Ingolstadt

Carmina Maxima

Das Reuchlin-Gymnasium bringt Carl Orffs berühmtestes Werk mit 450 Mitwirkenden auf die Bühne

26.02.2015 | Stand 02.12.2020, 21:36 Uhr

Und jetzt alle: An den Probenwochenenden in einer Turnhalle des Reuchlin-Gymnasiums kamen 350 Sänger vieler Generationen und fast 100 Orchestermusiker zusammen. An diesem Sonntag führt das Riesenensemble Carl Orffs »Carmina Burana« auf. Das Konzert und die öffentliche Hauptprobe am Samstag sind schon lange ausverkauft. - Foto: Enzinger

Ingolstadt (DK) Es wird ein zweifellos außergewöhnliches Konzert: Das Reuchlin-Gymnasium führt am Sonntag die berühmten „Carmina Burana“ Carl Orffs auf: mit gut 450 Schülern, Lehrern, Ehemaligen und Freunden. Vorfreude beschwingt die Proben des Riesenensembles. Das Konzert ist schon lange ausverkauft.

120 Schläge pro Minute. Das Metronom bringt Schwung in den Musiksaal. Jetzt kommen gleich die Synkopen. Keine einfache Sache bei diesem Tempo. Die Bläser tragen das Orchester sicher mit sonorem Klang. Die Streicher legen die Melodie darüber, rhythmisch vertrackt, in kunstvoll versetztem Takt. „Die Synkopen knackiger!“, ruft die Dirigentin. „Und eine Bitte an die Streicher: mehr Staccato, kurzer Bogen, weg vom Steg! Didim, didim, dididi-dim. Und eins, zwei, eins, zwei, drei!“ Einsatz Tutti. Alles tönt. Die Schüler gehen ein Accelerando an, erhöhen gemeinsam das Tempo, wie es Meister Orff einst in die Partitur geschrieben hat. Die Lehrerin feuert das Orchester des Reuchlin-Gymnasiums an; Eva-Maria Atzerodt liefert noch mehr Schwung als jedes Metronom.„Die Geigen bitte ned so faul! A bissl mehr Vibrato! Das klingt ned nur besser, es schaut auch besser aus.“

Es ist die letzte Solo-Probe des Schulorchesters vor dem großen Konzertwochenende. „Wir haben heute keine Profis dabei, ihr müsst also noch mal selber zurechtkommen“, sagt die Dirigentin. „Aber das packen wir! Jetzt die Nummer 25. Alle Blicke zu mir! Und eins, zwei, eins, zwei, drei.“ Die jungen Musiker schmettern „O Fortuna“, das wohl bekannteste Lied der berühmten „Carmina Burana“, jener mittelalterlichen „Gesänge aus Benediktbeuren“, die der Münchner Komponist Carl Orff (1895 – 1982) in den 30er Jahren vertont hat. Viele Schüler swingen beim Spielen mit. „O Fortuna“ hat noch jeden beseelt. „Die Geigen mehr federn!“, ermuntert Eva-Maria Atzerodt. Nach einem suboptimalen Einsatz ruft sie lächelnd „Du Schlafhaube!“ in den Musiksaal I; das hat ihr Vater Reinald Atzerodt, der bis 1995 an selber Stelle dirigierte, auch immer gesagt.

Die „Carmina“ entfalten jetzt ein eindrucksvoll-erschütterndes Fortissimo. Dabei probt das Orchester an diesem Tag nur in der Standardbesetzung. Doch Tutti ist bei diesem Projekt nicht gleich Tutti. Kommen noch die Schulchöre und Gäste dazu, ist richtig was los. Dann füllt das Ensemble eine ganze Turnhalle, wie an den Probenwochenenden zu erleben war.

Was das Reuchlin da auf die Bühne des Festsaals bringt (und aus Platzgründen noch auf das Parkett und einige Ränge), ließe sich auch als Carmina Maxima bezeichnen; mindestens. Allein die Chöre des Reuchlins (Oberstufe, Mittelstufe und der Ragazzi-Chor) bieten 180 Sänger auf. Das Schulorchester erhält Unterstützung von befreundeten Mitgliedern des Georgischen Kammerorchesters und Musikern der Bayerischen Brass Band Akademie. Das ergibt ein 94-köpfiges Ensemble. Dazu kommt natürlich noch das stimmgewaltige Heer der ELFEN, wie Eva-Maria Atzerodt die 160 mitwirkenden Eltern, Lehrer, Freunde und Ehemaligen abkürzend zusammenfasst.

Viele Gastmusiker sind Absolventen des Reuchlins, einige haben oder hatten Kinder dort. Mitglieder des Ingolstädter Jugendkammerchors verstärken das Ensemble besonders zahlreich. Kein Wunder: Die Chorleiterin heißt seit 25 Jahren Eva-Maria Atzerodt. Das opulente Konzert ist ihr Werk. Sie kam auf die Idee, als ihre Schule einer Attraktion bedurfte. Das Reuchlin begeht heuer das 50. Jubiläum der Namensgebung; zuvor hieß es schlicht „Humanistisches Gymnasium“. Dessen Schülern wird seit Generationen ein sehr spezielles Standesbewusstsein nachgesagt. In diesem Sinne raunte eine Sängerin nach einer Probe mit 450 Musikern: „Das macht uns das Katherl so schnell nicht nach!“

Sebastian Dill singt leidenschaftlich im Jugendkammerchor und bei Incanto Corale. Er hat sofort zugesagt, als ihn die Einladung erreichte. „Denn ich bin dem Reuchlin und Frau Atzerodt auch zwölf Jahre nach meinem Abitur dort noch sehr verbunden.“ An ihrem Vater hat ihn „die unnachgiebige Art beeindruckt, Sängerinnen und Sänger für die Schulchöre zu werben“. In der Pubertät fand Dill das Singen nicht mehr so cool. „Aber sie wäre nicht seine Tochter, wenn Frau Atzerodt es nach meinem Stimmbruch nicht geschafft hätte, mich wieder für den Schulchor zu gewinnen!“

Die Sopranistin Marie Göbel (18) fiebert dem Auftritt entgegen. „Wir sind stolz darauf, dass das Konzert ausverkauft ist und die öffentliche Hauptprobe am Samstag auch“, sagt die Zwölftklässlerin. Sie schwärmt von den Proben in der Turnhalle. Da darf natürlich keiner ratschen. „Aber die Profis haben schon aufgepasst, dass alle leise sind.“

Eine Sängerin kommt eigens aus dem Fränkischen nach Ingolstadt, um dabei zu sein. Amandine Knauer, geborene Malterer, Absolvia 1993. „Als ich in der fünften Klasse war, hat das Reuchlin auch die Carmina Burana aufgeführt, da habe ich im Kinderchor mitgesungen – eines der schönsten Erlebnisse meiner Schulzeit! Jetzt schließt sich der Kreis.“ Die Proben haben sie sehr beeindruckt: „Diese Masse ist echt unglaublich! Allein schon da mitten drin zu sitzen und herumzuschauen, ist großartig.“ Und wenn das Ensemble erst loslegt! 350 Sänger, die „O Fortuna“ schmettern. „Da haut’s die Zuhörer weg!“, sagt Amandine Knauer. „Das wird die coolste Aufführung der Carmina Burana, die es je gab.“

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