Reise zu Gottes kleinen Leuten

11.02.2009 | Stand 03.12.2020, 5:12 Uhr

Ein Bauer vor einer orthodoxen Kirche: Die Katholische Akademie zeigt Bilder von Monika Bulaj.? Repro: DK

München (DK) Menschen wie Schattenrisse, eingehüllt vom Nebel eines Wintermorgens oder vom Rauch der Lagerfeuer; Gesichter von Menschen, beleuchtet von Kerzen, vom Herdfeuer, von einem Lichtstrahl; junge Frauen lachend auf einem Friedhof und ein alter Bauer vor einer orthodoxen Kirche, zu der keine Straße führt – dies sind Facetten einer Fotoreportage und zugleich Einblicke in das Leben von Menschen am Rande Europas. Monika Bulaj nennt ihre Ausstellung und ihr in Italien erschienenes Buch "Genti di Dio" – zu deutsch: Leute Gottes. Es sind die kleinen Leute, denen sie begegnet ist auf ihrer Reise in den Osten Europas. Und so erzählt ihre Ausstellung in der Katholischen Akademie nicht von der Theologie des Christentums, des Islams und des Judentums, sondern von Menschen, die ihren volkstümlichen Glauben bewahren und leben.

"Wenn du jenseits der Grenze bist, wird deine Reise zu einer Zeitreise . . . Osteuropa ist ein unvergleichliches Reservoir der Welt von gestern." Monika Bulaj, geboren 1966 in Warschau und heute in Triest lebend, ist nicht nur Anthropologin und Fotografin, sondern auch Autorin von dichten, poetischen Texten, in denen sie jedem Foto eine Fülle von Informationen beifügt. Sie erzählt von Bauern "mit ihrem unverwechselbaren Geruch nach Milch und Seife" und von Roma, die volle Flaschen zerschlagen, um die Verstorbenen fern zu halten. Jahrelang ist sie auf ihrer "Reise zu Gottes-Völkern" zu Fuß, mit dem Fahrrad, auf Schlitten und Traktoren durch östliche Landschaften gereist, um mit Menschen zu sprechen, die nicht nur am Rande Europas, sondern auch an den Grenzen der Konfessionen und Religionen leben.

Die Anhänger von Mischformen der Religiosität, die von Mächtigen und offiziell verfassten Glaubensvertretern verfolgt wurden, sind hierzulande fast unbekannt: die Hutzuli, geniale Heiler und Musiker in den Ostkarpaten, und die Lemki und Ruteni, ukrainische Minderheiten. Und wer weiß, dass in der Slowakei jeder zehnte Einwohner ein Roma ist? Unbekannte Gesichter Europas hat die Künstlerin eingefangen, und ihre Fotos zeigen stets das natürliche Licht der Situation. Das macht diese Bilder so echt, denn kein Blitz und kein Scheinwerfer hebt diese Menschen aus ihrem Leben heraus.

Man mag an Filme von Andrej Tarkowskij denken oder an Gemälde von Caravaggio: Diese Gesichter öffnen sich für den, der sie anschaut. Die alten und jungen Menschen dieser Landstriche tragen einen Mantel aus Licht, in ihren Augen haben sie einen Funken der Sehnsucht bewahrt, gegen alle Widrigkeiten des Lebens. Es sind Suchende, die in der Fotografin wohl eine gleich Gesinnte erkannt haben; es sind Sehnsüchtige und Wissende, die Geheimnisse bewahren, voll Lebensfreude singen und über konfessionelle Grenzen hinweg so etwas wie die "Narren Gottes" sind. Monika Bulaj hat sie nicht nur aufgesucht, sondern macht sie sichtbar für uns. Und jeder, der diese Fotos anschaut, mag sich fragen, wie lange es diese tief verwurzelte Frömmigkeit, wie lange es diese kleinen Leute Gottes noch geben wird.

Bis zum 27. Februar in der Katholischen Akademie in Bayern (München, Mandlstraße 23), geöffnet montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr. Eintritt frei.

URL: https://www.donaukurier.de/archiv/reise-zu-gottes-kleinen-leuten-5581507
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