Dialog gegen Hass - Auf der re:publica werden Konzepte gegen "hate speech" im Internet diskutiert

04.05.2016 | Stand 29.07.2016, 3:34 Uhr
"Gesellschaft - it's broken, let's fix it!" mit (v.l.) Frank Richter, Carline Mohr, Friedemann Karig, Falk Richter und Fabian Wichmann −Foto: re:publica/Jan Zappner CC BY 2.0

Berlin (dk) Hass ist im Netz allgegenwärtig. Doch damit muss man, damit darf man sich nicht abfinden. Das ist eine der wichtigsten Forderungen bei Internet-Konferenz re:publica in Berlin. Das Thema "hate speech" ist hier ein Themenschwerpunkt.

In der Utopie war das Internet immer ein digitales Auenland: eine bezaubernde Landschaft voll blühender Pflanzen und freundlicher Bewohner. In der Praxis ist das Netz an vielen Stellen mittlerweile eher ein digitales Mordor: Kaputt, lebensfeindlich, voller hasserfüllter Kreaturen. Immer offensichtlicher werden in den Sozialen Netzwerken Beleidigungen bis hin zu Morddrohungen geäußert, allen gegenüber, die eine andere Meinung, Religion oder Hautfarbe haben, stets in der bequemen Gewissheit des Applauses der Gleichgesinnten.

Hunderte Flüchtlinge sind ertrunken? "Schade, dass es nur so wenige waren." Beifall. Andersdenkende? "Ab in die Gaskammern. Oder gleich erschießen. Das spart das Gas."

Solche Kommentare sind nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Dass man hier über Menschen spricht, dass diese Geisteshaltung dem christlich-abendländischen Menschenbild widerspricht, das man doch vorgibt, zu verteidigen - geschenkt. Hintergrund ist die Filterblasen-Problematik: Menschen bewegen sich in den Sozialen Netzwerken nur in Gruppen, in denen sich Gleichgesinnte tummeln. Widerspruch ist da nicht zu erwarten. Dafür wird die eigene Meinung - so radikal sie sein mag - zuverlässig bejubelt. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass die Algorithmen der Sozialen Netzwerke und der Suchmaschinen vor allem Personen und Ergebnisse präsentieren, die zur eigenen Meinung passen. So entsteht für die Betroffenen der Eindruck, alle Menschen teilen ihre Meinung - denn in der digitalen Sphäre um sie herum tun es alle.

Eine analoge Ausprägung dieses digitalen Hasses ist für viele Redner auf der re:publica Pegida. "Wir müssen schauen, was hinter Pegida steht: Wut, Hass, Enttäuschung", sagt Frank Richter von der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. "Wir haben gesagt: Wir müssen versuchen, mit diesen Menschen ins Gespräch zu kommen." Diese Meinung teilt die Journalistin und Social-Media-Expertin Carline Mohr. "Ich glaube fest daran, dass man radikale Meinungen abschleifen kann, wenn man immer wieder spricht, immer wieder argumentiert." Man müsse widersprechen, und richtigstellen. Vor allem auch um der Leute willen, die diese Kommentar nur lesen.

Eine persönliche Auseinandersetzung mit Rechten hatte der Schauspieler und Dramaturg Falk Richter. Er hatte ein AfD-kritisches Stück geschrieben. Die Folge waren Schmierereien, Störungen von Aufführungen, Hassmails und Morddrohungen. AfD-Frontfrau Beatrix von Storch wollte das Stück vor Gericht verbieten lassen. Vor Gericht scheiterte die AfD. Das Stück darf genau so weiter gespielt werden. "Schließlich haben wir in Deutschland Meinungs- und Kunstfreiheit", betont Richter. Doch vielleicht ging es auch gar nicht um einen juristischen Sieg. "Diese Aktionen sind auch dazu da, die Community hinter sich zu bringen", vermutet Richter.

Denn es gibt die intellektuellen Rechtskonservativen, die in Talkshows eine gute Figur machen. Es gibt "klassische" Neonazis, die mit Baseballschlägern und Brandsätzen Jagd auf Ausländer machen. Und es gibt eine relativ große verängstigte Masse, die Angst hat uns sich deshalb relativ leicht zum Hass verleiten lassen kann.
 
"Das ist ja alles kein Problem, dass es erst seit drei Jahren gibt", sagt Fabian Wichmann von der Aussteigerkampagne "Exit-Deutschland". "Pegida hat dem nur eine kollektive Stimme gegeben." Man könne aber natürlich auch bei Pegida nicht alle, die da mitgehen, zu einer homogener Masse erklären und vom politischen Diskurs abkapseln. Sprich: Alle, die da mitmarschieren, als Nazis abzustempeln, ist weder korrekt noch zielführend. Daher müsse man den Dialog suchen, diskutieren, widersprechen, fordert Wichmann.

Für die Journalistin, Bloggerin und Aktivistin Kübra Gümüsay hat der Dialog allerdings Grenzen. "Man kann jede Frage in diesem Land stellen. Aber man muss nicht jede Frage lang und breit diskutieren", fordert sie. Dazu gehöre die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehöre. "Denn wir stellen damit zur Diskussion, ob wir hier leben dürfen." Sie sei 27 Jahre alt. "Mehr als 15 Jahre meines Lebens habe ich damit verbracht, diese Frage zu beantworten." Sie habe keine Lust mehr, darüber zu diskutieren, ob sie existieren dürfe. Sie habe keine Lust mehr, im Kollektiv denken zu müssen. Sie habe keine Lust mehr, kein Individuum zu sein, sondern eine Pressesprecherin für eine Bevölkerungsgruppe.

Viele Hasser würden sich in Internet-Foren organisieren, um dann konzertiert zuzuschlagen, zum Beispiel um Bloggerinnen und Blogger zu beschimpfen und bedrohen. Daher fordert die Bloggerin: "Liebe organisieren", positive Kommentare gemeinsam geplant schreiben. Twittern und retweeten, wenn man einen guten Artikel gelesen habe, solche Texte auf Facebook teilen, sich öffentlich im Netz bei Bloggerinnen und Bloggern oder Redaktionen bedanken. Kurzum: Nicht den Hassern das Feld überlassen. Denn "wir haben die Entwicklungen im Netz viel zu lange verharmlost." Mehr als 500 Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte allein im vergangenen Jahr zeigten, dass die digitale der realen Gewalt vorausgehe. "Flutet die Kommentarspalten. Zeigt, dass die nicht die Mehrheit sind." Ihre emotional vorgetragene Forderung an die re:publica-Besucher: "Seid präsent, seid solidarisch, seid da." Um dem Hass etwas entgegenzusetzen.

 
Von Tom Webel
 

URL: https://www.donaukurier.de/archiv/dialog-gegen-hass-auf-der-re-publica-werden-konzepte-gegen-hate-speech-im-internet-diskutiert-3750490
© 2024 Donaukurier.de