Objekte der Italiensehnsucht

24.05.2010 | Stand 03.12.2020, 3:59 Uhr

Ein Klassiker: der Wasserkessel Nr. 9093 von 1985 - Foto: oh

München (DK) Auf dem großen Wandbild ist der Moment genau markiert, da die Espressokanne zur Ikone wurde. Der 1931 in Mailand geborene Designer und Theoretiker Alessandro Mendini hat mit dieser Zeichnung auch den Auftakt jener großen Ausstellung festgelegt, mit der in der Pinakothek der Moderne das Design-Imperium von Alessi gefeiert wird.

Zwei überdimensionale Espressokannen, "la cupola" mit dem matten, runden Deckel und "la conica" mit dem silbrig glänzenden Kegel, stehen neben der skurrilen, völlig unpraktischen Zitronenpresse, die wie eine Mondlandefähre anmutet. Diese monumentalen Objekte thronen auf der großen Treppe, die in die Design-Abteilung des Hauses hinunterführt zur Ausstellung "Oggetti e progetti – Alessi" ("Objekte und Projekte – Alessi").

Alberto Alessi bekennt in dem Katalog, der mit seinen Fotos, Zeichnungen und seinem weichen Papier ein wahres Kunstbuch geworden ist, dass "unser wahres Wesen dem eines industriellen Forschungslabors für angewandte Kunst (...) entspricht". Dieses "Labor" in dem kleinen italienischen Ort Crusinallo am Ortasee, benachbart zum Lago Maggiore, gibt der Region Arbeit, denn viele Produkte werden dort nicht nur entwickelt, sondern auch gefertigt.

Dennoch braucht es für den Erfolg von Alessi auch die Bücher, die Ausstellungen in Museen, die Zeitungsartikel und natürlich die vielen Verkaufsfilialen. Und es ist eine Freiheit nötig, nicht nur beim Designer-Grundsatz "Die Form folgt der Funktion" stehen zu bleiben, sondern Momente des Spielerischen, des Verrückten zuzulassen und zugleich verschiedenste Zeitströmungen zu etwas völlig Neuem zu vermischen.

Die Münchner Ausstellung führt diesen Ansatz des Unternehmens vor Augen. Mit der "Mauer" des Wiener Künstlers Hans Hollein hat die Schau eine Architektur hereingeholt, die in der ruhigen Abfolge von Arkaden und mittels einer sphärischen Beleuchtung herausragende Objekte in Szene setzt – etwa das aus vielen Schichten eines Metallnetzes zusammengesetzte Sieb der Brüder Campana aus Brasilien oder die selbstbewusste "Anna G." von Alessandro Mendini – ein vielfältig verkleidetes Korkenzieher-Mädchen, das sogar im Edelstein-Schmuck den Tisch zieren kann.

Die Idee, einen simplen Korkenzieher wie eine Modepuppe zu gestalten, ist symptomatisch für den "momento ludico", den spielerischen Moment von Alessi. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass für das Firmen-Museum ein Miniatur-Karussell geschaffen wurde, in dem statt Spielzeugautos und Pferdchen die Prototypen der Design-Objekte stehen, die sich zu Musik und Blinklicht munter im Kreise drehen. Aber Alessi will nicht nur spielen, Alessi will letztlich den gesamten Haushalt besetzen. Wer mit einer vermeintlich harmlosen Espressokanne angefangen hat, der kann sein Inventar Stück um Stück erweitern – von der Pfeffermühle aus Holz über die von Künstlern bemalte Blumenvase bis zum Nudeltopf "Mami", der in seinem Glanz der Köchin auch als Spiegelersatz dienen mag. Ja, selbst eine giftgrüne Klosettbürste und ein Wannenstopsel in Blau mit dem ironischen Titel "Mr. Selbstmord" bietet Alessi an, und diese Objekte sind so schrill, dass sie die Ruhe der schön gestylten Badezimmer-Modelle der Schau ganz bewusst stören.

Ein letztes Objekt sei noch hervorgehoben, überflüssig im kalten Deutschland und doch notwendig als Erinnerung an den letzten Besuch einer italienischen Bar: der Obstkorb, das Behältnis für Orangen, der Partner der Espressokanne, denn zu zweit können sie und er die Italiensehnsucht der Deutschen viel besser befriedigen. Dieser Obstkorb aus Stahldraht ist auf Seite 95 des Kataloges so fotografiert, als schwebe er zwischen den Wolken und spiegele sich zugleich auf einem See. Hier zeigt sich die Meisterschaft im Verkauf von Illusionen, von italienischen Träumen, von "dolce vita", vom süßen Leben, wie wir es von Italien erwarten.

URL: https://www.donaukurier.de/archiv/objekte-der-italiensehnsucht-5345860
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