Schätze umweht vom Hauch der Jahrmillionen

02.04.2010 | Stand 03.12.2020, 4:08 Uhr

Fisch aus dem weißen Jura: Die Versteinerung hat Daniel Kaunzner in über 30 Arbeitsstunden mit einem Druckluftstichel freigelegt.

Straß/Mühlheim (DK) Ein Fisch namens Leptolepis schwimmt im warmen Wasser in der Nähe des Ufers, wedelt ein letztes Mal mit seiner Schwanzflosse und stirbt. Dann liegt er da am Grund des Meeres. Kalkiger Schlamm bedeckt ihn. Seine Haut und sein Körper lösen sich auf und hinterlassen einen Abdruck im Kalk. Sein Skelett wandelt sich ganz langsam in hartes Kalzit um. Er versteinert. Rund 150 Millionen Jahre später, das Meer ist längst ausgetrocknet, der Boden hat sich zu einem Hügel erhoben, schlägt Daniel Kaunzner mit Hammer und Meißel auf eine Steinplatte – und erblickt Leptolepis Fossil im Kalk.

Einst an der Küste gelegen

Irgendwas findet der Straßer Hobby-Archäologe immer: Der Besuchersteinbruch bei Mühlheim im Altmühltal ist sehr fossilienreich. Vor Jahrmillionen, im so genannten weißen Jura, erstreckte sich hier die Meeresküste, mit vorgelagerten Lagunen voller Leben. Es herrschten tropische Temperaturen.

Heute liegt die Stelle auf einer Anhöhe, die Aussicht reicht weit über das Altmühltal. Der Wind bläst frisch und kräftig. Um die Ausgrabungsstelle herum sind Holzhütten aufgebaut. Ein paar Wohnmobile stehen davor. Der Steinbruch ist ein Besuchermagnet: Überall in der kalkweißen Grube ragen kleine Steinhaufen aus dem Boden. Heute sind 13 andere Schatzsucher gekommen. Aus ihren Löchern hört man es hämmern.

Schwarze Spuren im Kalk

In einem davon kniet Daniel Kaunzner: Beigefarbenes Archäologenhemd, Dreitagebart, Sicherheitsschuhe. Die Handschuhe hat er abgelegt. Er raucht eine selbst gedrehte Zigarette. "Wir haben hier sehr landnahe, sehr ufernahe Ablagerungen. Man findet auch häufig Landpflanzen", erklärt Kaunzner und zeigt auf eine dünne Kalksteinplatte vor ihm: Ganz feine schwarze Spuren im Stein lassen auf eine fossile Pflanze schließen.

Das ungeübte Auge könnte sie leicht für Schmutz halten, die filigranen Reste erkennen nur erfahrene Archäologen. Den besonderen Blick für die versteinerten Schätze hat Kaunzner über Jahre hinweg geschärft. Seit seiner frühen Jugend geht er auf Fossiliensuche, seine Eltern nahmen ihn damals mit. Sein Onkel hat eine große Fossiliensammlung.

Die Faszination für die Vergangenheit hat sich Daniel erhalten. Heute widmet der 22-jährige Metallbauer seine ganze Freizeit seinem Hobby: Wenn es das Wetter zulässt, sucht er im Steinbruch mit Schaufel, Hammer, Meißel und Spitzhacke nach Fossilien. Lage für Lage arbeitet er sich nach unten – hebt eine Kalkplatte nach der anderen nach oben. Dann klopft er auf den Querbruch, um festzustellen, ob sich darin etwas verbirgt. "Manche haben ihr Glücksspiel, ich habe meinen Steinbruch", sagt Kaunzner.

Seltener Reptilienfund

Wenige Meter weiter findet unterdessen der 15-jährige Lukas Steuernagel aus Göttingen das Fossil eines Reptils. "Vielleicht ein Krokodil", orakelt der Jugendliche. Aufgeregt kommt der Steinbruchangestellte Ulrich Leonhardt zum Fundort geeilt um die Stelle genau zu untersuchen – denn Reptilien wurden erst zwei Mal hier oben gefunden. Das Fossil stellt sich wirklich als Reptil heraus, allerdings ist es schlecht erhalten, der größte Teil ist verwittert. "Das passiert leider oft. Wahrscheinlich ist Wasser eingedrungen", erklärt Experte Leonhardt.

Daniel Kaunzner hat derweil einen Ammoniten gefunden – die findet man häufig. Um die versteinerten Überreste sichtbar zu machen, braucht es viel Geduld und Zeit. Bei schlechtem Wetter geht Kaunzner dafür in sein eigens dafür hergerichtetes Präparationszimmer. "Für manche Stücke brauche ich bis zu 100 Arbeitsstunden", erzählt Kaunzner. Abgebrochene Teile müssen geklebt, farbige Stellen lackiert werden. Zähne, Beinchen oder Gräten: Mit einem Druckluftstichel, beidhändig und ganz vorsichtig legt er Millimeter für Millimeter der porösen Fossilien frei. "Das kann man sich wie bei der Glasgravur vorstellen, nur mit viel mehr Druck." Manche Stücke müssen geätzt werden: "Dazu lege ich sie für ein paar Wochen in Essigsäure." Die weichen Kalkstellen lösen sich darin auf, die harten Kalzit-Stellen – die Versteinerungen – kommen zum Vorschein.

Die fertigen Schätze kommen in seine Sammlung – auch für sie hat Kaunzner ein eigenes Zimmer eingerichtet. Seine Lieblingsstücke zeigt er gerne: Eine Platte enthält zwei Belemniten, die zu den Tintenfischen zählen, daneben einige Austern, die sich zu einem Knäuel zusammengetan haben. Doch Kaunzner sieht noch mehr Versteinerungen: "Das hier ist Fischkot", sagt er und deutet auf einen Klumpen im Stein, der eine winzige Auslassung enthält. "Und der Fisch hat Fisch gegessen, denn das hier ist ein Fischwirbel." Auch die Steinplatte mit dem Fossil Leptolepis zählt zu seinen Lieblingen: Kaunzner glaubt, dass es ein so genannter Leptolepis – ein Knochenfisch – ist, sicher ist er sich nicht – wichtige Bestimmungsmerkmale fehlen. Den Kopf musste er ankleben, der war abgefallen. Insgesamt hat er für die Präparation über 30 Stunden gebraucht, schätzt Kaunzner. Um so eindrucksvoller steht der Fisch heute in seiner Schatzkammer. Verewigt im Stein.

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