Brüssel

Stoiber bleibt Stoiber – auch in Brüssel

Noch immer redet der frühere Ministerpräsident gerne etwas länger, beim Bürokratieabbau ist er aber erfolgreich

14.11.2011 | Stand 03.12.2020, 2:10 Uhr

Brüssel (DK) Blitzlicht durchzuckt den Raum, und das kann nur bedeuten: Er ist da. Der Star des Abends, Edmund Stoiber. Vertieft im Gespräch mit einigen Anzugträgern, ein Fotograf in seinem Rücken, steht er im Foyer der Vertretung Bayerns bei der EU in Brüssel. Den Kopf ein wenig schief, den Blick aufmerksam auf sein Gegenüber gerichtet, zwischendurch ein leichtes Nicken. So, wie man ihn kennt.

Später im Saal wird er als Ministerpräsident angesprochen. Immer noch. Obwohl er das Amt schon lange aufgegeben hat, und heute Abend als Leiter der Hochrangigen Gruppe für Bürokratieabbau der EU-Kommission geladen ist. „Sehr geehrter Herr Ministerpräsident . . .“, hebt Hausherrin Angelika Schlunck an. „Sie, Herr Ministerpräsident, als alter Kampfgefährte . . .“, sagt der Augsburger CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. Stoiber sitzt in der ersten Reihe, einen Kuli in der Hand, den er öfter ans Kinn führt. Mal nickt er zustimmend, mal wiegt er den Kopf hin und her, jetzt kratzt er sich am Hals. Notiert etwas in seinem Skript. Dann ist die Reihe an ihm. „Ja, guten Abend!“, sind seine ersten Worte.

Lange, gefühlt zulange, bleibt er hinter dem Mikrofon stehen. Auch das, wie man ihn kennt. Immer wieder mit einer Hand in der Hosentasche, dann wieder mit beiden Händen gestikulierend, mal nahe am Pult, mal gut einen Meter davon entfernt. Die bayerische Tonart färbt schon bald ein paar Sätze – bewusst. Gekonnt auch der Wechsel der Ebenen. Von seinem Besuch bei italienischen und britischen Ministern spricht Stoiber ebenso wie von dem Kleinunternehmer aus Garmisch, der plötzlich entdeckt, dass er einen Tachografen in seinem Fahrzeug haben müsste. „Was ist denn das? wird der dann erstaunt seinen Bürgermeister fragen. – Ja du, das haben die Deppen da in Brüssel beschlossen! wird der ihm antworten.“ Gelächter im Saal, Stoiber ist in seinem Element.

Am nächsten Tag geht es ruhiger zu. Für ein Gespräch mit unserer Zeitung opfert Stoiber seine Mittagspause. Ein Kaffee mit Milch genügt. Vormittags, von zehn bis 13 Uhr, hat er eine Sitzung mit der Hochrangigen Gruppe für Bürokratieabbau geleitet. „Wir fangen immer um zehn Uhr an, das gibt allen Mitgliedern die Zeit, aus den verschiedenen Teilen in Europa anzureisen“, erklärt er. Hätte er gestern Abend nicht auf der Veranstaltung geredet, wäre auch er heute erst angereist. Abflug 6.50 Uhr, erste Maschine von München nach Brüssel.

Die Hochrangige Gruppe zum Bürokratieabbau bei der EU wurde 2007 von der EU-Kommission beschlossen. Ziel sollte es sein, unnötige bürokratische Vorschriften, die die Bürger oder Unternehmer in der EU belasten, ausfindig zu machen. Die Gruppe sollte der EU-Kommission Vorschläge unterbreiten, wie diese Lasten verringert werden könnten. Im September 2007 berief EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso Edmund Stoiber zum Leiter der Gruppe. Sein Mandat sowie die Arbeit der Gruppe waren zunächst auf drei Jahre beschränkt. Die EU-Kommission bewilligte im Anschluss ein zweites Mandat, wieder begrenzt auf drei Jahre, das dementsprechend 2012 endet.

Durchschnittlich einmal im Monat finden die Treffen der Gruppe statt. Jeder sei dann natürlich vorbereitet, so Stoiber, und immer gehe es um das große Thema: Weniger Bürokratie in Europa. 14 Leute koordiniert Bayerns Ex-Ministerpräsident. Menschen des öffentlichen Lebens, die aus einer größeren Liste von Vorschlägen der EU-Kommission ausgesucht wurden. Der deutsche Unternehmensberater Roland Berger gehört ebenso dazu wie der ehemalige Bahnchef Johannes Ludewig. „Heute hatten wir die spanische Ministerin bei uns zu Gast, die in ihrem Land für Bürokratieabbau zuständig ist und erzählt hat, was man in Spanien so macht“, berichtet Stoiber.

