Ingolstadt

Die Kunst als Ware

Knut Weber eröffnet mit Carlo Goldonis Komödie "Der Impresario von Smyrna" die Spielzeit im Großen Haus des Stadttheaters Ingolstadt

03.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:14 Uhr

Die arbeitslosen Künstler von Venedig hoffen auf ihre große Chance: Péter Polgár, Katharina Solzbacher, Marc Schöttner, Jan Gebauer, Ulrich Kielhorn, Felix Steinhardt und Mara Amrita (von links) in Knut Webers Inszenierung im Großen Haus. - Foto: Klenk

Ingolstadt (DK) Am Ende singen sie doch noch - ein Potpourri italienischer Hits von Georg Friedrich Händels berühmter Arie "Lascia ch'io pianga" über Rossinis "Katzenduett" bis zu Eros Ramazzottis "Se bastasse una canzone". Und ernten dafür begeisterten Applaus. Wird mit diesem neuen musikalischen Schlusspunkt hinter den "Impresario von Smyrna" doch wieder einmal unter Beweis gestellt, wie fantastisch das Ingolstädter Schauspiel(!)ensemble singen kann. Davor wurde die Musik eher theoretisch verhandelt, ging es zwei Stunden lang um Stimmlagen, Rollenfächer, große Oper und noch größere Verwicklungen. Carlo Goldonis 1759 in Venedig uraufgeführte Komödie eröffnete am Samstagabend unter der Regie von Knut Weber die neue Spielzeit des Stadttheaters Ingolstadt.

Ein programmatischer Beginn, erzählt das Stück doch vom Kulturbetrieb, von der Kunst als Ware, stellt Fragen nach Wert, Nutzen und Profit, nach existenziellen Nöten und allgemeiner Wertschätzung (oder eben dem Mangel daran). Und obwohl das Stück mehr als 250 Jahre alt ist, klingt das doch ziemlich aktuell.

Worum es geht: Der türkische Kaufmann Ali hat zwar keine Ahnung von Musik, doch er ist reich, möchte sich in seiner Heimatstadt Smyrna durch die Gründung einer Oper ein Denkmal setzen und sich dazu mit schönen Sängerinnen schmücken. Durch den kunstsinnigen Strippenzieher Graf Lasca macht das Gerücht schnell die Runde und bald buhlen die arbeitslosen Sänger um die Aufmerksamkeit des Fremden. Wer verkauft sich am besten? Welche Strategie ist die wirksamste? Was zählt mehr - Schönheit oder Erfahrung, Genügsamkeit oder Willfährigkeit? Höchst komisch ist das natürlich, wie sich die Anwärter auf diesem Arbeitsmarkt ins rechte Licht zu setzen und ihre Rivalen auszustechen versuchen, gleichzeitig bitter, wenn das nur durch billig, billiger, geschenkt gelingt. Denn zwischen Selbstdarstellung, Selbstausbeutung und Intrige bleiben Kunst und Menschlichkeit leicht auf der Strecke.

Regisseur Knut Weber bedient sich großzügig bei der Commedia dell'arte, setzt in der Figurenzeichnung auf das Typenkabinett, auf die große Geste und den lauten Witz, spielt mit Überzeichnung und Theaterzauber, lässt aber auch aktuelle regionale Bezüge einfließen, wenn es etwa um Einbußen bei der Gewerbesteuer und die Folgen geht. Und wenn er an einer Stelle alle Mitarbeiter des Hauses auf die Bühne holt - von der Technik bis zu den Einlassdamen -, um Ali zu demonstrieren, wie viele Leute für den Betrieb einer Oper vonnöten sind, dann ist das auch ein Statement zur jüngsten öffentlichen Diskussion über die Bedeutung von Kultur und der Menschen, die sie ermöglichen.

Da brandet Applaus auf. Zum Teil sicher aus Solidarität mit dem Theater, zum Teil aber auch als Lob für die Abteilungen dieser Produktion. Vor allem Maske und Kostüme sind im "Impresario" echte Hingucker. Explodierende Frisuren in Rot und Pink, verwegen gemalte Larven mit diabolischer Augenbraue oder missgünstig verzogenem Mund: Ausstatterin Susanne Hiller zitiert die charakteristischen Kostüme der Commedia dell'arte und mischt sie frech und punkig auf. Arlecchinos farbiges Flickenmuster setzt sich dabei ins Bühnenbild fort: Stoffbahnen mit magischen Transparent-Effekten. Ein Fingerschnipsen von Beltrame (Ulrich Kielhorn als Wirt und Illusionist) - und das Licht ändert sich. Ein zweites Fingerschnipsen - und wo vorher nichts war, spielt plötzlich Tobias Hofmanns Kreativ-Combo. Als Möblierung reichen wenige rollende Sitzelemente, ein riesenhafter Diwan (herrlich, wie der hereingondelt), drei gigantische Kerzenleuchter.

Bei diesem Theater im Theater changiert Webers Inszenierung bewusst zwischen Kunst und Künstlichkeit. So lässt er etwa seine Darsteller schwäbeln, sächseln, hessisch babbeln. Schon Goldoni hatte in einer frühen Versfassung seine Figu-ren den Dialekt ihrer Heimatstädte sprechen lassen. Diese kuriose Mischung aus Mund-art, Hochsprache und artifizieller Bühnendiktion innerhalb der Wortduelle (auch als Gradmesser von Wahrhaftigkeit) ist keck gemacht. Trotzdem will der Witz über weite Strecken nicht recht zünden, gerät das Spiel mitunter zu schwerfällig.

Köstlich allerdings die Frauenriege - und das Primadonnen-Gezänk zwischen Mara Amrita als Aninna (was für ein Augenaufschlag), Katharina Solzbacher als Tognina (welch intrigante Hexe) und Sarah Horak als Lucrezia. Letztere ist neu im Ensemble, betört an diesem Abend durch ihre fulminante Bühnenpräsenz und ihre so präzise wie umwerfende Komik. Und noch ein Neuer gibt hier seine Visitenkarte ab: Felix Steinhardt weiß als rosaroter Fatsuit-Geck Farluccio mit überraschendem Facettenreichtum aufzuwarten.

Im Ensemblespiel mit Péter Polgár (als arg gebeutelter Pasqualino), Richard Putzinger (als Graf Lasca ein Intrigant mit Schmäh), Marc Schöttner (als allzu geschmeidiger Dichter Maccario), Jan Gebauer (als zwielichtiger Agent Nibio) und Jörg Seyer als Klischee-Türke Ali (mit Fes und Louis-de-Funès-haften Zornausbrüchen) blitzen da zwei neue, interessante Farben auf - und machen neugierig auf die Spielzeit.

Nächste Vorstellungen am 8., 9., 20., 22., 23. und 31. Oktober. Kartentelefon (08 41) 305 47 200.

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