Ingolstadt

Ein Netzbürger der ersten Stunde

29.03.2010 | Stand 03.12.2020, 4:08 Uhr

Ist ständig online: Jean-Pol Martin widmet einen großen Teil seiner Zeit dem Internet. Der fühere Dozent der Universität Eichstätt engagiert sich nach unter anderem dafür, Senioren für das Internet zu begeistern. - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Viele Menschen fallen in ein Loch, wenn sie in den Ruhestand treten. Manche gehen Angeln oder in den Schützenverein. Nicht so Jean-Pol Martin. Er ist auch im Ruhestand genauso umtriebig wie zuvor. Einen großen Teil seiner Zeit verbringt er im Internet.

Jean-Pol Martin, Didaktikprofessor der Universität Eichstätt, wusste, dass er auch nach seiner Pensionierung 2008 seinen beachtlichen Aktivitätslevel zumindest halbwegs halten wollte: "Ruhestand bedeutet, du kannst im Bett bleiben und es passiert nichts. Für Leute, die wie ich ihr ganzes Leben aktiv waren, ist das dramatisch. Ich dachte mir, du machst alles, was geht." Denn nach Martins Lebensphilosophie ist ein Mensch glücklich, wenn er sozial sinnvoll aktiv ist, wenn er in dem Feld, auf dem er gut ist, tätig ist und sich neue Felder erschließt. Dementsprechend suchte er sich möglichst viele Aufgaben. Einen großen Teil seiner Zeit widmet er dabei einem Medium, das vielen seiner Altersgenossen fremd geblieben ist: dem Internet. Doch erstreckt sich seine Beschäftigung mit dem World Wide Web nicht auf das Schreiben von Mails, Einkaufen und die Planung der nächsten Urlaubsreise. Er schreibt Kurzmitteilungen über seine Aktivitäten (twittern), hat ein Internettagebuch (Blog), schreibt auf Wissensplattformen, so genannten Wikis, nutzt das Videoportal YouTube und das soziale Netzwerk Facebook. Und das weit intensiver als viele Jugendliche, die mit dem Internet aufgewachsen sind.

Jean-Pol Martin wurde 1943 in Paris geboren. Er ist verheiratet, hat vier Kinder und drei Enkel. Von 1965 bis 1969 studierte er Germanistik in Nanterre. 1971 ging er nach Deutschland und begann in Erlangen ein Zweitstudium der Romanistik und Germanistik. Nach seiner Referendariatszeit arbeitete er drei Jahre als Studienrat für Französisch und Deutsch am Gymnasium in Höchstadt/Aisch. 1980 kam Martin dann als Französischdidaktiker nach Eichstätt an die Katholische Universität. "Für jemanden, der eine Unikarriere anfängt, war ich relativ alt. Doch mir fiel sofort LdL ein." Hinter LdL verbirgt sich Martins Methode "Lernen durch Lehren", mit der er in der Pädagogik-Fachwelt bekannt wurde. Kern des Konzepts ist, dass Schüler oder Studenten lernen, indem sie sich den Stoff gegenseitig unterrichten. Martin lehrte neben seiner Tätigkeit an der Uni am Eichstätter Willibald-Gymnasium. "Die Tätigkeit an der Schule war sehr wichtig für mich. Schüler fordern stark, stärker als Studenten. Das hat mir sehr viel Freude gegeben. Nur an der Uni zu arbeiten, wäre öde gewesen."

Seit jeher ein Netzwerker

Martin ist ein Netzbürger der ersten Stunde. Denn Netzwerke spielten im Leben des 66-Jährigen schon vor dem Internet eine Rolle. "Früher habe ich alle zwei Monate den Leuten, die sich für die von mir entwickelten Methoden interessierten, ein Paket mit Informationen und Erfahrungsberichten geschickt. Meine Studenten halfen mir beim Eintüten", erzählt Martin. Als dann das Internet an Einfluss gewann, integrierte er es vor rund zehn Jahren in seine Uni-Seminare. In seinem Kurs Internet- und Projektkompetenz mussten seine Studenten ihre Ergebnisse, die sie auf Forschungsreisen gewonnen hatten, auf eine eigene Homepage hochladen.

Diese Fähigkeiten bringt Martin nun in verschiedene Projekte ein. So stieg er nach 30 Jahren Abstinenz wieder bei den Ingolstädter Grünen ein. Dort setzte er sich dafür ein, die Möglichkeiten des Internet für die Parteiarbeit zu nutzen. "Ich habe eine neue Homepage angeregt, auf der die Bedürfnisse der Leute vor Ort stärker berücksichtigt werden. Ich bin sehr basisorientiert", erläutert der Aktivsenior. Mittlerweile wurde die Grünen-Seite umgebaut.

Ein anderes Projekt des umtriebigen Pensionärs ist "Senioren ans Netz". Martin will die Generation 60plus dazu bringen, ihre Scheu vor dem Internet abzulegen. "Senioren wissen eine Menge und haben viel zu sagen. Das Internet bietet ihnen die Möglichkeit, sich wirksam zu äußern und sich zu engagieren", meint Martin. So hat er auch schon im Ingolstädter Bürgerhaus vor Ruheständlern für Twitter, Internetforen, Blogs und Wikis geworben. Erst vergangene Woche hat er auf der Fachtagung der Landesarbeitsgemeinschaft der bayerischen Senior-Trainer wieder einen Vortrag über sein Lieblingsthema gehalten.

Im Internet populär

Datenschutz ist für den 66-Jährigen nicht so wichtig: "Ich bin da ein extremer Typ. Bis auf mein Bankkonto schütze ich meine Daten nicht. Ich habe da keine große Angst." In der Internetgemeinde ist Jean-Pol Martin mittlerweile regelrecht populär. Kürzlich war er auf der Computermesse CeBIT zu mehreren Diskussionsrunden eingeladen.

Neben seinem Engagement bei den Grünen und im Seniorenbereich beschäftigt sich Martin auch ausgiebig mit Philosophie und ist in mehreren Bürgerinitiativen, unter anderem gegen die Bebauung des Glacis, aktiv. Natürlich spielt das Internet auch hier für ihn eine Rolle.

Erklärtes Ziel der vielen Leidenschaften ist nichts anderes, als die Welt zu einem besseren Ort zu machen. "Selbst hat man aber auch etwas davon. Wenn ich zum Beispiel in der Bürgersprechstunde, die ich Dienstag und Donnerstag ab 17 Uhr im Büro der Grünen abhalte, den Menschen helfen kann, ist das ein tolles Gefühl. Die Menschen mögen einen. Viel mehr brauche ich nicht und will ich nicht." Wer mehr über Jean-Pol Martin und seine Aktivitäten erfahren will: Seine Internetseite ist jeanpol.wordpress.com.

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