Bamberg

Konfetti, Popcorn, Kabeltrommel

Circus Roncalli macht sich auf den Weg

17.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:32 Uhr

Foto: Kathrin Schmied

Bamberg/Ingolstadt (DK) Die Uhr im Zirkus ist die Musik. In der Manege, in den Garderoben, rund um das blau-weiße Zelt. Zwischen den Wohnwagen dahinter, zwischen Küchencontainer und Kassenwagen. Jede Bewegung, beinahe jeder Gedanke des Zirkusvolks tickt im Takt. Spätestens wenn das Orchester mit einem Tusch die finale Vorstellung eröffnet. Denn dann beginnt der Endspurt für die Mannschaft des Circus Roncalli: aufräumen, einpacken, abbauen. Auf in die nächste Stadt. Über die Autobahn, von Bamberg nach Ingolstadt.

Den ganzen Tag schon schwirren die 80 Frauen und Männer über das ehemalige US-Militärgelände mitten in Bamberg, wie elektrisiert. Der Zirkus funktioniert wie ein Schweizer Uhrwerk. Alles, was vorab verstaut werden kann, findet seinen Platz im Auto, im Campingwagen oder in einem der Sattelzüge. Kostüme genauso wie Klappstühle. Vordächer und Lichterketten sind bereits abgebaut. „Bei diesem Wetter muss das sein. Es ist ziemlich windig“, sagt Pascal Raviol. Er kümmert sich für die Tournee „Salto Vitale“ um die Pressearbeit. „Am letzten Tag zählt jede Minute.“ Und jeder Gegenstand habe seinen Platz. Genauso wie jeder Handgriff sitzt. Während in der Manege Clowns, Verbiegungskünstler und Illusionisten die Zuschauer in die fantastische Zirkuswelt entführen, die sich Bernhard Paul 1976 geschaffen hat, herrscht draußen wortlose Betriebsamkeit.

Rote Samtvorhänge, goldfarbener Stuck, blaue Seile. „Roncalli-Blau“, sagt Raviol. Zirkuschef Paul ist verliebt in Details, lässt die Taue, die das Zelt spannen, extra färben. Die Zuschauerbänke sind aus Holz, rot gestrichen. Unzählige einzelne Bretter, die nach der Vorstellung in penibel beschriftete Kisten wandern, um in Ingolstadt wieder ihren angestammten Platz einzunehmen. In der Pause sieht man niemanden vom Aufräumtrupp. Schließlich soll das Vergnügen im Finale das gleiche sein wie bei der Premiere. „Die Zuschauer können nichts dafür, dass wir weiterziehen“, sagt Tourneeleiter Harald Ortlepp. Mit Platzmeister Marco Biasini teilt er sich am Abend die Schicht auf dem Gabelstapler. Die ersten Kisten müssen auf den Laster gehoben, der Kassenwagen auf den Sattelzug geschoben werden. „Der Staplerfahrer steht im Stau“, meint Ortlepp und zuckt die Schultern.

Vier Kilometer Kabel. Diesen Salat sammeln Maik Romanski und Tadeusz Kostrzewa nun nach und nach wieder ein. „Zieh mal dran Tadek. Welches ist das“, fragt Romanski. Schnell ist die Sache geklärt, die beiden sind ein eingespieltes Team. Romanski arbeitet seit dem 24. Mai 1993 für Roncalli. „Ich bin seit 16. Juni 1969 beim Zirkus“, sagt Kostrzewa. Erst in Polen, dann in Österreich, dann in Deutschland. Seit zwei Jahren in Bernhard Pauls wahr gewordener Märchenwelt. Aufhören? „Ich möchte noch ein bisschen weitermachen.“ Der 65-Jährige grinst. „Ich habe das Zirkusgift im Blut.“

Der letzte Auftritt. Weißclown Yann Rossi verabschiedet das Publikum mit sehnsuchtsvollen Klängen. Applaus. Für den Schlussakt ist Tourneeleiter Ortlepp noch einmal ins Zelt gekommen. „Wenn das nicht mehr alles andere aufhebt, muss man aufhören mit dem Zirkus“, sagt er. Schlechtes Wetter, stressige Fahrten – 50 Transporte braucht es, bis alles und jeder von der einen in die nächste Stadt gereist ist – oder Probleme mit der Organisation: In diesem Moment ist das alles egal.

Die Planen fallen. Ohne die Zeltwände wird aus der heilen Manegenwelt ein rotes Gerippe. Nur Konfetti und Glitzerschnipsel im Sägemehl zeugen noch vom artistischen Zauber. Dazwischen: Besen, aufgerollte Teppiche, Kabel. 21 Lichtbögen haben die beiden Elektriker schon abmontiert. Die letzten drei, die über dem Haupteingang, nimmt Kostrzewa nun vom Strom. „Sie sehen schwer aus, sind sie aber nicht“, sagt er, während er sich zwei rote Bögen auf die Schulter hebt. Die einzige Lichtquelle ist nun das Roncalli-Schild, gespannt zwischen zwei von vier großen Masten, der Basis für das Zirkuszelt. Sie sind beim Abbau stets das Letzte, was abgebaut wird, und stehen beim Aufbau als Erstes.

Zeltmeister Biasini hat schon am Freitag den Ingolstädter Festplatz besucht. Die Tour auf den nächsten Platz macht er immer ein paar Tage vor der Weiterfahrt. Mit Spray kennzeichnet er dann die Stellplätze für Wagen, Vorzelt und Manege. Nach und nach kommen darum beim Abbau in Bamberg die pinken und gelben Striche und Punkte wieder zum Vorschein. Nach und nach verschwinden sie in Ingolstadt. Dazwischen tickt das Uhrwerk über die Autobahn. Bei der Premiere wird das Zelt aussehen, als hätte es schon immer dort gestanden.

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