Eichstätt

"Ein gutes Produkt verträgt keinen Schnellschuss"

Neue Lieder, mehr Psalmen und Andachten – Der Eichstätter Liturgiewissenschaftler Jürgen Bärsch zum neuen Gotteslob

02.10.2013 | Stand 02.12.2020, 23:36 Uhr

 

Eichstätt/Ingolstadt (DK) Seit gut 40 Jahren nutzen katholische Christen in Deutschland das Gotteslob. Es war an der Zeit, Lieder und Texte zu entstauben und auf die veränderte Lebenswelt der Menschen zu reagieren.

Der Priester Jürgen Bärsch, Liturgieprofessor an der katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, sprach mit unserer Redakteurin Angela Wermter über den allgemeinen Stammteil des neuen Gotteslobs.

 

Was ist denn das für ein seltsames Kreuz auf dem Umschlag des neuen Gotteslobs?

Jürgen Bärsch: Das angedeutete Kreuz hat die Kölner Künstlerin Monika Bartholomé entworfen. Mit ihren Strichzeichen hat sie das Gotteslob nicht nur illustriert. Sie wollte damit auch eine Art Meditationshilfe anbieten. Das Gotteslob sollte nicht nur mit ganz klassischen Bildern gestaltet werden.

 

Diese Strichzeichnungen ziehen sich durch den gesamten Stammteil des Gotteslobs?

Bärsch: Ja. Es sind Strichzeichnungen, die mit ihrer Offenheit sehr unterschiedliche Assoziationen beim Betrachter ermöglichen.

 

Das unkonventionelle Kreuz auf dem Umschlag wurde auch schon als Symbol der Dreieinigkeit gedeutet.

Bärsch: Das zeigt, dass in diesen Zeichnungen viel Raum für Interpretation steckt.

 

Warum gibt es überhaupt ein neues Gotteslob?

Bärsch: Das bisherige Gotteslob ist 1975 erschienen – im Zuge der nachkonziliären Liturgiereform. Damals hat man sich einigen können, für alle deutschen Diözesen, die österreichischen Diözesen und Bozen-Brixen ein einheitliches Gesangbuch zu schaffen. Im Hintergrund stand das Bewusstsein um die Mobilität der Gesellschaft. Man brauchte bei einem Ortswechsel immer ein neues diözesanes Gesang- und Gebetbuch. 1975 kam dann ein einheitliches Gotteslob – ein Stammteil mit diözesanen Eigenteilen – heraus. Seitdem sind aber fast 40 Jahre vergangen. Nach den Erfahrungen mit der nachkonziliaren Liturgie, nach neuen Herausforderungen auch im kirchlichen pastoralen Bereich lag eine Überarbeitung des Gotteslobs nahe. Hinzu kommt, dass eine Vielzahl neuer Lieder entstand, etwa im Umfeld der Katholikentage oder der Kirchentagstradition. Wichtig auch jene Gesänge, die in der Taizé-Bewegung eine große Rolle spielen.

 

Also mehr Lieder mit ökumenischem Hintergrund?

Bärsch: Ökumenisches Liedgut spielte schon bisher eine Rolle. Doch es gibt eben auch neues geistliches Liedgut, das in den Gemeinden gesungen wird. Man sieht, dass sich das Kirchenlied weiterentwickelt.

 

Und die Gebetstexte?

Bärsch: Ein weiterer, wichtiger Aspekt. Wegen des Priestermangels kann es in vielen Gemeinden nicht mehr jeden Tag eine Eucharistiefeier geben. Dies führt dazu, dass eine andere Gottesdienstform ermöglicht werden muss. Eine Art Gottesdienst, der auch von Laien geleitet werden kann. Für Morgen- und Abendandacht gab es bisher schon Angebote im Gotteslob. Dieses Angebot wurde im neuen Gotteslob erweitert.

 

Das neue Gotteslob also mit Blick in die Zukunft der katholischen Kirche: Mehr Andachten im kleinen Kreis, im Nachbarschaftskreis?

Bärsch: Der Priestermangel spielt künftig sicher eine noch größere Rolle. Das neue Gotteslob soll den Gemeinden helfen, wenn – was besonders für Werktage gilt – eine tägliche Gottesdienstfeier nur noch unter Leitung eines Laien möglich ist.

 

Einerseits Offenheit, Raum für Meditation, stärkere Einbindung ökumenischer Entwicklungen, andererseits mehr Latein im Stammteil des neuen Gotteslobs: Passt das zusammen?

Bärsch: Gerade die Taizé-Gesänge sind oft auf Latein. Das hat mit Internationalität zu tun, mit weltweiter Kirche. Auch war es nicht der Wunsch des zweiten vatikanischen Konzils, dass das Latein im Gottesdienst völlig ausstirbt. Grundelemente, wie etwa das Sanctus, sollten durchaus erhalten bleiben. Wenn darauf wieder stärker Bezug genommen wird, hat das damit zu tun, dass diese Elemente nicht ganz aus den Gemeinden verschwinden. Dass Liturgie mit lateinischer Sprache als vorkonziliar verstanden wird, ist schlicht falsch.