Viel mehr lässt er sich nicht entlocken, wenn es um die konkrete Arbeit in der Gruppe gehen soll. Worum genau drehen sich die Gespräche? Welche Rolle nimmt er als Leiter ein? Wortführer? Ideengeber? Entscheider in letzter Instanz?

„Ich glaube man kann sagen, dass es ein guter Schachzug war, Herrn Stoiber die Gruppe leiten zu lassen“, wird am späten Nachmittag ein höher gestellter EU-Kommissionsbeamter sagen. Namentlich will er nicht genannt werden. Für ein klares Urteil, wie zufrieden man bei der Kommission mit der Arbeit von Stoiber sei, solle man am besten José Manuel Barroso fragen.

Doch das kann man sich auch sparen, denn die Antwort wäre von vorne herein klar. Der EU-Kommissionspräsident hatte bei Stoibers 70. Geburtstag Ende September in München eine Lobrede auf ihn gehalten. Das macht der Portugiese immer, wenn es um den Bayern geht. Gerne ruft Barroso dabei die nackten Zahlen ins Gedächtnis. Schon heute habe die Stoiber-Gruppe Vorschläge unterbreitet, die bei EU-Gesetzen zu Bürokratieentlastungen von 25 Prozent führen würden. Das sei eigentlich erst das Ziel für 2012 gewesen. Bis dahin werde die Gruppe jetzt wohl 33 Prozent erreichen.

„Stoiber war eine gute Wahl, weil er durch seine langjährige politische Karriere Kontakte überall in Europa hat“, sagt der Kommissionsbeamte. Der Bekanntheitsgrad gepaart mit dem Vermögen, überzeugend auf Personen zu wirken und sie für seine Sache gewinnen zu können, hätte sicher oft „das Fass zum Überlaufen gebracht“, wie es der Beamte ausdrückt. Zugunsten von Stoibers Ideen. Also im positiven Sinne.

Der Gelobte selbst weiß, wie es um seinen Ruhm steht. Am Anfang, so erzählt, habe jeder ja gesagt: Ah, da bekommt der Stoiber noch so ein Pöstchen in Brüssel zugeschoben. „Dass ich das alles ehrenamtlich mache, davon spricht ja keiner“, fügt er hinzu. Und kommt dann auf das Jetzt zu sprechen. „Selbst dieser SPD-Mann aus dem Parlament, Martin Schulz, der bald wohl Präsident der europäischen Volksvertretung werden wird, selbst der würde jetzt sagen: Das, was der Stoiber macht, ist beachtenswert.“

Die knappe Stunde ist vorbei, Stoiber muss zur nächsten Sitzung. Aber ohne Eile. Zeit für ein Foto in dem Raum, der ihm bei seinen Brüssel-Aufenthalten zur Verfügung steht, hat er noch: ein großes, helles Besprechungszimmer im Hauptgebäudes der EU-Kommission, ohne Schreibtisch, ohne Regale, nur mit vielen Tischen und Stühlen. „Ich brauche hier kein permanentes Büro, denn ich erledige die Arbeit in erster Linie in München. Und meine Gesprächspartner treffe ich ja meist in deren Arbeitsräumen“, sagt er.

Bevor Stoiber am Abend Brüssel wieder verlässt, ist er erneut Gast in der Vertretung Bayerns bei der EU. Diesmal hat ihn Ex-Bahnchef Ludewig geladen, der in Brüssel hauptsächlich als Chef des europäischen Eisenbahnverbandes auftritt. Stoiber steht auch bei dieser Veranstaltung im Mittelpunkt. Nachdem die zwei Diskussionsrunden auf dem Podium beendet sind, darf er die Schlussrede übernehmen. Erneut spricht er etwas länger als gefühlt gut gewesen wäre. Zeigt sich wieder engagiert, als eifriger Anwalt seiner Aufgabe bei der EU, als Verfechter der Selbstverantwortung der Menschen. Immer noch als Polit-Profi. Ein wenig gealtert, ein wenig gelassener als früher vielleicht. Ein wenig mehr Europäer vielleicht auch.

URL: https://www.donaukurier.de/archiv/stoiber-bleibt-stoiber-auch-in-bruessel-5014117
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