Berlin

Stühlerücken im Kabinett

Gauck würdigt Steinmeiers Wirken als Außenminister und ernennt Gabriel zu dessen Nachfolger

27.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:44 Uhr

Berlin (DK) Anke Gabriel flüstert Töchterchen Marie ein leises "psst" zu. Die Kleine rutscht unruhig auf ihrem Stuhl hin und her, knabbert eine Breze, während ihr Papa zum neuen Außenminister ernannt wird. Deshalb hat die Vierjährige am Freitag Kita-frei, ist von Goslar, wo die Gabriels zu Hause sind, mit nach Berlin gereist.

Es ist schließlich ein besonderer Tag. In Schloss Bellevue vollzieht sich in der großen Koalition eine Zeitwende. Die Ministerwechsel markieren den inoffiziellen Start für den Wahlkampf. "Komm her, Mäuschen!", ruft Bundespräsident Joachim Gauck der kleinen Marie zu und winkt auch die Kanzlerin herbei. Gauck, Angela Merkel (CDU) und die Gabriels - die Kameras klicken, das Erinnerungsfoto ist im Kasten. Danach geht es zur Amtsübergabe ins Außenministerium. Bereits an diesem Samstag will Sigmar Gabriel (SPD) zum Antrittsbesuch nach Paris reisen, wie es gute Tradition für deutsche Chefdiplomaten ist.

Sein Vorgänger Frank-Walter Steinmeier, dessen Wahl zum Bundespräsidenten als sicher gilt, erhält am Freitag in Schloss Bellevue nicht nur seine Entlassungsurkunde, sondern auch höchstes Lob. Er stehe für "Unermüdlichkeit, dafür, weiter zu verhandeln, zu vermitteln und zu überzeugen". Sprachlosigkeit sei der "Tod der Diplomatie", Steinmeier habe aus dieser Erkenntnis eine Maxime gemacht, so Gauck. "Dieses Mal komme ich wirklich nicht zurück", sagt Steinmeier wenig später in seiner Abschiedsrede im Auswärtigen Amt.

Schließlich ist Brigitte Zypries an der Reihe. Die SPD-Politikerin, zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierungen unter Gerhard Schröder lange Justizministerin, ist nun Chefin im Wirtschaftsministerium. Dort hatte sie bisher als Staatssekretärin gearbeitet. Damit ist die Rochade vollzogen. Nach nur neun Minuten schließen sich die Flügeltüren im Langhanssaal von Schloss Bellevue wieder. Gauck hat seine Pflicht und Schuldigkeit getan.

Fehlt noch Martin Schulz. Vom SPD-Kanzlerkandidaten gibt es am Freitag keine Bilder. Der 61-Jährige ist nach dem Trubel dieser Woche abgetaucht. Er arbeite an seiner Rede für diesen Sonntag, in der er die Genossen auf den Wahlkampf einschwören wolle, heißt es in SPD-Kreisen. Vor der offiziellen Kandidaten-Präsentation in der Parteizentrale bekommt er viel Rückenwind. Laut ZDF-"Politbarometer" verbessert sich die SPD in der Sonntagsfrage um drei Punkte auf 24 Prozent, liegt aber noch deutlich hinter der Union mit 36 Punkten. Der "Schulz-Effekt" ist spürbar. 300 neue Mitglieder gibt es im Willy-Brandt-Haus zu verzeichnen. Am Sonntag will der Kandidat zudem sein Programm weiter konkretisieren - wenn auch nicht in allen Einzelheiten.

Hinter den Kulissen wirkt der Paukenschlag vom Dienstag, als weite Teile der Führung und der SPD-Bundestagsfraktion von Gabriels Verzicht auf Kandidatur und SPD-Vorsitz sowie seinem Anspruch auf das Außenamt überrascht worden waren, noch nach. Der Unmut über das Verfahren ist im Präsidium unverändert groß. Gabriel werde im Wahlkampf "eine dienende Rolle" spielen, hatte Fraktionschef Thomas Oppermann gesagt. Im Fall von Querschüssen müsse sich Gabriel auf entschiedenen und geschlossenen Widerspruch gefasst machen, sagt einer aus der Führung. Was aus dem Vizekanzler und dem Außenminister nach der Bundestagswahl werde, sei offen.

Schulz hat inzwischen die ersten Entscheidungen getroffen: Sein Mandat im EU-Parlament will er nach Informationen unserer Berliner Redaktion "noch im Februar" abgeben, um sich nicht angreifbar zu machen. Er setze auf Kontinuität in der Parteizentrale. Generalsekretärin Katarina Barley und Bundesgeschäftsführerin Juliane Seifert sollen bleiben, die Wahlkampfleitung übernehmen und dabei von Markus Engels, einem Schulz-Vertrauten, unterstützt werden.

"Ich setze auf Euch", hat Schulz den Mitarbeitern diese Woche bei einer Versammlung zugerufen und viel Applaus bekommen. Offensiv formuliert der Kandidat seinen Machtanspruch. Er trete nicht an, um am Ende Vizekanzler einer weiteren großen Koalition zu sein. Seine Gegnerin Angela Merkel kenne er so lange wie kaum einer außerhalb ihrer Partei: "Ich habe sie studieren können, ich habe sie kennengelernt", so Schultz. ‹ŒKommentar Seite 2

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