 

Es gibt Elemente im neuen Gotteslob, die auch Glaubenswissen vermitteln. So etwa: „Was bedeutet das . . . “

Bärsch: Das Gotteslob soll nicht nur ein Gebet- und Gesangbuch für die gemeinschaftliche Feier des Gottesdienstes sein. Sondern auch eine Art Hausbuch, für die Andacht im Familienkreis. So wurde beispielsweise eine Andacht für den Weihnachtsabend eingeführt. Und das neue Gotteslob will Hilfe für das persönliche Gebet sein und Glaubenswissen vertiefen. Deswegen sind auch verstärkt katechetische Texte, etwa zu den Sakramenten, aufgenommen worden.

 

Das Ganze wohl auch in einer zeitgemäßeren Sprache?

Bärsch: Unsere Sprache hat sich ja in den vergangenen 40 Jahren verändert. Wenn man sich die Andachten im bisherigen Gotteslob anschaut, dann kommt die Sprache schon sehr spröde daher. Kein Sprachklima, mit dem wir heute umgehen. Auch deshalb war eine Anpassung und Überarbeitung notwendig – um sich unserem heutigen Sprachempfinden stärker anzugleichen.

 

Nur zum besseren Verständnis: Bei all diesen Neuerungen – an der Liturgie hat sich doch nichts verändert?

Bärsch: Es gibt keine neue Liturgie. Aber das neue Gotteslob bietet viele Impulse, gerade den musikalischen Teil des gottesdienstlichen Feierns mit mehr Leben zu füllen. Was in unseren Pfarrgemeinden eher selten zum Zug kommt, sind etwa Wechselgesänge zwischen Gläubigen und Vorsänger oder Gläubigen und Chor. Dieser Dialog macht einen Gottesdienst viel lebendiger. Und diese Form der musikalischen Gestaltung hebt das neue Gotteslob hervor.

 

Psalmen bekamen ebenfalls einen neuen Stellenwert.

Bärsch: Psalmen spielen im katholischen Gottesdienst immer schon eine ganz wichtige Rolle. Man hat das jetzt noch verstärkt, weil Psalmen so stark mit den Wurzeln, mit dem Glauben Israels verbunden sind, mit dem wir Christen ja genauso leben. In Psalmen steckt so viel an Glaubensgewissheit, auch an Glaubenszweifel drin. Mit Psalmen können wir uns heute noch gut ausdrücken.

 

Für neue Inhalte musste auf Altes verzichtet werden.

Bärsch: Man hat zu Beginn der Überarbeitung eine Akzeptanzbefragung unter den Gläubigen durchgeführt. Man wollte ja den Umfang beibehalten und den Gläubigen nicht einfach ein dickeres Buch in die Hand drücken. Die Umfrage wies auf Elemente hin, die in den Gemeinde nie Fuß gefasst haben. Diese Teile wollte man nicht weiter mitschleppen. Vielmehr sollte das Gotteslob auf den tatsächlichen Gebrauch in den Gemeinden angepasst werden. Damit konnte Freiraum für Neues geschaffen werden.

 

Aber der Gläubige erkennt „sein“ Gotteslob schon wieder?

Bärsch: Natürlich wird er es wiedererkennen. Auch weil ganz viele Gesänge erhalten blieben. Darüber hinaus sind Gesänge aufgenommen worden, die mancher vermisst hat, als das letzte Gotteslob 1975 herauskam. Das waren ältere Gesänge, die dann höchstens noch in den Bistumseigenteilen zu finden waren.

 

Wie lange hat die liturgische Kommission der deutschen Bischofskonferenz am neuen Gotteslob gearbeitet?

Bärsch: Rund zehn Jahre waren unterschiedliche Gremien damit beschäftigt. Von der Akzeptanzbefragung bis zum Konzept bis zur Testphase in ausgewählten Gemeinden – das braucht seine Zeit. Ein gutes Produkt verträgt keinen Schnellschuss.

 

Auch der Vatikan musste noch Ja sagen?

Bärsch: Das ist ein Novum in der Geschichte der Diözesangesangbücher und des Gotteslobs: Dass die Bischöfe angehalten waren, das neue Gotteslob auch in Rom mit Blick auf die liturgische Verwendung einzureichen – auch um das neue Werk von Seiten der weltkirchlichen Verantwortung bestätigt zu bekommen.

 

Die Erstauflage des neuen Gotteslobs in Deutschland soll etwa bei 3,6 Millionen liegen. In Deutschland gibt es über 24,3 Millionen Katholiken. Ist die Auflage nicht etwas niedrig?

Bärsch: Da muss man hochrechnen. In einigen Bistümern ist die Tradition, dass jeder sein eigenes Gotteslob hat, längst Vergangenheit. In meiner Heimatdiözese Essen etwa gibt es nur ganz wenige Gläubige, die noch ein Gotteslob besitzen. Da liegen nur in den Kirchen Exemplare aus, die für den Gottesdienst genutzt werden. Das ist hier im Bistum Eichstätt sicher noch mal anders.

 

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