"Was zu lesen von der Linken"

18.09.2009 | Stand 03.12.2020, 4:39 Uhr

Lektüre von der Linken: Eva Bulling-Schröter verteilt Wahlkampfzeitungen vorm Audi-Werkstor. Die meisten Beschäftigten winken nur noch ab, denn sie werden in diesen Tagen immer wieder von Parteien angesprochen. - Foto: Herbert

Ingolstadt (SZ) Wahlkampf vorm Werkstor – der Klassiker: Eva Bulling-Schröter, Schlosserin, Bundestagsabgeordnete und Kandidatin der Linken, steht in der Fußgängerunterführung, die zum Audi-Parkplatz an der Ettinger Straße führt. "Hier bei Audi hab’ ich mal eine Umschulung gemacht", erzählt sie. Lange her.

Fest steht die zierliche Gestalt mit dem Igel-Haarschopf da im schier endlos dahintreibenden Strom der Arbeiter, der aus dem Fabriktor quillt. Müde, leere Gesichter, Menschen, die nur heim wollen und keine Lust auf Politik haben. Und so winken die meisten ab, als Bulling-Schröter ihnen die Wahlzeitung entgegenstreckt. "Servus, was zu lesen von der Linken" – wieder und wieder sagt sie diesen Satz und lächelt freundlich dazu. Hie und da kommt auch was zurück: "Ich kann eh nicht lesen", "Ich wähl’ schwarz" oder "Nicht schon wieder". Offensichtlich ein beliebter Platz für solche Verteilaktionen.

Ein Mann bellt los: "Jetzt seid ihr alle da, aber wenn die Wahlen vorbei sind, dann schert sich keiner mehr um die Leut’!" Bulling-Schröter schweigt. "Ich wähl’ überhaupt nicht mehr: Ist doch alles nur Lug und Betrug", legt ein anderer nach. "Heut’ san’s stinkig", flüstert die Abgeordnete. "Das ist die Enttäuschung über die Politik." Doch gerade aus dieser Enttäuschung schlägt auch die Linke viel Kapital.

Bei Podiumsdiskussionen, die in diesem Wahlkampf gehäuft auftreten, wird Bulling-Schröter nicht müde, der Konkurrenz von den Regierungsparteien das Abstimmungsverhalten unter die Nase zu reiben. Schließlich war sie selber dabei im Bundestag. Die Linkspartei war gegen die Rente mit 67, wollte höhere Hartz-IV-Sätze für Kinder und den Mindestlohn. Forderungen, für die sich keine Mehrheiten fanden. Dass plötzlich, wenn es um Stimmen geht, sogar Konservative sich für solche Themen erwärmen können, ärgert die Politikerin. "Ich verabscheue diese Unehrlichkeit. Manche Wählerinnen und Wähler sind da auch so gutgläubig. Viele wissen gar nicht, wie abgestimmt wurde."

Wie Eva Bulling-Schröter abgestimmt hat, lässt sich im Internet beispielsweise unter www.abgeordnetenwatch.de nachlesen. Da steht eine lange Liste, fast immer nur Nein, Nein, Nein – ob es nun um die Verlängerung des Kosovo-Einsatzes ging oder um die Änderung des Stammzellengesetzes.

Sie war auch gegen die Diätenerhöhungen. Natürlich hat sie dann trotzdem mehr Geld bekommen, so wie alle anderen Parlamentarier auch. "Ich spende das Geld aber", betont die 53-Jährige. Etwa 450 Euro pro Monat insgesamt: mal für die Außenanlagen der Kinderkrippe am Klinikum, mal für den VW-Bus der Antifaschisten, den Rechtsradikale demoliert hatten, mal für den Tierschutzverein Eichstätt.

Als der Menschenstrom in der Unterführung versiegt, als habe jemand oben einfach den großen Hahn zugedreht, macht Bulling-Schröter noch einen Abstecher zum Audi-Busparkplatz, um vielleicht doch mit ein paar Menschen ins Gespräch zu kommen. Die Männer warten mit Bierflaschen in den Händen auf die Abfahrt, mit abweisenden Mienen. Ein junger Bursche auf einer Bank meint grinsend, er wähle NDP, damit nicht noch mehr Ausländer ins Land kämen. Die Politikerin entgegnet ruhig, ob er denn nicht dafür sei, dass Verfolgte Asyl bekämen. Dann sagt sie ihm ins Gesicht: "Ich kämpfe dafür, dass die NPD verboten wird. Das sind doch Nazis." Als Bulling-Schröter sich schließlich abwendet, sagt der Kerl zu seinem Kumpel, das alles, logisch, sei nur ein Witz gewesen: "Ich wusste doch, dass die voll abgeht bei dem Thema."

Bulling-Schröter findet das gar nicht witzig, und sie glaubt ihm auch nicht, denn manche Audianer sagen allen Ernstes, dass sie die Rechtsextremen wählen wollen. "Das ist die Angst um den Arbeitsplatz, die Angst vor Hartz IV", raunt sie. Plötzlich hält ein Bus direkt neben ihr, die Türen öffnen sich zischend, und der Fahrer ruft vergnügt: "Gib mir mal noch ein paar Zeitungen. Ich muss doch Werbung machen für meine Freunde. Ihr seid absolut die beste Alternative."

Das geht runter wie Öl. So richtig nett ist der Wahlkampf auch, wenn Kinder im Spiel sind. Am ersten Schultag verteilt Bulling-Schröter vor der Schule Auf der Schanz Lineale an Abc-Schützen, eingeschlagen in ein weißes Blatt Papier: "Alles Gute zum Schulanfang", steht darauf ganz neutral in bunten Lettern. Ein Großvater filmt die Aufschrift mit einer vorsintflutlichen Super-8-Kamera. "Ein Auslaufmodell wie ich", scherzt er und ruft Bulling-Schröter zu: "Jetzt bitte lachen, Sie sollen doch auch drauf."

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