der Geriatrie aber stärker pflegen als in anderen Häusern. Denn wir sind die Klinik, die die Menschen nach Hause bringt. Auf dieses Ergebnis müssen wir stolz sein. Umso wichtiger ist es, dass die Mitarbeiter für diese schwere Arbeit seit heuer nach Tarif bezahlt werden.

Sie haben das Jubiläum und den Tag der offenen Tür schon angesprochen: Was genau ist geplant?

Springer: Bei der letzten Sitzung der Ärztlichen Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Geriatrie in Bayern, kurz AFGiB, habe ich den Vorschlag gemacht, in Neuburg zu tagen. Dieser Vorschlag ist einstimmig angenommen worden. Am Freitag, 24. Juni, kommen daher Geriater aus ganz Bayern zur Mitgliederversammlung zu uns. Wir tauschen uns dabei sehr stark und sehr lebhaft aus. Abends ist dann ein Festakt mit geladenen Gästen im Stadttheater und im Marstall geplant – anlässlich des Jubiläums des Geriatrie-Zentrums und auch der Arbeitsgemeinschaft, die ebenfalls 25 Jahre alt wird.

Dazu kommt ein volles Programm am Wochenende, oder?

Springer: Am Samstag haben wir ein Symposium mit geriatrischen Themen bei den Maschinenringen geplant. Dabei tauschen sich nicht nur die Ärzte aus, sondern auch das Pflege- und Therapiepersonal. Ich hoffe, dass wir für Neuburg dabei einen guten Eindruck machen. Gleichzeitig sind dazu auch Chef- und Hausärzte aus der Umgebung eingeladen. Am Sonntag ist dann der Tag der offenen Tür geplant. Den gab es auch vor fünf Jahren und damals war er ein voller Erfolg.

Gerade für Gesundheitseinrichtungen war es wegen der Pandemie zuletzt schwierig, sich zu öffnen. Wir wirkt sich das aus?

Springer: Wir werden noch über ein Hygienekonzept reden – abhängig davon, wie sich die Inzidenz entwickelt. Wir haben aber ganz bewusst das Datum Ende Juni gewählt, da es dann erfahrungsgemäß besser aussieht. Unsere Hoffnung ist, dass alles normal ablaufen wird.

Was sollen die Menschen vom Besuch mitnehmen?

Springer: Ich hoffe, dass so viele Besucher wie möglich kommen. Und dass sie am Ende sagen: Da kann ich meine Mutter oder meinen Vater lassen.

Nach dem Jubiläum ist vor dem Alltag. Wie soll das Thema in den Köpfen der Menschen bleiben?

Springer: Ich glaube, ab 2025 werden so viele geriatrische Patienten auf uns zukommen, dass die Altersmedizin in große Bedrängnis kommen wird. Dann gehen die Babyboomer in Rente. Spätestens dann wird die Geriatrie einen großen Aufschwung in Deutschland erfahren. Und dann müssen unsere Konzepte stehen. Mit der Akutgeriatrie in Schrobenhausen stehen wir gut da, die Reha-Geriatrie hier könnten wir sogar noch etwas ausbauen. Außerdem brauchen wir eine Tagesklinik, also eine ambulante geriatrische Reha, um Patienten aufzufangen, die zu Hause schlafen können. Auch die mobile Reha haben wir schon. Und dann brauchen wir womöglich eine geriatrische Institut-Ambulanz, um Dinge zu leisten, die Hausärzte nicht erbringen können.

Um all das zu erreichen, braucht es aber eine starke Lobby.

Springer: Die Geriatrie ist ein Fachgebiet, das von der Politik angeschoben wurde. Fachärzte und Hausärzte haben den Bedarf lange nicht gesehen. Erst 1995 ist das Fachprogramm von der Politik geschrieben worden. In Skandinavien, England und den USA ist die Geriatrie viel älter. Ich hoffe daher, dass wir es in drei Jahren schaffen, den Berg an Patienten abzuarbeiten.

DK

Das Gespräch führteStefan Janda.



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