Greding

Schmerzen sind ihr ständiger Begleiter

21.02.2011 | Stand 03.12.2020, 3:08 Uhr

Ein dramatischer Augenblick: Beim Altstadtfest in Greding (Landkreis Roth) hob im August 2010 eine Windböe Sonnenschirme in die Höhe. Einer davon traf Natascha Meyer am Kopf -- die Leidensgeschichte für das Mädchen und ihre Familie ist bis heute nicht vorbei - Fotos: Karch

Greding (DK) Ein halbes Jahr ist es her, dass die elfjährige Natascha beim Gredinger Altstadtfest von einem durch die Luft gewirbelten Sonnenschirm verletzt wurde. Was anfangs so harmlos aussah, hat sich zu einer Leidensgeschichte für das Mädchen und seine Familie entwickelt.

Ein mahnender Blick von Natascha lässt ihren Vater ein ganzes Stück leiser werden. Schon allein eine normale Unterhaltung ist für die Elfjährige zurzeit oft viel zu laut. "Sie ist sehr geräuschempfindlich", zeigt Norbert Meyer Verständnis für die Reaktion seiner Tochter. Dass Natascha seit Monaten keine lauten Töne mehr verträgt, ist aber nur eine von vielen Einschränkungen, die dem Mädchen und mit ihr der ganzen Familie das Leben schwer machen.

Begonnen hat alles am 29. August. Natascha besuchte mit ihren Großeltern das Altstadtfest in Greding (Landkreis Roth) und lief gerade über den Marktplatz. Den ganzen Vormittag war es schon windig gewesen, doch plötzlich fegte eine richtige Böe über den Platz. Sie hob einige der großen Sonnenschirme hoch und schleuderte sie durch die Bankreihen. Die anderen Besucher hatten Glück, Natascha nicht. Die Holzstreben des Schirms trafen das Mädchen am Kopf, es ging sofort zu Boden. Helfer brachten das Kind ins Krankenhaus. "Platzwunde und Gehirnerschütterung" lautete die erste Diagnose. Natascha wurde geröntgt, die Platzwunde versorgt. Doch auch als sie wieder zu Hause war, hörten die Schmerzen nicht auf. Eine zwei Wochen nach dem Unfall durchgeführte Computertomografie blieb ohne Befund. Die Schmerzen blieben.

Der nächste Weg führte zu einer Kipfenberger Neurologin. Diese tat die ständigen Schmerzen in ihrem Gutachten als psychosomatisch ab. Darüber kann Sabine Meyer nur den Kopf schütteln. "Das Kind hatte nach dem Unfall noch drei Wochen Ferien. Welche Elfjährige setzt sich da freiwillig zu Hause ins Zimmer", fragt die Mutter.

Eine Odyssee von Arzt zu Arzt begann. Und über allem schwebt wie ein Damoklesschwert das Schreiben der Versicherung. Die ist der Meinung, dass nach dem Gutachten der Neurologin nicht mehr schlüssig sei, dass Nataschas gesundheitliche Probleme vom Unfall am Altstadtfest her stammen. Die Folge: Die Familie hat bisher nur 600 Euro von der Versicherung für Auslagen bekommen, alle anderen Kosten trägt sie selbst. Denn Familie Meyer sucht Hilfe bei einem Heilpraktiker und einem Osteopathen. "Die Schulmediziner haben ihre Arbeit getan", erklärt Norbert Meyer. Da sie aber keine Ursache der Schmerzen gefunden haben, müssen die Meyers andere Möglichkeit ausschöpfen.

Nataschas Zustand wurde in den vergangenen Monaten immer schlimmer: Die Elfjährige kann keine Treppen mehr steigen, sondern wird von ihrer Mutter, einer zierlichen Frau, die Treppen hinauf- und hinuntergetragen. Laufen kann Natascha nur, wenn sie geführt wird, weil der Gleichgewichtssinn nicht funktioniert. Seit kurzem hat sie auch noch Sehschwierigkeiten. Erschütterungen, beispielsweise beim Auto fahren, verträgt sie nur schlecht. "Die Ärzte helfen nicht weiter, aber wenn man selbst irgendwo Hilfe sucht, zahlt keiner etwas", kritisiert Norbert Meyer.

"Es ist ein Wunder, dass das Kind noch lebt, nachdem eine so massive Wucht auf den Schädel eingewirkt hat", sagen Heilpraktiker und der Münchner Orthopäde Erhard Marx. Er ist sehr zuversichtlich, dass Natascha wieder gesund wird. Im Januar, fünf Monate nach dem Unfall, hat er der Familie aber auch klar gemacht, dass das noch mindestens fünf weitere Monate dauern werde.

Also fahren die Eltern ihre Tochter jeden Morgen nach Beilngries, wo Natascha in die sechste Klasse der Realschule geht, und holen sie mittags wieder ab. Auch in den Pausen sitzt Natascha im Klassenzimmer. Da sie im Moment nichts lesen kann, wenn die Buchstaben kleiner als eineinhalb Zentimeter sind, vergrößern ihr die Lehrer Aufgaben mit dem Kopierer, und ihre Banknachbarin liest ihr vieles vor. Teilweise ersetzt die mündliche Abfrage Schulaufgaben. "Wenn die Lehrer nicht so hilfsbereit wären, wäre das nicht möglich", sagt Sabine Meyer dankbar.

"Dass ich kein Basketball mehr spielen kann", antwortet Natascha auf die Frage, was für sie am schlimmsten ist. Statt dem Ball hinterher zu jagen, macht die Elfjährige Bastelarbeiten. "Aber man kann ihr jetzt wieder richtig die Haare waschen", sieht Sabine Meyer einen kleinen Lichtblick. Das und schon das Kämmen waren in den vergangenen Monaten extrem schmerzhaft für Natascha. "Bis Weihnachten hat sie kaum schlafen können und jede Nacht nur gestöhnt", erzählt Norbert Meyer. Er arbeitet als technischer Redakteur und hat seit einigen Wochen einen Telearbeitsplatz zu Hause, um seine Frau entlasten zu können. Neben den täglichen Fahrten zur Schule muss Natascha auch zur Krankengymnastik und zu Ärzten gefahren werden.

Inzwischen hat die Familie einen Rechtsanwalt eingeschaltet. "Das richtet sich nicht gegen die Stadt", versichert Norbert Meyer, "aber wenn Folgeschäden zurückbleiben sollten, stehen wir blöd da."

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