Mühlried

Zwischen Heimweh, Lebensfreude und Weihnachten im Sommer

Anna Hellmich aus Mühlried verbrachte ein Diakonisches Jahr in Südafrika und betreute dort Aidswaisen

21.11.2014 | Stand 02.12.2020, 21:57 Uhr

 

Mühlried (SZ) „Hier fühlt es sich an wie Heimaturlaub“, sagt Anna Hellmich. Die 20-Jährige hat im südafrikanischen Pietermaritzburg ein Diakonisches Jahr verbracht und sich um Aidswaisen gekümmert. Seit ein paar Wochen ist sie wieder daheim in Mühlried.

Vor allem die vergangenen Monate, in denen sie immer selbstständiger geworden war, sich immer besser in der Stadt auskannte und immer mehr Freunde gefunden hatte, ließen den Eindruck verschwinden, in einem fremden Land zu sein, erzählt Anna. Als angehende Studentin für Englisch und Katholische Religion war für die junge Frau lange schon klar gewesen, ein Jahr im englischsprachigen Ausland zu verbringen. Rudi Pawlitschko erzählte ihr dann vom Verein „Siyabonga, helfende Hände für Afrika“, dessen Vizevorsitzender er ist – schnell war für Anna klar, dass das genau das Richtige für sie ist.

Zusammen mit vier weiteren Mädels hat sie in einem Wohnkomplex im Pietermaritzburger Stadtteil Clarendon gelebt. Morgens stand Büroarbeit an – Briefe oder auch mal einen Bericht übersetzen, wenn ein Kind Mist gebaut hatte; ab und zu ging Anna auch mit zu den Familien, wenn entschieden werden sollte, ob ein Kind Unterstützung braucht. Denn erst dann werden die Kinder ins Siyabonga-Programm aufgenommen und macht sich der deutsche Verein auf die Suche nach Paten, die die Familien der Kinder unterstützen. Nachmittags arbeitete Anna dann in einem Bildungscenter in einer der beiden Townshipareas um Pietermaritzburg.

Auch wenn Anna Südafrika und die Menschen dort ungemein ans Herz gewachsen sind – „Es sind total offenherzige, freundliche Menschen. Auch wenn sie nichts haben, würden sie ihr letztes Hemd geben“ – sieht sie auch die vielen Probleme, mit denen Land und Leute zu kämpfen haben. Viele der Kinder, die Siyabonga betreut, wohnen bei irgendeinem Familienmitglied, „je nachdem, wer noch lebt“, erzählt Anna. Schlafen müssen sie nicht selten auf der gestampften Erde. Auch gebe es Kinder, die „nur“ beim großen Bruder lebten, der selbst noch in die Schule geht, die sich gemeinsam eine Hütte teilen, ohne Fenster; Strom gibt’s vom Nachbarn. Spielsachen haben die Kleinen so gut wie keine. „Wenn ihnen langweilig ist, bilden sie einen Kreis, beginnen zu singen und zu tanzen“, erzählt Anna.

Zusammenhalt sei zwar da, allerdings beschränke sich der auf das direkte Umfeld. So nehme die siebenjährige Sisanda beispielsweise den doppelten Schulweg in Kauf, berichtet Anna. Denn: „Die Gefahr, dass das Kind vergewaltigt wird, liegt bei 98 Prozent“. Ein Riesenproblem: „Die Leute glauben noch an Wunderheiler, die ihnen sagen: Wenn du HIV-positiv bist, hol dir eine Jungfrau, dann vergeht das wieder.“ Sexuelle Aufklärung gebe es in Südafrika kaum, auch fühle sich keiner so recht zuständig. „Alle, Lehrer wie Eltern, haben den Irrglauben, dass junge Leute vor dem 21. Lebensjahr keinen Sex haben.“ Ähnlich ticke sogar die Regierung. Eigentlich gäbe es von der nämlich kostenlose Kondome. Nicht aber für Minderjährige. Die Begründung auch hier: Jugendliche unter 21 haben keinen Sex.

Zwanzig Jahre nach Ende der Apartheid sei auch die noch nicht ganz aus den Köpfen der Menschen verschwunden, hat Anna erlebt. „Es ist zwar nicht so, dass es im Kino nur Säle für Schwarze gibt, aber: Es gibt auch keinen Weißen, der Taxibus fährt“. Auch wenn die Kriminalitätsrate in Südafrika ziemlich hoch sei – Angst habe sie nie gehabt, versichert Anna. „Wenn man gewisse Regeln beachtet, ist es relativ sicher.“ Und das Thema Heimweh? „Anfangs hatte ich das gar nicht“, sagt Anna. Doch eine ziemlich heftige Krise hat sie dann doch durchlebt: „Ich hatte Stress mit meinem Freund, auch mit den Mädels in der Wohnung habe ich mich zu der Zeit nicht mehr so gut verstanden; und daheim in Deutschland hat der Onkel auch noch Nachwuchs gekriegt – zu der Zeit wollt ich nur noch heim“, gesteht Anna. Doch es kamen neue Freunde, und von den Mädels habe sie sich ein Stück weit abgesondert – „irgendwann ist dir wurscht, was sie von dir denken“ – und somit war auch das Thema Heimweh abgehakt.

Und es gab ja auch die vielen schönen Erlebnisse, die Anna in Erinnerung bleiben werden. Bei 30 Grad Celsius im Minikleid am Meer Weihnachtsgeschenke auspacken zum Beispiel. Oder die Erfahrung, dass manchmal im Leben sogar unmöglich erscheinende Wünsche in Erfüllung gehen: „Anna wollte schon immer mal im Sommer Geburtstag haben“, erzählt Annas Mutter Christina Hellmich schmunzelnd. Vier Tage nach Weihnachten feierte sie Geburtstag – mitten im südafrikanischen Sommer.

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