Hettenshausen

Er hat die zündende Idee: Peter Lell entwickelt kontrollierte Explosionen

Injektion, Lithium-Batterie, Kraftwerk: Die Hettenshausener Firma Pyroglobe sorgt mit Sprengstoff für Sicherheit

17.02.2022 | Stand 23.09.2023, 2:42 Uhr

Peter Lell entwickelt mit seiner Hettenshausener Firma Pyroglobe beispielsweise Hochspannungshochstromabschalter: In diesen Pyrofuses löst ein kleines Explosivstoff aus, um unter anderem die Batterien in E-Autos abzutrennen – so werden schlimmere Unglücke verhindert. Foto: Wassermann



Nötig sind dazu sogenannte Trennschrauben: Die fixieren zwar die Tragflächen zuverlässig am Flugzeug; sobald eine pyrotechnische Ladung im Inneren der Trennschraube gezündet wird, löst sie sich an einer Sollbruchstelle ab und die Flugzeugteile fliegen davon. „Da sind Trennschrauben drin, dass die Tragflächen genau an der Stelle abgehen“, erklärt Lell.

„Wenn es knallt, ist etwas schief gelaufen“

Auch wenn diese Pyrotechnik nun Teil eines hollywoodreifen Filmeffekts ist: Eigentlich sind Peter Lells explosive Erfindungen ein wichtiger Bestandteil der realen Welt und verhindern Unglücke oder können Leben retten. Denn mit seinen Sprengvorrichtungen werden beispielsweise defekte Bauteile in Kraftwerken abgeschalten, Airbags ausgelöst oder bei Unfällen Batterien von Elektroautos abgetrennt. Momentan arbeitet er auch wieder an einer älteren Erfindung: die nadelfreie Injektion beispielsweise für Impfstoffe.

„Überall ist Explosivstoff drin“, sagt Lell über die Produkte, die er in Hettenshausen konzipiert und in kleinen Teilen auch fertigt. Aber er stellt sofort klar: „Wenn es knallt, dann ist etwas schief gelaufen. Alles macht nur ,klick‘.“ Denn auch wenn seine Erfindungen mit Sprengstoff funktionieren, ist große Zerstörung nicht das Ziel.

Die Trennschrauben aus dem James-Bond-Film zum Beispiel sind eigentlich für bestimmte Autotüren gedacht: Beim VW XL1 gehen diese wie Flügel nach oben auf. „Wenn das Fahrzeug nun nach einem Unfall auf dem Dach liegt, kommen die Leute nicht aus dem Auto“, sagt Lell. Ein Sensor erkennt nun die missliche Lage, aktiviert die Trennschrauben: Die Türen können rausgedrückt und die Insassen gerettet werden.

In Kraftwerken, E-Autos und mehr im Einsatz

Während die Trennschrauben nur ein wenig größer sind als die normale Variante, sind die Bypass-Schalter die größte und schwerste Baugruppe im Portfolio von Lells Firma Pyroglobe – nämlich ein bisschen kleiner als ein Maßkrug. Im Inneren sind zwei Gramm Explosivstoff verbaut – so wird mit einer kleinen Explosion eine große verhindert, die etwa zwei Kilogramm TNT entsprechen würde. Zum Vergleich: Ein Kilogramm TNT verwüstet einen Umkreis von etwa fünf Metern.

Die Bypass-Schalter werden nämlich in Kraftwerken eingebaut. „In jeder Baugruppe ist dort ein Kurzschlussschalter eingebaut“, erklärt Lell. „Wenn der durchlegiert, kommt es zu einer Explosion – und das wollen Sie in einem Kraftwerk nicht haben.“ Ein solcher Schadensfall lasse sich aber im Vorfeld erkennen, und dort greift nun Lells Bypass-Schalter. Die kleine Explosivladung löst dann aus, schließt den Kondensator kurz – und die Kuh ist vom Eis, das Kraftwerk kann erst einmal ohne Probleme weiterlaufen. Die Schalter aus der Hettenshausener Ideenfabrik sind in San Francisco, in der Ostsee oder auch in China verbaut.

Um einiges kleiner aber nicht weniger effektiv sind die Hochspannungshochstromabschalter – im Fachjargon heißen sie Pyrofuse –, die überall dort verbaut werden können, wo Lithiumbatterien genutzt werden. „Die könnte man in der Hand halten, wenn sie explodieren – und man würde nichts merken“, sagt Lell. Mit einer kleinen Sprengladung können die Lithiumbatterien von der Verkabelung getrennt werden, es fließt kein Strom mehr – was beispielsweise bei Unfällen von Elektro- oder Hybridautos letztlich Leben retten kann und für die Feuerwehrleute den Einsatz um einiges weniger gefährlich macht.

Genau umgekehrt ist der Gedanke hinter dem Pyrocloser: Dieses Bauteil ist für Brennstoffzellen gedacht, wie sie bei Gasantrieben eingebaut sind. „Hier haben Sie ein anderes Problem: Es ist bei einem Unfall noch Energie im Katalysator: Da muss man verhindern, dass sich das noch umsetzt“, erklärt Lell. Während also der Hochspannungshochstromabschalter die Verbindung zur Batterie kappt, schließt der Verbinder den Katalysator kurz und entschärft so die Situation.

Eine Spritze ganz ohne Nadel

Ein Produkt, das Lell vor 20 Jahren auf den Markt bringen wollte, war damals zwar eingestellt worden – nun aber will der Pyroglobe-Geschäftsführer es weiter entwickeln und es doch noch auf den Markt bringen. Denn in Zeiten von Impfdebatten und Covid-19-Vakzinen sieht Lell in der nadelfreien Injektion eine Lösung beispielsweise für Angstpatienten. „Mit denen will ich wieder starten“, ist der Erfinder optimistisch. Mit einer Gaskartusche wird das Medikament direkt in die Haut geschossen. „Man kann die Schussstärke einstellen, von 300 bar bis 1000 bar“, erklärt Lell. „Denn die Haut eines Babys ist eine andere wie die Haut eines Waldarbeiters.“ Das Gerät, wie es Lell vor zwei Jahrzehnten entwickelt hat, sieht eigentlich aus, wie eine kleine Taschenlampe: Man hält ein Ende an die Haut, löst aus und das Medikament wird in den Körper gedrückt – ganz ohne Nadel.

Das Ganze funktioniert sowohl für flüssige Stoffe als auch für gefriergetrocknete Medikamente: Mit 700 Metern pro Sekunde werden bis zu 10 Mikrometer große Partikel – so groß ist beispielsweise Feinstaub – tief genug unter die Haut gebracht. In einer Studie habe das Produkt schon überzeugt, allerdings brauche es nun eine millionenschwere klinische Studie. „Der Vorteil wäre: Man braucht keine Kühlkette für die Medikamente“, erklärt Lell. „Gefriergetrocknete Stoffe wären daher ideal geeignet beispielsweise für Afrika.“ Allerdings liegen die Kosten für eine solche nadelfreie Injektion etwa um ein Zehnfaches höher als die einer Spritze. „Die Länder, die einen Vorteil davon hätten, sind die Länder, die kein Geld haben“, sagt Lell. Wie es hier weitergeht, ist daher noch offen.

PK

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